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Tempo, Rhythmus, Tragkraft – darauf kommt es bei der Schwungentwicklung an

Schritt ist zwar die „schwungloseste“ Gangart, aber keine „schwunglose“ Gangart. (Foto: Christiane Slawik)

Schritt ist zwar die „schwungloseste“ Gangart, aber keine „schwunglose“ Gangart. (Foto: Christiane Slawik)

Eine Leseprobe aus Feine Hilfen Ausgabe 10

Von Desmond O’Brien

 

Der Schritt ist eine schwunglose Gangart, das schnellste Pferd geht am schwungvollsten, und wer vorn gegenhält, wandelt Schub- in Tragkraft um – oft gehört, aber leider falsch. Desmond O’Brien räumt mit gängigen Irrtümern auf und erörtert, worauf es beim Thema „Schwung“ ankommt.

 

Unter „Schwung“ verstehen Reiter die lebhafte, federnde Bewegung des Pferdes, die durch einen kraftvollen Schub aus der Hinterhand entsteht, ein energisches Abstoßen der Hinterbeine, das durch vermehrte Winkelung (= Biegsamkeit) der Hinterbeine dazu führt, dass das Pferd im Rücken elastisch mitschwingt, „den Reiter sitzen lässt“, sich durch einen federnden Gang auszeichnet, das Pferd an das Gebiss herantreten und sich selbst tragen lässt.
Die angeborene Gangqualität kann durch systematische Arbeit im Lauf der Jahre verbessert werden.
Schwung gibt es, entgegen anderslautenden „offiziellen Definitionen“, in allen Gangarten!
Schritt ist zwar die „schwungloseste“ Gangart, jedoch bedeutet „schwungloseste“ nicht „schwunglos“, sondern eben nur, dass es von den zur Verfügung stehenden Gangarten diejenige ist, die eben am wenigsten Schwung hat (1). Sie haben sicher schon mal von „schwungvollem Schritt“ gehört oder ihn schon selbst gesehen oder sogar gefühlt.
Nur gut, dass Pferde keine vom Menschen verfassten Richtlinien lesen.
In heutiger Zeit wird „Schwung“ oft mit „Tempo“ gleichgesetzt. Häufig werden Pferde über dem Tempo gehend vorgestellt. Dabei kommt es zu einer höheren Spannung, in diesem Fall einer „Verspannung“. Das sollte jedoch nicht so sein. Nur wenn das Pferd sich in seiner Bewegung entspannen, loslassen kann, wird es federnde Tritte erzeugen – es wird „über den Rücken“ gehen. Bei einer hohen, permanenten Spannung zieht es die Beine zwar hoch, was vielleicht spektakulär aussieht, jedoch nicht der Gesundheit des Pferdes zuträglich ist. Würde ein Reiter permanent mit einer hohen Körperspannung reiten, hätte er keine Freude am Reiten. Da könnte er genauso gut in die Kraftkammer gehen …

 

 Zum Thema „Tempo“

Tempo ist die Geschwindigkeit, in der sich ein Pferd bewegt. Ein Pferd kann sich sogar ohne Tempo, jedoch immer noch schwungvoll bewegen. Zum Beispiel hat ein Pferd in einer Piaffe („Trab auf der Stelle“) kein Tempo, sehr wohl aber Schwung. Man stelle sich ein Grand-Prix-Pferd in einer „schwunglosen Piaffe“ vor – das ist fast undenkbar. Dasselbe gilt für die Galopppirouette: Das Pferd galoppiert um seine Hinterhand, es hat in der Hinterhand praktisch kein Tempo, jedoch Schwung. Auch im „Schulgalopp“ ist das Pferd so versammelt, das Tempo so kurz, dass der Dreitakt des Galopps (Fußfolge: außen hinten, diagonales Beinpaar innen hinten und außen vorn gleichzeitig, inneres Vorderbein, danach die Schwebephase) sich in einen Viertakt verwandelt. (Fußfolge: äußeres Hinterbein, die Diagonale gebrochen: erst das innere Hinterbein, danach das äußere Vorderbein; inneres Vorderbein, Schwebephase.) (2) Kein Tempo, jedoch sehr schwungvoll. Auch in einer Pirouette wechselt die Fußfolge vom Dreitakt in den Viertakt. Ist es dem Pferd möglich, bei zwölf oder zehn Sprüngen den Dreitakt zu behalten, so wird es bei acht oder weniger Sprüngen in den Viertakt wechseln müssen.
Es ist möglich, das Tempo zu verändern. Es ist auch möglich, den Rhythmus zu verändern.
So kann das Pferd das Tempo erhöhen und den Rhythmus verlangsamen (Verstärkung).
Es kann auch das Tempo verlangsamen und den Rhythmus beibehalten (Versammlung).
Manche Pferde erhöhen zwar das Tempo, jedoch auch den Rhythmus. Sie kommen „ins Laufen“.

