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Von der Freude, andere Reiter zu zerreißen

Foto © pirita/Shutterstock.com
Foto © pirita/Shutterstock.com

von Dr. Thomas Ritter

„Heute findet jede Zeitung / Größere Verbreitung durch Musikkritiker,

Und so hab auch ich die Ehre / Und mach jetzt Karriere als Musikkritiker.

Ich hab zwar ka Ahnung, was Musik ist, / Denn ich bin beruflich Pharmazeut,

Aber ich weiß sehr gut, was Kritik ist: / Je schlechter, umso mehr freun sich die Leut.
Es gehört zu meinen Pflichten, / Schönes zu vernichten als Musikkritiker,

Sollt ich etwas Schönes finden, / Muss ich’s unterbinden als Musikkritiker.

Mich kann auch kein Künstler überlisten, / Da ich ja nicht verstehe, was er tut.

Drum sag ich von jedem Komponisten: / Erst nachdem er tot ist, ist er gut! …
Dass die Welt es wisse, lest die / Lustigen Verrisse des Musikkritikers!
Ich bin konsequent, und ich erkenne kein Talent,
Und da ich weiß, dass ich nichts kann, / Lass ich auch niemand andern ran!
Und der Redakteur schätzt meine schlechte Meinung sehr,
Und schreit das Publikum „Hurra!“, / Das nützt euch nichts, dann ich bin da!
Und eure Kollegen geben immer ihren Segen,
Denn jedem Künstler ist es recht, / Spricht man von andern Künstlern schlecht!
Nieder mit Musik!“
(Georg Kreisler, Der Musikkritiker)

Diese bissige Satire von Georg Kreisler über Musikkritiker könnte genauso gut auf das Reiten gemünzt sein. Dieselben Einstellungen findet man auch bei den vielen Kritikern, die im Internet über andere Reiter herziehen oder Fotos und Videos schlechtmachen.

Ganz egal, wie gut jemand reitet und wie gut und korrekt ein Foto ist, es wird immer Neunmalkluge geben, die es schlechtmachen müssen. Umgekehrt, ganz egal, wie schlecht ein Foto oder Video ist, es wird immer Leute geben, die es toll finden. Man sieht daran, dass sehr viele Meinungen nicht auf praktischer Erfahrung und reiterlichem Können basieren. Schon als ich selbst noch ein Anfänger war, fiel mir auf, dass zwar jeder eine kritische Meinung hat, dass aber nur wenige die notwendige Fachkompetenz besitzen, Reiter und Pferd richtig zu beurteilen. Damals beschloss ich, nur auf die Meinungen von Reitern zu hören, denen ich diese fachliche Kompetenz zutraute, was sich bis heute nicht geändert hat.
Im Laufe seines reiterlichen Werdegangs macht wahrscheinlich jeder eine Phase durch, in der er versucht, anhand von Fotos und Videos sein Auge zu schulen und besser zu erkennen, was richtig und falsch ist. Das ist ganz natürlich und fördert auch durchaus das Verständnis der Materie. Bedenklich wird es allerdings, wenn jemand nicht motiviert ist durch den Wunsch, sich weiterzubilden, sondern durch Neid und Missgunst. Viele Reiter, die von ihrer eigenen Reiterei frustriert sind, versuchen ihr eigenes Ego dadurch aufzupolieren dass sie alle anderen Reiter schlechtmachen. Je prominenter das Opfer der Negativkritik, desto besser fühlen sie sich, weil es ihnen ein Gefühl der Überlegenheit gibt, einen berühmten Reiter zu verreißen, obwohl sie selbst vielleicht noch nicht einmal den Trab aussitzen oder ihr Pferd durchs Genick reiten können. Auch das ist sicher eine menschliche Neigung, der wahrscheinlich jeder schon einmal nachgegeben hat; aber man sollte versuchen, sie bei sich abzustellen, wenn man sie bemerkt.

