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Schritt für Schritt ins Schulterherein

Schritt für Schritt ins Schulterherein

 

Selbst der Versuch des Schulterhereins bringt Reiter und Pferd vorwärts. (Foto: YanLev/ Shutterstock.com)

Aller Anfang ist schwer. Nur der Hals der Pferdes ist nach innen gezogen, die Schulter klebt am Hufschlag. Immerhin: Selbst der Versuch des Schulterhereins bringt Reiter und Pferd vorwärts.
(Foto: YanLev/ Shutterstock.com)

Von Sybille Wiemer

 

Das „Schulterherein“ ist eine faszinierende Lektion. Reitmeister bezeichnen diese Übung als „Mutter aller Seitengänge“ oder als „Aspirin des Reitens“. Beschrieben wird damit ein sehr komplexes Zusammenspiel zwischen Pferd und Mensch, bei dem beide Körper einen mehrschichtigen und vielförmigen Bewegungsablauf zu koordinieren haben. Dabei müssen sich beide in ungewohnter Weise in Raum und Lage orientieren, ihr Körperschema neu erfahren und wahrnehmen und sich dabei gemeinsam in allen Gangarten

 

Wenn ein Pferd Schulterherein zu beiden Seiten gleichmäßig beherrscht, wird seine Beweglichkeit, Schub- und Tragkraft gefördert und verbessert. Auch das Geraderichten fällt ihm danach sehr viel leichter. Das Gleichgewicht sowohl zwischen Hinter- und Vorhand sowie in seitlicher Ausrichtung wird geschult und optimiert. Gelingt es einem Reiter, ein im Schulterherein ausgebildetes Pferd auf beiden Händen in dieser Lektion vorzustellen, wird deutlich, dass er seine ihm eigene natürliche Schiefe, seine gefühlt gute und schwierige Seite, angleichen und kompensieren kann – er ist in der Lage, zügelunabhängig auf dem Pferd zu sitzen und einzuwirken. Reiter, die in der Lage sind, Pferde in den Seitengängen auszubilden, das Schulterherein zu lehren, brauchen solides Hintergrundwissen, Zeit, Geduld und ein gutes Maß an technischem Geschick.

Ein erstaunliches Phänomen ist zu beobachten, wenn Pferd und Reiter gemeinsam diese Lektion erlernen. Mag das Schulterherein auch noch misslingen, sei es, indem die Abstellung zu groß oder die Biegung unzulänglich ist, das Pferd über die Schulter oder ins Vorwärts ausweicht oder der Reiter sich ungewollt und unbemerkt zur Seite lehnt, so zeigt es doch trotz allem schon eine Wirkung. Zu erkennen ist dies zum Beispiel in dem Moment, in dem das Pferd aus dem Versuch des Schulterherein herausgeht. Das Pferd zeigt sich eventuell freier im Vorwärts oder leichter in der Dehnung. Nach den teils frustrierenden Fehlversuchen wird das Pferd besser in Anlehnung, Schub und Schwung. So werden Pferd und Reiter (und auch der Ausbilder) entschädigt und gleichzeitig motiviert, diese Lektion weiterhin in den Reitalltag einzubauen.

Deutlich gesagt, auch wenn im Lernprozess noch vieles schiefläuft, verbessert schon das Erarbeiten des Schulterherein den gesamten Bewegungsablauf und die Durchlässigkeit. Durch die Schule der Légèreté geprägt, ist es mir wichtig, dem Pferd diese Lektion Schritt für Schritt und in ruhigem Tempo beizubringen. Es sollte jede einzelne Hilfe isoliert verstehen und diese dann zu kombinieren lernen.

 

Herantasten an das Schulterherein

In der Schule der Légèreté werden die Entwicklung und das Erlernen einzelner Komponenten in den Vordergrund gerückt. Das bedeutet, dass der Ausbilder für seinen Reitschüler das Schulterherein in Einzelkomponenten aufschlüsselt:

– Das Maul sollte davor und dabei lebendig sein, das

Kiefergelenk ist stets beweglich.