Sehgewohnheiten

Obwohl viele Reiter immer wieder anderen Reitern zusehen, „sehen“ sie Bewegungen oft nicht. Ob das Auge zu langsam ist oder das Gehirn die gesehene Bewegung nicht verarbeiten kann, weiß ich nicht. Testen Sie es selbst. Im Internet gibt es einen kurzen Film: „Moonwalking bear“ – viel Spaß damit … (https://www.youtube.com/watch?v=Ahg6qcgoay4)

Meist scheitert es daran, dass man nicht weiß, wann man wo hinsehen muss. Man sieht dann nur „ein Stück Fell, das sich bewegt“. Ist einem die Fußfolge geläufig, kann sich das Auge schon auf das nächste abfußende Bein einstellen, es „sieht“ die Bewegung. Mit der heutigen Bildwiedergabe in Zeitlupe ist es möglich, diese Bewegungsabläufe auch im Sehen weniger geübten Menschen zugänglich zu machen. Nach einigen Wiederholungen in Zeitlupe erfasst das Auge die Bewegung dann auch in Echtzeit.
Pferdebeine können des besseren Kontrastes willen auch in unterschiedlichen Farben bandagiert werden. Zwischen „Sehen“ und „Fühlen“ ist zwar immer noch ein Unterschied, aber es ist schon einmal ein Anfang. Eines nach dem anderen … Das „Sehen“ und das daraus resultierende „Fühlen“ ist wichtig, um zum richtigen Zeitpunkt einzuwirken. Der richtige Zeitpunkt ist der, zu dem das Pferd dieser Einwirkung folgen kann – es kann diese Hilfe umsetzen.

Selbsttest

Pferde können (wie wir Menschen auch) Bewegungen nur zu einem bestimmten Zeitpunkt verändern. Versuchen Sie, beim Laufen Ihre Knie höher zu heben, wenn Sie abfußen. Dies wird Ihnen ohne Zweifel gelingen. Nun versuchen Sie, Ihre Knie höher zu heben, wenn Sie aus der Schwebephase kommen, also kurz vor dem Auffußen sind. Das wird Ihnen deutlich schwerer fallen! Auch dem Pferd ist dies praktisch unmöglich.

