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Faszination Faszien

Interview mit B. Welter-Böller, von Nicole Künzel +++ TEASER & LESEPROBE aus Feine Hilfen 63 +++

Die wichtigsten Faszienzüge des Pferdes. (Foto: Ralf Kosecki, aus „Gutes Training schützt das Pferd“, Cadmos, 2016)

Nur ein fasziengesundes Pferd kann sich effizient und voller Leichtigkeit bewegen.
Eine gut angewandte Faszientherapie mit dementsprechendem Training erhält dabei die
Gesundheit unseres Reitpferdes. Was Faszien sind, wie ein gutes Faszientraining aussehen
kann und worauf man bei der Wahl des Therapie- und Trainingsansatzes achten sollte,
erklärt Barbara Welter-Böller.

Feine Hilfen: Das Thema Faszien im Pferdetraining scheint derzeit in aller Munde. Eine neue Entwicklung oder eine altbekannte?
Barbara Welter-Böller: In der Humanmedizin war es Andrew Taylor Still (1828–1917, Anm.), der Begründer der Osteopathie, der 1896 als Erster auf die enorme Wichtigkeit von Faszien hinwies.
„Wir denken, wir haben bewiesen, dass Empfängnis, Wachstum und die Ursachen aller Krankheiten in den Faszien zu finden ist.“ (Andrew Taylor Still, 1899) Und weiter: „Durch ihre Aktion leben wir, durch ihr ­Versagen schrumpfen oder schwellen oder sterben wir.“ (Andrew Taylor Still, 1902) Weiter forschte der Wiener Histologe Prof. Dr. Alfred Pischinger (1899–1983, Anm.) intensiv in diesem Bereich. In der hippologischen Literatur der alten Meister ist mir lediglich Steinbrecht bekannt, der eine geringe Faszienspannung als schlaffe Grundfaser beschreibt: „Fehlt es aber an Blut, ist die Grundfaser schlaff und kein Nerv da, so gebe man sich da keinen Illusionen hin.“ (Gustav Steinbrecht: „Das Gymnasium des Pferdes“).
Ansonsten sprachen Ausbilder lediglich von Rassemerk­malen und hoben die jeweiligen Vorteile hervor.

Feine Hilfen: Du hast bereits 2016 das Buch „Fas­zientraining und Faszientherapie für Pferde“ geschrieben. Was fasziniert dich so an der Thematik?
Barbara Welter-Böller: Ich kann mich noch an die Zeit meiner Physiotherapieausbildung erinnern, als die Faszien bei Sektionen eher lästiges Material waren, was entfernt werden musste. Es war für uns einfach eine bindegewebige Hülle. Mein beruflicher Weg führte mich jedoch weiter zu den Erkenntnissen des Humanbiologen, Dipl.-Psychologen und Faszienforscher Dr. Robert Schleip (*1954, Anm.). Er ist in Deutschland einer der größten Faszienforscher. Und seine Ergebnisse elektrisierten mich, denn mir wurde bewusst, dass es neben der Muskulatur ein weiteres sehr spannendes Feld gibt – das der ­Faszien. Ich habe damals verstanden, dass wir ganz anders denken müssen. Nämlich nicht mehr in Muskeln, sondern in myofaszialen Ketten, was bedeutet, dass Muskeln über Faszien strukturell und funktionell miteinander verbunden sind, und vor allem, dass das Fasziengewebe gerade beim Pferd ganz besonders wichtig ist.

Feine Hilfen: Kurz zusammengefasst, was sind Faszien?
Barbara Welter-Böller: Faszien sind alle faserigen Bindegewebsstrukturen, die den Gesamtkörper als ein kontinuierliches Netzwerk durchdringen und umhüllen. Zu ihnen zählen Sehnen, Gelenkkapseln, Muskelhüllen, Bänder und die großen flächigen festen Bindegewebsschichten wie die Rückenlendenbinde.

