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Reiten mit Gebiss: sinnvoll oder Tierquälerei?

11AFotografie/shutterstock.com

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Ein Stück Metall im Pferdemaul bietet immer wieder Anlass für Diskussionen. Ist das Gebiss sinnvolle Unterstützung bei der Gymnastizierung oder bereitet es dem Pferd Schmerzen? „Befreie Dein Pferd – befreie Dich selbst“ – Autorin Maksida Vogt und Branderup-Schülerin Bianca Grön schildern ihre Sicht auf das Thema.


Gebisse – warum eigentlich?

Von Maksida Vogt

Seit Jahrtausenden benutzen die Menschen Gebisse, um das Pferd gefügig zu machen. Dies funktioniert über Schmerzen, die das Gebiss verursacht. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Eigentlich gibt es keinen Grund, ein Gebiss zu benutzen – außer man will das Pferd durch den Schmerz kontrollieren. Das sollte sich jeder Reiter in ganzer Deutlichkeit bewusst machen.
Häufig wird argumentiert, dass die Art der Zügelführung einen Unterschied zwischen Schmerz und Nutzen des Gebisses ausmacht. Wenn es uns wirklich um das Wohl des Pferdes geht, dann hat dieses Argument aber keine Gültigkeit. Denn es wird nur benutzt, wenn der Mensch vom Pferd bestimmte Resultate will und dabei keine alternative Möglichkeit in Betracht zieht.
Die Liste der durch Gebisse verursachten gesundheitlichen Probleme ist lang, und sie ist unabhängig von der Zügelführung und von dem, der die Zügel führt:

  • Gebisse verursachen allein durch ihre Präsenz und den punktuellen Druck auf die in den Schleimhäuten liegenden Nervenenden Schmerzen an Unterkiefer und Zahnfleisch. Wenn Ihr Zahnarzt einmal den Nerv ohne Betäubung getroffen hat, dann haben Sie eine Vorstellung davon, wie sich ein Gebiss für das Pferd anfühlt. Es entwickeln sich Entzündungen, die sich auf größere Bereiche des Gesichts und des Kopfes ausbreiten können. Das Pferd wird durch diesen Schmerz kontrolliert. Oft sehen wir die Reiter, die mit ihrer ganzen Kraft an den Zügeln ziehen. Wir brauchen Gesetze, die hier greifen und derartige Einwirkungen auf das Gebiss verbieten. Sie denken, Sie reiten mit weicher Hand? Dann trauen Sie sich doch einmal, es ohne Gebiss zu versuchen und das Gleiche von dem Pferd zu verlangen, was Sie ansonsten tun. Sie werden eine deutliche Antwort von Ihrem Pferd bekommen, ob Sie bisher handunabhängig geritten sind.
  • Des Weiteren sind sowohl Lunge als auch Kehlkopf unmittelbar durch die Nutzung von Gebissen betroffen. Das Pferdemaul dient der Nahrungsaufnahme. Diese ist für das Pferd gleichzusetzen mit Sicherheit und Ruhe. Erschrickt ein Pferd und/oder strengt es sich körperlich an, befindet sich normalerweise nichts in seinem empfindlichen Maul. In Bewegung muss es viel Luft aufnehmen, um genügend Sauerstoff in alle Körperzellen zu bringen. Deshalb wird der Kopf-Hals-Winkel gestreckt, der Kehlkopf geöffnet, der Kehlknorpel parallel gestellt und die Öffnung im weichen Gaumen erweitert. Befindet sich ein Gebiss im Maul, dann kommt es durch einen Nervenreflex, welcher der Nahrungsaufnahme dient, zu einem Konflikt: Der Kehldeckel schließt sich und es wird vermehrt Speichel produziert. Das behindert unter anderem die Atmung, besonders wenn ein Pferd sehr deutlich schäumt. Außerdem kommt es zu Krämpfen in den verschiedenen Muskeln des Kehlbereichs, die sich manchmal nicht mehr lösen können. Das Pferd wird schlimmstenfalls zum Kehlkopfpfeifer. Oft wird es dann einer OP unterzogen, die mehr Schäden verursacht, als dass sie nützt. Die Luftröhre wird komprimiert und das Zwerchfell zieht sich zurück, wodurch Unterdruck in den Alveolen (Lungenbläschen) entsteht, da die benötigte Luftmenge nicht schnell genug einströmen kann. Dies kann zu Lungenödemen und/oder Lungenblutungen führen (tritt oft bei Rennpferden auf).
  • Wird der Hals des Pferdes künstlich in eine aufrechte Position gebracht (wie in einer mittels Gebiss erzwungenen Versammlung), dann rutscht der Unterkiefer zurück und die Zähne liegen nicht mehr passend aufeinander. Die Zähne werden in einem unnatürlichen Winkel „geraspelt“. Es bilden sich messerscharfe Kanten.
  • Durch die Nutzung von Gebissen wird sogar der Stoffwechsel des Pferdes schwer beeinträchtigt. Dadurch, dass keine gesunde Atmung möglich ist, befindet sich in der Atemluft immer weniger Sauerstoff. Durch diesen Mangel können die Muskeln, vor allem auch der Herzmuskel, nicht richtig funktionieren. Ist das Pferd zudem noch beschlagen, dann ist der Hufmechanismus stark eingeschränkt und das Herz muss die fehlende Pumparbeit der Hufe ausgleichen. Das Herz steht unter enormem Stress. Das sind meiner Ansicht nach die Gründe, wenn Sportpferde den „plötzlichen Herztod“ erleiden.