Von Schubkraft und Anlehnung

Veranlasst man also durch das Treiben, einem Pferd das abfußende Hinterbein weiter nach vorn zu bringen (es winkelt das Bein mehr an), erzeugt es Schub. Dies kann es jedoch nur machen, indem es sich mit dem anderen Bein kraftvoll abstößt (dieses Bein mehr streckt).
Aus dieser in der Hinterhand entstehenden Schubkraft ergibt sich vorn die Anlehnung. Das Pferd tritt an das Gebiss heran, es trägt sich selbst. Ohne Zweifel benötigt man dazu Zügelanzüge, die in Verbindung mit dem Treiben „halbe Paraden“ genannt werden. Diese müssen jedoch sehr kurz und sehr leicht sein, dürfen keinesfalls in ein aktives Beizäumen oder in ein „Riegeln“ ausarten. Sie dauern nur so lange, wie das Pferd braucht, um abzufußen (= vom Abrollen über die Hufspitze bis zum Erreichen des höchsten Punktes der Bewegung). Diese Zeitspanne dauert nur den Bruchteil einer Sekunde, ist also ein Impuls!
Dies gilt auch für die Einwirkung mit der Wade. Treiben ist nur ein Anreiz für das Pferd, eine Bewegung auszuführen. Das Pferd führt sie aus, nicht der Reiter. Möchte sich der Reiter verausgaben, könnte er ja zu Fuß gehen oder Rad fahren. Auf diesen leichten, kurzen Impuls reagiert das Pferd mit einer Bewegung – Aufgabe des Reiters ist es, sich zu überlegen, wie er das Pferd dazu bringt, Schwung zu erzeugen, Schubkraft in Tragkraft umzuwandeln.
Berührt man einen sich drehenden Kreisel, beginnt er zu „eiern“, er kommt aus dem Gleichgewicht und bewegt sich unkontrolliert. Treibt man ein Pferd zu lang, zu spät oder zu fest, kann es sein, dass es ebenfalls aus seiner Balance gebracht wird. So kann ein Pferd im Mitteltrab zwar noch „getrieben“ werden, im starken Trab jedoch nicht mehr. Der Reiter wird es vor der Lektion spannen, Schwung erzeugen, um diesen dann nach vorn herauslassen. Dieser starke Trab sollte sich ganz leicht anfühlen. Treibt der Reiter jedoch, wird es zu Taktunreinheiten kommen. Das Prinzip der Verstärkung ähnelt dem Bogenschießen – erst spannen, dann loslassen. Niemand würde neben dem Pfeil herlaufen und ihm helfen wollen, dass er weiter fliegt.
Tragkraft entwickeln

Diese Schubkraft kann im Lauf der Ausbildung in Tragkraft umgewandelt werden. Dies wird erreicht durch Tritte-Verlängern, Tritte-Verkürzen („zulegen“ und „aufnehmen“) und dem Reiten von Wendungen.
Wird beim Zulegen der Schub erhöht, Schwung erzeugt, der Rahmen länger gemacht, verkürzt er (der Rahmen) sich beim Aufnehmen. Der Schwung muss erhalten bleiben, das Tempo reduziert werden. In der Biegung wird das Pferd veranlasst, sich auf einer Seite zu dehnen, auf der anderen zu verkürzen. Winkelt das Pferd ein Bein weiter, höher oder länger an, belastet es das auffußende Bein länger; im Lauf der Ausbildung beugt es dabei seine Hanken, es beginnt sich zu „versammeln“. Beugt es die Hanken, zieht es quasi die Muskulatur der Oberlinie nach hinten, verkürzt dabei den Rahmen, verbessert die Aufrichtung, wird (noch) leichter in der Hand. Die Versammlung entsteht in der Hinterhand – das Pferd wird also von hinten nach vorn versammelt.
Beim Verkürzen belastet das Pferd seine Beine länger – es „nimmt mehr Gewicht auf“. Diese Aussage wird jedem Reiter ein Begriff sein. Das Gewicht an sich bleibt gleich, die Dauer des Belastens verlängert sich, das Pferd belastet also länger, bildet mehr Muskulatur zum Tragen aus. Daraus ergeben sich „kadenzierte Tritte“ (die höchste Kadenz zeigt sich in Piaffe, Passage und in der Galopppirouette). Das Tempo wird verringert, Takt und Rhythmus sollten gleich, der Schwung erhalten bleiben. Diese verbesserte Tragkraft kann dann wieder in mehr Schubkraft umgewandelt werden. So ergibt sich in der Ausbildung etwa im Trab folgende Reihenfolge: Arbeitstrab, Mitteltrab, versammelter Trab, Piaffe, Passage, starker Trab.

 

