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Sind unsere Ziele auch die Ziele unserer Pferde?

von Agnes Trosse+++ TEASER & LESEPROBE aus Feine Hilfen 64 +++

Die Ziele unserer Pferde können sich auch mit den unseren vereinbaren lassen. Damit das gelingt, müssen wir uns darin üben, wahrzunehmen, was sie uns mitteilen möchten. (Foto: Lorena Grosser)

Sprechen wir über Ziele, die auch unser Pferd betreffen, sind meist unsere eigenen Ziele gemeint. Das menschliche Zusammenleben mit dem Pferd basiert zumeist auf einem Konzept,
das das Pferd als Nutztier sieht. Nutztier bedeutet: Das Tier wird zu einem bestimmten Zweck gehalten. Im Falle des Pferdes ist das zumeist, dass der Mensch es reiten möchte zur sportlichen
Betätigung oder für die Freizeitgestaltung. In Zeiten, in denen immer häufiger über die gesellschaftliche Akzeptanz des Reitsports gesprochen wird, muss auch die Sicht
des Pferdes immer mehr in den Blickpunkt rücken, oder?

Schon mit zwei Jahren wollte ich aufs Pferd. Keine Pferdewiese war vor mir sicher. Jedes Pferd, das ich irgendwo sah, wurde voller Begeisterung kommentiert: „Ein Pferd!“ Ich bin
wohl das, was man landläufig ein echtes Pferdemädchen nennen würde und da diese Begeisterung von niemandem besonders intensiv gefördert oder gefordert wurde, muss sie
wohl schon immer in mir geschlummert haben. Mit fünf bekam ich im Urlaub meine erste Zehnerkarte Voltigierunterricht geschenkt und kurz darauf begann ich zu Hause mit
Longenstunden in einem kleinen Reitverein im Dorf. Dort lernte ich, dass Pferde groß sind, sehr stark und dass ich ihnen nichts entgegenzusetzen hatte, wenn sie mit mir beim
Einzelgalopp durch die Halle flitzten oder mich beim Springkurs den letzten Oxer kopfüber alleine bewältigen ließen.

Von den Reitlehrern war nicht viel zu erwarten. Zwanzig Minuten ohne Steigbügel leichttraben war an der Tagesordnung, wer schlapp machte, wurde beschimpft. Irgendwie wünschte ich mir das Zusammensein mit dem Pferd aber so sehr, dass ich das alles mitmachte, und nahm die enorme Angst, die ich hatte, als notwendiges Übel in Kauf. Ich arbeitete im Stall mit und durfte dafür ab und an ein Privatpferd trocken reiten. Ich
erlebte, wie Schulpferde in Ständern gehalten, geschlagen und mit Mistgabeln gestochen wurden, träumte aber von der besonderen Verbindung wie bei Fury oder Black Beauty und
natürlich las ich Conny und Wendy. Als ich zwölf Jahre alt war, durfte ich mich um ein Jungpferd kümmern, das sonst tagein, tagaus nur in der Box stand. Ich fuhr täglich morgens um sechs in den Stall, um es in der Halle laufen zu lassen, und es folgte mir wie ein Hund. Wenn ich den Stall betrat, wieherte es sogar zur Begrüßung. Als ich eines Tages in den Stall kam, war seine Box leer. Ich bekam weder eine Erklärung, wo es hin
war, noch die Möglichkeit, mit dem Besitzer Kontakt aufzunehmen.

Daraufhin verließ ich den Stall und betrat ihn auch nie wieder. Vielleicht ist das der erste Moment gewesen, in dem mir wirklich klar wurde, dass meine Ziele im Zusammensein mit Pferden andere
waren als die der Menschen in diesem Stall. Die ganze Zeit hatte ich mir suggerieren lassen, ich könnte nur ein guter Reiter werden, wenn ich ihre Ziele teilen würde. Die Bilder von Pferden,
die nicht ihrem Naturell entsprechend behandelt und gehalten wurden, hatten sich schon lange tief in mein Gedächtnis eingebrannt und ich hätte damals lieber ganz aufgehört, als weiter in
solch einer Umgebung zu bleiben. Wenn ich heute daran zurückdenke, bin ich stolz, diesen Schritt gegangen zu sein. Mich hat also sehr früh geprägt, was ich nicht wollte.

Menschliche Ziele
Meine eigenen Ziele waren tief menschlich: Ich wünschte mir eine Verbindung zu diesen anmutigen Tieren und ich wollte reiten. Außerdem suchte ich die Natur und merkte, dass ich in der Gesellschaft
von Pferden ich selbst sein konnte. Dass ich auch auf meine zurückhaltende und ruhige Art mit den zwei Pferden, die ich in den folgenden Jahren bis zu meinem Abitur wie meine
eigenen betreuen durfte, gut klarkam und mit ihnen auf Ausritten keine Angst mehr haben musste, machte mich selbstbewusster und gab mir Kraft für den stressigen Schulalltag.
Wenn ich es positiv beschreibe, so sind menschliche Ziele, die uns alle antreiben, sicher:

  • Verbindung zur Natur
  • Verbindung zum Tier
  • Reiten, Freiarbeit, Bodenarbeit (Betätigung mit dem Pferd, gemeinsame Zeit)
  • Gesundheit und Glück des Pferdes

Diese positiven Ziele sind aber eigentlich unsere Wünsche, die irgendwie auch mehr mit uns als mit unserem Pferd zu tun haben – allerdings beziehen sie die Sicht des Pferdes noch mit ein.
Weitere Ziele, die Menschen auch haben, wenn es um Pferde geht, sind weniger schmeichelhaft und eher rein egoistischer Natur:

  • gebraucht werden
  • Statussymbol, Klicks generieren
  • Selbstbestätigung
  • Projektionsfläche finden
  • finanzieller Erfolg
  • Ansehen stärken durch z. B. Gewinne