Dies sind nur die wichtigsten und alarmierendsten Gründe, weshalb Gebisse nicht verwendet werden dürften. Viele weitere kommen dazu, wie zum Beispiel: die Quetschungen der Ohrspeicheldrüse, entzündliche Atemwegserkrankungen, Verletzungen der Halswirbelsäule, Verhaltensabweichungen aufgrund des Schmerzes und vieles mehr. Meiner Ansicht nach steht die Nutzung von Gebissen also im direkten Widerspruch zu unseren Tierschutzgesetzen.
Ich stelle mir immer wieder die Frage: Warum werden Gebisse trotz unseres heutigen Wissensstands noch immer verwendet? Eine mögliche Antwort: Wenn ich als Mensch mein Pferd mit Gebiss reite, dann im Allgemeinen aus zwei möglichen Gründen: Entweder fehlt mir das Wissen darüber, was dieser Gegenstand an Körper und Psyche meines Pferdes anrichtet. Oder ich besitze dieses Wissen und füge meinem Pferd vorsätzlich die mir bekannten Schmerzen und Schäden zu. Leider können wir nicht leugnen, dass gerade im sogenannten „Pferdesport“ das Leiden der Tiere bewusst in Kauf genommen wird, um die gewünschten Resultate zu erzielen.

Im Bereich der Freizeitreiter finden sich meist Unwissen und häufig auch Gruppenzwang als Grund für die Nutzung von Gebissen. Im Prinzip ist der Sachverhalt ganz einfach: Sehen Sie einen Menschen, der sein Pferd mit Gebiss reitet, dann ist dies meiner Meinung nach eine klare Demonstration seiner Unfähigkeit, mit dem Pferd auf andere Weise kommunizieren zu können. Verfüge ich über das notwendige Wissen der Anatomie und bin ich in der Lage, mit dem Pferd auf Augenhöhe zu kommunizieren (weil ich meine Fähigkeiten im wahren Horsemanship ausgebildet habe), wenn ich also das Pferd wirklich verstehe – habe ich es dann noch nötig, ein Eisenstück in das empfindliche Pferdemaul zu legen, um es zu lenken?

Mittlerweile gibt es etliche Pferdetrainer, die uns demonstrieren, dass es ohne geht. Ich nominiere sie hiermit als die wahren Helden der Reitszene, denn sie leben uns Menschlichkeit vor. Und wahre Menschlichkeit schließt aus, einem anderem Wesen Schmerzen zuzufügen.

 

Das Gebiss als feines Werkzeug

von Bianca Grön

Die Nutzung der Kandare hat eine jahrhundertealte Tradition. Die Akademische Reitkunst verbindet die Kultur der alten Reitmeister mit den neuesten Erkenntnissen der Biomechanik. Das Bild mit einem auf Kandare gezäumten Pferd ist somit genauso alt wie die Schriften um die verschiedenen Ausbildungsmethoden.