Die traditionelle Reitausbildung ist sehr fehlerorientiert. Meine eigenen Lehrer haben uns hauptsächlich auf all die Dinge aufmerksam gemacht, die wir falsch machten. Es wurde uns aber kaum erklärt, wie man es besser machen kann, welche Hilfe oder Übung man wie, wann, wie oft, wie intensiv und aus welchem Grund anwenden sollte. Dadurch wird die Aufmerksamkeit von Anfang an auf Fehler und auf Negatives gelenkt, und man wird geradezu konditioniert, auch bei anderen immer nur auf die Fehler zu schauen und das Positive zu ignorieren.

Man neigt, unter anderem aufgrund dieser fehlerorientierten Didaktik, auch dazu, immer die Themenkreise bei anderen zu sehen, mit denen man selbst die größten Probleme hat oder mit denen man sich momentan beschäftigt. Das spiegelt sich sogar in Richterprotokollen in Dressurprüfungen wider. Jeder Richter hat Lieblingsthemen, auf die er besonderen Wert legt, während er anderen genauso wichtigen Gesichtspunkten weniger Beachtung schenkt. Desgleichen haben viele Trainer einzelne Schwerpunktthemen, die sie im Unterricht vermehrt oder sogar ausschließlich ansprechen. Das ist übrigens eine der großen Herausforderungen in der Ausbildung von Pferd und Reiter, dass man keines der tausend Mosaiksteinchen übersieht und keines über Gebühr herausstellt. Sonst wird die Ausbildung schnell einseitig und man schafft sich dadurch Probleme.

Um ein Foto wirklich zutreffend beurteilen zu können, muss man Alter, Rasse, Gebäude, natürlichen Gang, Temperament und Vorgeschichte des Pferdes kennen. Man muss wissen, ob das Pferd leicht oder schwer zu reiten ist, ob es talentiert ist oder nicht. Bei einem untalentierten Pferd mit schwierigem Gebäude und Temperament kann das, was man im Foto sieht, eine riesige Leistung darstellen, während dasselbe Foto von einem talentierten, leichtrittigen Pferd eine sehr schwache reiterliche Leistung wäre. Viele dieser Faktoren sind aber aus einem Foto nicht ersichtlich. Daher sollte man mit Kritik immer vorsichtig sein.

Für ein gutes Foto müssen mehrere Faktoren zusammenkommen. Der Reiter muss gut sitzen, das Pferd muss korrekt gehen und der Fotograf muss den richtigen Moment der Fußfolge abbilden. Ganz zu schweigen davon, dass Pferd und Sattelzeug sauber geputzt und die Ausrüstung von Reiter und Pferd korrekt und vollständig sein muss. Daher kommen auch bei jedem Fotoshooting mehr schlechte als gute Bilder heraus, ganz egal, wer im Sattel sitzt.
Die einzigen, die keine schlechten Fotos von sich haben, sind diejenigen, die noch nie Fotos gemacht haben!
Interessanterweise haben die meisten lautstarken Kritiker auf ihrer Facebookseite auch konsequent kein einziges Foto von sich auf dem Pferd. So etwas ist immer verdächtig, umso mehr, wenn es sich um „Profis“ handelt.

Hinzu kommt, dass ein Foto nur eine Momentaufnahme darstellt. Es kann vorkommen, dass man von einem guten Ritt kein einziges brauchbares Foto bekommt, weil der Fotograf immer im falschen Moment abgedrückt hat. Umgekehrt kann man von einem schlechten Ritt manchmal trotzdem ein paar verwendbare Fotos bekommen, wenn der Fotograf geschickt den richtigen Augenblick festhält.

