Kunstgangarten in der historischen Reitbahn
von Julika Tabertshofer +++ TEASER & LESEPROBE aus Feine Hilfen 55 +++
Julika Tabertshofer und Quarterhorse-Wallach QB in einer Piaffe. (Foto: Linda Rohde, aus „Alte Meister im Licht der Moderne“, Cadmos)
Bei vielen der Dressurlektionen haben wir heute keine Vorstellung mehr, wo sie ursprünglich herkommen, wann sie entstanden sind und zu welchem Zweck sie eigentlich entwickelt wurden. Piaffe und Passage stellen hier ein interessantes Beispiel dar, weil sie noch relativ neu sind in der Geschichte der Reitkunst und von den alten Reitmeistern sehr unterschiedlich gewichtet wurden. Am Beispiel von Manoel Carlos de Andrade und Gustav Steinbrecht versucht Julika Tabertshofer im Folgenden einen Einblick in den damaligen Umgang mit diesen Lektionen zu bekommen.
„Die richtige Passage ist ein abgekürzter Schritt (oder Tritt), den das Pferd etwas lebhafter als den normalen Schritt macht, aber weniger lebhaft als den Trab. In dieser Bewegung ist es ständig bereit, der Hand und den Sporen zu gehorchen, weil es dabei eine zuverlässige, feine Anlehnung an die Hand hat und sicher an den Schenkelhilfen steht.“ („Renaissance Reiten nach Antoine de Pluvinel“, Branderup/Kern, Cadmos 2003, Seite 57)
Kunstformen des Trabes
Dieses Zitat aus der Renaissance beschreibt auf den Punkt die ursprüngliche Passage, die sich deutlich von der heutigen Form der Passage in den Dressurprüfungen unterscheidet. Zur Zeit Pluvinels lag das Augenmerk besonders auf der Tragkraft in der Passage. Das bedeutet, dass diese mit deutlich weniger Raumgewinn und weniger Abfedern nach oben geritten wurde. Dabei waren die Hanken deutlich gebeugt. Bei den heute in Dressurprüfungen gezeigten Passagen strecken die Pferde vielfach die Gelenke der Hinterhand bei jedem Passage-Tritt fast ganz durch und drücken sich deutlich nach vorne-oben ab. Die Passage wird heute also meist mit deutlich mehr Schubkraft geritten, als das früher der Fall war. Auf alten Gemälden lassen sich Piaffe und Passage optisch kaum voneinander unterscheiden, weil die Passage der Piaffe, abgesehen von ein wenig mehr Raumgewinn, sehr ähnelte. François Robichon de la Guérinière nutzte Anfang des 18. Jahrhunderts Piaffe und Passage in größerem Umfang als seine Vorgänger. Das lag daran, dass sich die Ausbilder im späten Barock, ganz in dem Geiste, das Reiten als eine Kunstform zu verstehen, auch vermehrt mit der Optimierung der Pferdebewegung im Trab beschäftigten. In der Zeit davor waren die trabartigen Schulen nebensächlich, da sie für den Nahkampf kaum einen Nutzen hatten. Der portugiesische Reitmeister Manoel Carlos de Andrade lebte Ende des 18. Jahrhunderts und wirkte an der Königlich Portugiesischen Hofreitschule. Die Passage nennt er nicht als eigenständige Übung, beschreibt aber ausführlich die Ausbildung der Piaffe. Er verweist dabei auf die Methoden des Duke of Newcastle und Giovanni Pignatelli zur Orientierung. Er erklärt, dass er die Piaffe wie eine eigene Gangart reiten können möchte – im Vorwärts, Rückwärts und Seitwärts, immer in Biegung. Dabei solle sich das Pferd bei jedem Schritt nur etwa eine Huflänge fortbewegen, damit die Beugung der Hanken ständig erhalten bleibt. Die Ausbildung der Piaffe erfolgte bei ihm noch vollständig zwischen den Pilaren, zunächst ohne Reiter. Als Vorübung lernte das Pferd, auf Peitschenzeig zwischen den Pfosten hin und her zu treten, um in Bewegung zu kommen, dann trieb man es nach vorne in die Seile. Nun ließ de Andrade das Pferd in Ruhe seinen Takt und seine Haltung in der Piaffe finden, wobei er nur sehr vorsichtig mit der Peitsche einwirkte, um das Pferd nicht in Aufregung zu versetzen. Erst wenn das Pferd in der Piaffe gefestigt war, setze er in den Pilaren einen Reiter in den Sattel, der das Pferd nach und nach an die Hilfengebung gewöhnte. Dann erst entließ de Andrade Pferd und Reiter aus den Pilaren und ließ sie die Piaffe am Hufschlag mit Anlehnung an die Wand üben, später dann frei in der Bahn. Die Hilfengebung beschreibt er als diagonale Einwirkung mit Hand und Bein, weil er das Pferd in der Piaffe immer in eine Biegung behielt, nie ganz geradegerichtet! Befand sich das Pferd beispielsweise in Rechtsbiegung, wirkte der Reiter mit dem linken (äußeren) Schenkel und dem rechten (inneren) Zügel ein. Einerseits bleibt das Pferd in Biegung durchlässiger und losgelassener, andererseits nutzte man damals auch allgemein mehr Biegung, weil man ein gebogenes Pferd optisch schöner fand. De Andrade legte viel Wert darauf, dass seine Pferde die Übung wirklich verstanden, um diese dann selbstständig und entspannt ausführen zu können.
Kunstformen des Trabes in der Neuzeit
In der Neuzeit wurde die Dressur immer mehr zur individuellen Formung des Pferdes genutzt. Und obwohl auch beispielsweise de la Guérnière bereits die Arbeit und Anforderungen an das jeweilige Pferd angepasst hatte, ließen die Ausbilder der Neuzeit vermehrt neu gewonnene biomechanische Erkenntnisse in die Ausbildung einfließen. Louis Seeger, ein deutscher Reitmeister des 19. Jahrhunderts, wies beispielsweise darauf hin, dass man je nach Voraussetzungen des Pferdes entscheiden muss, ob zuerst die Piaffe oder die Passage erarbeitet werden sollte:
„Bei Pferden also, welche Neigung zum Verkriechen haben, d. h. bei denen die tragenden Kräfte des Hintertheils überwiegend wirken, (…) muss das Pferd durch möglichst frühes häufiges Passagiren oder Schulschritt vervollkommnet werden. Bei solchen Pferden jedoch, bei denen die schiebenden Kräfte des Hintertheils übermässig vorwalten, übe man die Passage nicht zu früh, und vervollkommne das Piaffé durch sich selbst und durch Zurücktreten.“ (Louis Seeger, „System der Reitkunst“ erschienen 1999 im OLMS Verlag, S. 300)
Dieser Grundsatz darf auch heute dringend beachtet werden, um sich bei der Ausbildung seines Pferdes nicht durch unbedachtes Vorgehen selbst Steine in den Weg zu legen. (…)
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Julika Tabertshof
…ist 27 Jahre alt, hat sich ganz der Umsetzung der Ideale der alten Reitmeister verschrieben. Ihre Arbeit ist inspiriert von der klassischen und der akademischen Reitkunst sowie jener des Vaquero-Horsemanship. Nach ihrer Lehrzeit bei Bent Branderup und an der Anja-Beran-Stiftung für Klassische Reitkunst ist sie heute selbstständig als Ausbilderin nahe Köln tätig.Weitere Infos (Foto: privat)
Category: Dressur