Feine Hilfen: Und warum sind sie wichtig in der Ausbildung eines Pferdes?
Barbara Welter-Böller: Man kann kein Pferd trainieren, ohne auch dessen Faszien zu trainieren. Nur wenn das Pferd in einem richtigen Maße trainiert wird, bleibt das fasziale Gewebe gesund. Muskulatur kann ich relativ schnell auf- und wieder abbauen, Faszien benötigen bei einer Remonte rund zwei Jahre der Entwicklung. Sind sie ausgereift und stabil, müsste man grob fahrlässig agieren, um sie zu verletzen. Es gilt, sie für das jeweilige Pferd individuell eher mobil oder stabil zu halten. Möchte ich von außen die Faszienspannung beurteilen, so gibt mir zunächst einmal die Fessel-Zehen-Achse im Stand bei gleichmäßiger Belastung viel Aufschluss darüber. Der Winkel im Bereich der Vorderbeine sollte circa 45 Grad, im Bereich der Hinterbeine circa 50 Grad betragen. Ist diese nach hinten gebrochen, so ist dies ein Zeichen dafür, dass die faszialen Strukturen von tiefer und oberflächlicher Beugesehne, Fesselträger und Fesseltrageapparat zu schwach sind, es sackt nach hinten ab. Ist die Fessel-Zehen-Achse nach vorne gebrochen, dann habe ich ein Problem der Überlastung. Habe ich Faszien zu stark rhythmisch trainiert, bauen diese Kollagen an, dies ist ein Struktureiweiß, das durch Zugbelastung stark wird. Vor allem der Fesselkopf, die Unterstützungsbänder und der Fesseltrageapparat werden dadurch angehoben. Ich kann am Kollagenanbau also erkennen, ob die Faszien überlastet wurden. Sind Faszien einmal „zu stark“, ist es nicht so einfach, diese Spannung wieder abzutrainieren. Wichtig ist es, rechtzeitig wahrzunehmen, ab wann ich mein Pferd übertrainiere. „Kippelt“ beispielsweise das Vorderfußwurzelgelenk nach dem Training etwas nach vorn oder reagiert das Pferd, wenn ich den Fesselträger abtaste, empfindsam, dann weiß ich, dass es zu viel war! Eine goldene Regel besagt: Setze ich einen Tag einen überschwelligen Trainingsreiz, so muss ich hiernach 72 Stunden warten. Setze ich also alle drei Tage einen überschwelligen Reiz, so können sich die Faszien neu organisieren und ich komme normalerweise nicht ins Übertraining.

Feine Hilfen: Welches Fasziengewebe ist besonders wichtig für die Ausbildung und das Training eines Reitpferdes?
Barbara Welter-Böller: Am Vorderbein haben wir den Rumpfträger, den Musculus serratus ventralis, der den Rumpf des Pferdes zwischen den Schulterblättern hält. Hier finden wir eine ganz starke myofasziale Verbindung. Diese muss das Pferd – dann auch mit Reitergewicht – erst auftrainieren. Wie gut entwickelt der Musculus serratus ventralis ist, erkenne ich daran, ob der Rücken hinter dem Widerrist gerade ist oder ob er zu schwach ist und die Rückenlinie von dort an nach hinten ansteigt. Die Rückenlinie sollte vom Boden her so auftrainiert werden, dass sie sich bereits ohne Reitergewicht so gestaltet, wie ich sie mir vorstelle. Reiterlich kann ich den Musculus serratus ventralis entlasten, indem ich das Pferd immer wieder in die Dehnung entlasse und über das Nacken-Rücken-Band, das sich aus dem Nackenband (Ligamentum nuchae) und dem Rückenband (Ligamentum supraspinale) zusammensetzt, den Rücken anhebe. Damit kann ich spielen und so den Musculus serratus ventralis immer fordern und wieder entspannen. Wird mein Pferd von seiner Fußung her lauter, so heißt es, wieder in Dehnungshaltung oder im leichten Sitz zu reiten. Weiter sollte ich alle Unterstützungsbänder der Beugesehnen, den Fesselträger und die Bänder in den Gelenken trainieren. Letztere sind unter anderem von Bedeutung, wenn ich Seitengänge trainiere. Hier gilt es, mit dem Pferd zunächst im Schritt und auf ebenem Boden die Seitenkapseln zu stärken. Im Rücken habe ich zwei Bänder: das Rückenband (Ligamentum supraspinale), welches oberhalb der Dornfortsätze verläuft, und unterhalb der Wirbelkörper das noch wichtigere ventrale Band, das Ligamentum longitudinale ventrale. Beide arbeiten im Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus miteinander. Dies ist im Trab besonders gut zu beobachten: Schwingt der Rücken nach oben, dann wird zunächst das Ligamen­tum supraspinale gedehnt und zieht sich wieder zusammen. Der Rücken geht, im Takt mit den Fesselköpfen, wieder nach unten und dehnt damit das ventrale Band, das daraufhin mit einem Verkürzungsreiz reagiert und den Rücken nach oben federt. Dann beginnt alles wieder von vorne. Habe ich ein kräftiges ventrales Band, erlange ich einen stabilen Rücken, der auch nicht absackt. Unabhängig von der Bauchmuskulatur! Die langen Bänder der Wirbelsäule müssen stabilisiert werden, als Faszie am besten im Trab. Im Hinterbein benötige ich vor allem die Kniefaszien, welche jedoch auch nicht zu stark werden dürfen, weil dann das Bein zu gerade wird.

Feine Hilfen: Was versteht man unter Faszienreife, und welche Trainingsreize benötigen fasziale Strukturen?

(…)

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Barbara Welter-Böller

Foto: Uli van Beveren

… ist Reiterin, Trainerin, Humanphysio­therapeutin sowie Pferdeosteopathin. Sie unterrichtet seit 1997 in ihrer „Fachschule für Osteopathische Pferdetherapie“ Anatomie, Biomechanik, Exterieur- und Ganganalyse, Huf- und Faszienlehre sowie Faszien- und Craniosakraltherapie, Trainingstherapie, Reitlehre und Sitzanalyse des Reiters. Sie ist zudem internationale Dozentin und Fachbuchautorin.
www.welter-boeller.de

 

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Category: Dressur

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