In einer Umfrage, die ich Ende Februar auf den Social-Media-Kanälen von FEINE HILFEN gemacht habe, bat ich unsere Follower zu schreiben, welche Ziele sie haben und welche sie von ihrem
Pferd annehmen. Interessant war, dass viele Leser meinten, ihr Pferd wünsche sich primär „den Keks“ oder „genug Futter“. Das zeigt, dass wir Futter oftmals mit Fürsorge gleichsetzen –
wie in so mancher Partnerschaft im echten Leben auch. Das wiederum deckt sich mit dem Phänomen, dass wir sehr viele übergewichtige Pferde in unseren Ställen haben, die aber auch
gar nicht mehr als übergewichtig wahrgenommen werden. Die Liebe geht im sprichwörtlichen Sinn für uns auch beim Pferd durch den Magen. Eine Leserin schrieb, dass sie nicht glaubt,
dass Pferde Ziele haben. Ein Ziel ist per definitionem ein in der Zukunft liegender, gegenüber dem Gegenwärtigen im Allgemeinen veränderter, erstrebenswerter und angestrebter Zustand.

Da Pferde ein nachweislich extrem gutes Zeitgefühl haben, ihr Langzeitgedächtnis hervorragend ist und sie auch planvoll vorgehen können, können sie meiner Ansicht nach auch Ziele haben.
Grundsätzlich kann man aber Ziele auch als das definieren, was ihnen generell im Leben wichtig ist.

Ziele von Pferden
Die Ziele von Pferden sind nicht unbedingt immer die, die wir als Erstes im Kopf haben. Unsere Vierbeiner wünschen sich vor allem:

  • Raum, Sicherheit und Schutz
  • stabile Freundschaften
  • körperliche Unversehrtheit
  • sich explorativ verhalten zu dürfen, um ihre Umgebung und soziale Dynamiken zu verstehen
  • Probleme auch selbst lösen zu dürfen und auch Entscheidungen zu treffen
  • Konflikte zu vermeiden

Häufig projizieren wir gewisse Vorstellungen von der Natur des Pferdes auf unsere Pferde. Das Problem ist aber, dass diese Vorstellungen gar nicht dem entsprechen, was das Pferd vielleicht
wirklich bräuchte oder möchte. Dinge, mit denen wir Pferden wichtige Entwicklungsmöglichkeiten nehmen, sind:

  • vorzeitiges Absetzen von Fohlen
  • Aufwachsen ohne Vorbilder, ohne Sicherheit durch erwachsene Tiere
  • soziale Isolation
  • Druck und Leistungsstress
  • häufig umziehen (unbekannte Gruppe), häufige Veränderungen
  • Zeitdruck (kein Verständnis für die Zeit, die das Pferd braucht, um Neues zu erfassen und zu verarbeiten)
  • menschliche Erwartungshaltung als Einbahnstraße
  • auf veralteten Annahmen basierendes Training und/oder Equipment

Wünschen wir uns eine echte Partnerschaft mit dem Pferd, sollten wir überlegen, wo wir ggf. entgegen seiner Ziele handeln, unsere Ziele mit seinen abgleichen und stärker in einen Dialog mit dem Pferd treten.

Gelingt dies, können unsere menschlichen Ziele vielleicht nicht direkt auch pferdische Ziele werden, aber das Pferd wird sie, sofern wir auch seine Ziele berücksichtigen, gerne mit uns zusammen
erreichen wollen. Besonders schön fand ich daher diesen Kommentar einer Leserin:

„Mein Ziel mit dem Pferd ist es, gemeinsam im Dialog Gesundheit und Zufriedenheit zu fördern und unsere Freundschaft/Verbindung zu erhalten.
Mein Pferd hat vermutlich das Ziel, ein sicheres Leben in seiner gewohnten Umgebung mit den größtmöglichen Freiheiten zu leben. Ich bin froh, dass ich Teil davon sein darf.“

(Annika Schlemmer)

Wir sollten wohl immer wieder das innere Kind in uns befragen, ob wir mit unserem Pferd noch auf dem richtigen Weg sind, uns auch gerade in Hinblick auf wissenschaftliche
Erkenntnisse weiterbilden und so agieren, dass wir selbst gerne an der Stelle unseres Pferdes wären.

Ziele setzen und erreichen – das ist das Schwerpunktthema dieser letzten Ausgabe der Feinen HILFEN, die im Cadmos-Verlag erscheint. Ich selbst durfte das Bookazin nun sechs Jahre als Chefredakteurin begleiten. Vielleicht darf ich Sie in Zukunft trotzdem weiter auf meinen Social-Media-Seiten und in meinem Podcast über neue Entwicklungen rund um die Reitkunst informieren. Ich würde mich sehr freuen! Bis dahin wünsche ich Ihnen viel Freude beim Lesen dieser letzten Ausgabe und beim Erreichen all Ihrer Ziele,

Sie möchten weitere Artikel aus Feine HILFEN Ausgabe 64 lesen? Hier können Sie das Einzelheft FEINE HILFEN Ausgabe 64 als Print-Version bei CADMOS bestellen.

Agnes Trosse

… ist Trainerin für klassisch-barocke Reiterei und seit Anfang 2018 Chefredakteurin des Bookazins FEINE HILFEN. Sie bildet sich regelmäßig
auch im Bereich Pferdefütterung fort, befasst sich als Trainerin insbesondere mit der Vermittlung einer auf Wissen basierenden feinen Reiterei und eines
losgelassenen Reitersitzes und bietet deutschlandweit Seminare an.
www.facebook.com/EnieGollier
www.instagram.com/motiviertepferde/

(Foto: Lorena Grosser)

 

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Category: Dressur

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