Klar: Es ist auch für Laien sehr leicht zu erkennen, ob der Kopf des Pferdes zu hoch oder zu tief steht, ob die Nase senkrecht ist oder nicht, ob das Maul offen oder geschlossen ist, ob der Schweif ruhig steht oder nicht, ob das Pferd richtig gebogen ist oder nicht. Dies sind aber alles nur Oberflächensymptome. Wozu die meisten schon nicht mehr in der Lage sind, ist, diese Symptome bis zu ihren Wurzeln zu verfolgen und zu beurteilen, ob es sich bei dem Fehler im Foto um ein zentrales Problem handelt oder nur um einen zufälligen schlechten Moment. Ein erfahrener Ausbilder kann dagegen gravierende Versäumnisse in der Grundausbildung von unbedeutenden, peripheren Fehlerchen unterscheiden. Es ist im richtigen Leben auch wenig hilfreich, Fehler zu identifizieren, wenn man sie weder richtig einordnen kann noch Lösungsansätze kennt, mit denen man sie beheben kann. Genau an dieser Stelle haben die meisten Kritiker aber nichts Intelligentes mehr zu sagen, weil ihnen dazu das reiterliche Können und die praktische Erfahrung in der Ausbildung fehlen. Plattitüden wie „mehr vorwärts“ oder „vorwärts-abwärts“, „weniger Hand, mehr Kreuz und Schenkel“ sind hier ebenfalls nutzlos. Wenn man nicht in der Lage ist, das Gesamtbild mit allen seinen positiven und negativen Aspekten differenziert zu betrachten und effektive Lösungsvorschläge zu machen, sollte man sich mit öffentlicher Kritik sehr zurückhalten. Dann würde es allerdings in den Internetforen und Diskussionsgruppen in sozialen Netzwerken plötzlich sehr still werden. Es würde der Sache, den Pferden und den Reitern sowieso viel mehr nützen, wenn die Reiterei nicht so viel diskutiert, sondern mehr in der Praxis studiert würde.

Nuno Oliveira hat das Problem schon vor vielen Jahren in einem Brief an seinen Freund und Schüler Michel Henriquet sehr genau auf den Punkt gebracht, als er schrieb:
„Wahre Reiter beeindrucken durch das, was sie von ihrer Arbeit gezeigt haben. – Die Kritiker können nur zersetzen. Die Kenner verstehen und schätzen einander, selbst wenn ihre Methoden und Vorgehensweisen verschieden sind. (…) Die immerwährende Perfektion wäre das Ideal, aber das ist den Sterblichen nicht gegeben. Selbst Beethoven hat nicht nur göttliche Kompositionen geschrieben. Du wirst sehen, mein Freund, dass du gelobt wirst von Dummköpfen wie L., kritisiert von Reitern wie B. und A., aber mit allen Deinen Schwierigkeiten geschätzt wirst von den Borbas, Bragances, Oliveiras (…), all denen, die ihre Schwierigkeiten bei der Ausbildung vieler Pferde erlebt haben. Diese Schwierigkeiten liegen nicht in der Methode, sondern in den Besonderheiten, die jedes Pferd an sich hat und die man teilweise oder ganz auflösen kann.“
(Nuno Oliveira, in: Michel Henriquet: 30 Jahre Aufzeichnungen und Briefwechsel mit Maître Nuno Oliveira“, Olms, 2005.)

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

 

Category: Besondere Themen

Comments (5)

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  1. Als beruflicher Kritiker für die Industrie setze ich mich mit dem Thema „Kritik“ ständig auseinander.
    Kritik muss berechtigt, wahr und spezifisch sein. Sie muss sich auf die Sache und nicht auf die Person beziehen. Und nicht zuletzt: man muss beachten, dass beim anderen oft nicht das wahrgenommen wird, was man gemeint hat.
    Nach diesen Kriterien scheidet so ungefähr 95% des Meinungsgequacke, das so an einen herabbranntet, aus. Wehe dem, der sich davon abhängig macht. Sie kennen die Geschichte vom Vater, Sohn und Esel?
    Ich persönlich finde nicht, dass der Kritiker „es selber erstmal besser machen muss“. Wie ich auch falsche Töne höre, wenn sich der Pianist vergriffen hat, so muss ich doch kein Klavier spielen können. Und ich muss keine S-Dressur gewinnen, um die „Rollkur“ zu kritisieren.
    Die Kunst besteht letztendlich darin, seinen eigenen Weg zu gehen und aus dem Stimmenmeer sich das herauszuholen und zu reflektieren, was einen in seinem eigenen Weg weiterbringt – oder auch zu zeigen, welchen Weg man auf keinen Fall einschlagen will.

  2. Tanja Ammon sagt:

    Danke für diese offenen, zeitgemäßen und treffenden Worte!

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