– Der Pferdehals ist in beide Richtungen biegsam und

flexibel.

– Der Schultergürtel des Pferdes lässt sich beeinflussen,

die Schultern sind beweglich, die Vorderbeine werden

gleichmäßig belastet.

– Das Pferd kennt die Hilfe des Neck reining, es weiß,

dass der am Hals angelegte Zügel die Schulter begrenzt,

am Ausweichen hindert oder seitlich beeinflusst.

– Das Pferd ist reaktiv am Schenkel. Ob beide Schenkel ins

Vorwärts oder ein Schenkel am Gurt ins Seitwärts treibt,

das Pferd reagiert unmittelbar. Sollte dies nicht funktionieren,

wird die Gerte als Verstärker genutzt.

– Das Pferd folgt allen Hilfen leicht und lässt sich fein, in

seinem Gleichgewicht, durchparieren.

Wenn das alles einzeln, aber in Kombination gelingt, lässt man das Pferd zunächst auf einer Volte oder einem Zirkel übertreten. Zur Gymnastizierung darf das Pferd dabei deutlich kreuzen. Erst wenn das alles leicht funktioniert, wird das Schulterherein auf einer Geraden abgefragt. In einer Reithalle kann in dieser Phase des Lernens zunächst die Bande als optische Begrenzung genutzt werden, als Letztes wird das Schulterherein in der Endform geritten und der Abstellwinkel zum Hufschlag optimiert. Es ist umsichtig, bei Misslingen anzuhalten, sich neu zu sortieren oder eine Pause einzubauen. Jede Art von Verbissenheit oder verstärktem Krafteinsatz führt diese Lektion ad absurdum.

Philippe Karl vergleicht diesen Lernprozess in seiner humorvollen Art mit dem Erlernen des Radfahrens. Ein Kind lernt zunächst mit Stützrädern das Treten in die Pedale, das Halten des Gleichgewichts und dann das Lenken. Erst wenn dies alles gelingt, werden die Stützräder entfernt. Auch bei Problemen in der Biegung nimmt Karl einen Fahrradfahrer zum Verdeutlichen. „Sollte der Lenker des Fahrrads blockiert sein, bringt es gar nichts, schneller zu strampeln.“ Zurück in der Reithalle bedeutet es, dass die Biegsamkeit gesichert sein muss, um Schulterherein zu reiten. „Es muss nicht die Lektion selbst wiederholt werden, sondern die Bedingungen, die Einzelkomponenten, müssen trainiert werden.“

Wenn das Pferd die einzelnen Hilfen beherrscht, ist die Kombination viel leichter. Philippe Karl betont, dass ganzheitliches Denken sehr gut und wichtig ist. Aber das Wissen um Hintergrund, Basis und die einzelnen Komponenten ist wegweisend und von großer Bedeutung. Fundiertes Wissen über den Körper des Pferdes, sein Gleichgewicht und seine Haltung ist wertvoll. Die Aufgabe des Reiters oder des Ausbilders ist es, eines nach dem anderen beizubringen und dabei stets die Leichtigkeit, die Légèreté, zu erhalten beziehungsweise unmittelbar wiederherzustellen. Das Besondere im Reitunterricht sei ja, dass der Ausbilder jemanden schult, der jemanden schult, betont Philippe Karl. Der Ausbilder nutzt also Übungen um die Lektion herum, um den Reiter zu schulen, der das Pferd schult. „Man kann einem Kind, das noch nicht laufen und springen kann, das Tanzen nicht beibringen.“

 

Den kompletten Artikel lesen Sie in Feine Hilfen Ausgabe 3.

Category: Besondere Themen

Comments (2)

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  1. blackeye sagt:

    steht alles in der Deutschen Reitlehre

  2. …sehr schöner Artikel..!!!!

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