Korrekturen an der Longe …

Geht der Schwung verloren, aus welchen Gründen auch immer, muss er wiederhergestellt werden, auch wenn man dazu in der Ausbildung ein oder zwei Schritte zurückgehen muss. Nützlich ist es, den Grund dafür herauszufinden. Es könnte sein, dass der Reiter mit zu viel Handeinwirkung reitet. Er könnte zu viel und zu lange treiben. Er könnte zu wenig loben oder das Pferd immer wieder überfordern. Aus diesen und anderen Gründen könnte das Pferd die Motivation an der Mitarbeit verlieren, es wird weniger gehfreudig werden, weniger Schwung erzeugen, schwunglos gehen. Weder Pferd noch Reiter werden Freude an dieser Art der Bewegung haben. Werden Pferde vorn „festgehalten“, erhöht sich der Druck auf die Zunge des Pferdes. Das ist sehr unangenehm! (Ihr Zahnarzt kann Ihnen helfen, dieses Gefühl nachzuempfinden, indem er bei der nächsten Zahnkontrolle mit seinem Spiegel auf Ihre Zunge drückt. Sie können ihm ja Handzeichen geben, wie hoch der Druck sein soll und wie lange er andauern soll. Richten Sie sich dabei nach Ihrer Einwirkung beim Reiten.)
Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, diese Situation zu verbessern. Eine davon wäre, das Pferd frei laufen zu lassen oder es an die Longe zu nehmen. Am besten bewährt hat sich dazu die Verwendung eines Kappzaums. Das Pferd läuft ohne Belastung durch den Reiter, es wird weder von der Hand, einem zu lange treibenden Bein oder einem festgehaltenen Sitz in seinem Bewegungsablauf gestört. Da kein Gebiss auf die Zunge oder die Laden drückt, kann sich das Pferd im Maul erholen und entspannen. Hin und wieder ein Leckerli fördert das Kauen und damit das Loslassen. Je nach Geschicklichkeit des Longenführers können alle Gangarten abgerufen werden. Durch die damit einhergehenden Übergänge wird das Pferd veranlasst, seinen Rahmen zu verlängern und zu verkürzen (der Rahmen ist im Schritt länger, im Trab kürzer, im Galopp noch kürzer. Den kürzesten Rahmen hat das Pferd in der Piaffe). Dies ist daher eigentlich nur ohne Hilfszügel möglich. Auch Tempounterschiede (zulegen und aufnehmen) helfen. Ebenso kann der Zirkel verkleinert, die Biegung erhöht, der Zirkel wieder vergrößert, die Biegung verringert werden.
Es liegt beim Zulegen am Geschick des Longenführers, das Pferd dazu zu bringen, einerseits sein Tempo zu erhöhen, die Schritte, Tritte und Sprünge zu verlängern, den Takt der jeweiligen Gangart zu behalten, andererseits den Rhythmus jedoch zu verlangsamen (längere Sprünge bedeuten höheres Tempo, mehr Zeit in der Schwebephase und damit einen langsameren Rhythmus).
Beim Aufnehmen wird das Tempo reduziert, die Schritte, Tritte und Sprünge verkürzt, der Takt bleibt gleich, der Rhythmus wird jedoch fleißiger. Nicht vergessen, dies erfolgt im Rahmen einer Korrektur. Normalerweise sollte auch beim Aufnehmen der Rhythmus gleich bleiben. Eine Anforderung, die für ein junges oder ungeübtes Pferd jedoch schwer zu erfüllen sein wird.
Beherrscht der Longenführer Longe und Peitsche, kann er dazu übergehen, das Pferd an der Doppellonge zu arbeiten (erst nur mit dem Kappzaum, dann mit Kappzaum und Trense, später nur mit Trense). Wendungen nach außen kommen nun hinzu, ebenso das Schulterherein, Travers und die Wendungen um die Hinterhand, je nach Geschicklichkeit in verschiedenen Gangarten. All diese Lektionen können später auch wieder unter dem Sattel ausgeführt werden. Schafft es der Reiter, sich am Boden mit wenigen Hilfen verständlich zu machen, so sollte ihm das auch vom Sattel aus gelingen. Beachte: Das Pferd spürt das Gewicht einer Fliege auf dem Fell! (3)
Durch diese Übungen wird, von der Hinterhand ausgehend, Schwung erzeugt, an der Longe ohne das zusätzliche Gewicht des Reiters, für das Pferd also leichter umzusetzen. Dieser Schwung setzt sich durch das gesamte Pferd bis nach vorn ins Genick fort. Dadurch löst sich das Pferd, es entspannt sich. Durch dieses Entspannen wird es seinen Unterkiefer loslassen (wenn der Kappzaum nicht zu eng verschnallt ist), im Genick nachgeben, den Rücken schwingen lassen und mit der Hinterhand federnd gehen können.

Den gesamten Artikel lesen Sie in Feine Hilfen Ausgabe 10!

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Category: Aktuelle Themen, Dressur

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