In der Akademischen Reitkunst ist der Sitz die primäre Hilfe. Alle anderen Hilfen sind ergänzende sekundäre Hilfen. So auch die Zügelhilfen, die in indirekte (zum Führen der Schulter) und direkte (am Kopf des Pferdes) Zügelhilfen unterteilt werden. Hierbei wird entsprechend der Ausbildung des Pferdes entschieden, ob wir gebisslos, kombiniert mit Kappzaum und Kandare oder mit der einhändig geführten blanken Kandare arbeiten. Aus medizinischen und therapeutischen Gründen wird gegebenenfalls auch komplett auf den Gebrauch eines Gebisses verzichtet. Bent Branderup hat hierfür die Kombination aus Kappzaum und Hackamore zu einem „Cavemore“ entwickelt.

In der klassischen Ausbildung des Pferdes beginnen wir aber üblicherweise mit der Arbeit am Kappzaum, den wir in der späteren Ausbildung mit der Kandare kombinieren. Bei dieser Basisarbeit können wir dem Pferd die sekundären Zügelhilfen gut erklären. Es ist wichtig, den Fokus sowohl auf die Formbarkeit des Körpers als auch auf die Motivation und die Kommunikationsbereitschaft des Pferdes zu legen. Die geschulte Hand des Ausbilders ist von daher genauso grundlegend wie die Tatsache, dass das Pferd verstehen muss, was wir von ihm über die Zügelhilfe verlangen. Bent Branderup hat hierzu sehr passend formuliert: „Eine gute Hand sucht nach Informationen, und eine vertrauenswürdige Hand bekommt Informationen.“

Druck oder Durchlässigkeit sind die wichtigsten Informationen, die wir vom Zügel erhalten. Den Druck auf die Reiterhand können wir nicht durch den Gebrauch der Zäumung korrigieren, sondern in erster Linie werden wir uns um eine aktiv untertretende Hinterhand bemühen. Und genau hier liegt das Problem: Wird der Druck durch die auf die Schulter schiebende Hinterhand vom Ausbilder ignoriert, so kann die Kandare oder jegliches anderes Metallstück im Maul des Pferdes durchaus missbräuchlich angewendet werden, da es in einem hochsensiblen Körperbereich des Pferdes Einfluss nimmt. Das Gebiss wird schließlich von der empfindlichen Zunge des Pferdes getragen, womit wir andererseits die Möglichkeit haben, mit einer sehr feinen Hilfengebung zu arbeiten. Wenn ein Pferd den leichten Druck der Reiterhand nicht mit Gegendruck beantwortet, sondern diese Hilfe zu- und durchlässt, dann können wir die Unterkiefermuskulatur lockern und somit einen positiven Einfluss auf das Pferd ausüben. Genauso kann man den gegenteiligen Effekt auslösen, indem man mit Kraft anstatt mit Gefühl reitet.

 

Die Schwierigkeit sehe ich somit also in dem falschen Gebrauch dieses feinen Werkzeugs aus einer Unwissenheit heraus. Solange wir dem Pferd mit dem Gebiss mehr Lockerheit geben und die Arbeit präzisieren können, sehe ich nichts Verwerfliches in seiner Nutzung. Aus meiner Perspektive wäre es sogar fatal, generell eine gebisslose Zäumung als feiner oder angenehmer für das Pferd zu bezeichnen. Wenn ich davon ausgehe, dass das Ziel ein lockeres Pferd ist, das den Reiter gut tragen kann, dann kann hier der falsche Gebrauch einer gebisslosen Zäumung genauso hinderlich sein wie die unsachgemäß geführte Kandare. Es geht also um die bewusste Handhabung des Werkzeugs, das wir im Gebrauch haben.

Zum Problem wird jegliche Zäumung immer dann, wenn die Hand einen konstanten Druck aufbaut. Wirkt sie rückwärts, dann wird im Speziellen bei der gebisslosen Zäumung der Druck auf das Nasenbein des Pferdes zu einer Kompression der Wirbelsäule führen, wodurch Hals und Rücken fest werden und somit die Hinterbeine nach hinten herausschieben. Die Schwierigkeit hierbei wird dann deutlich, wenn der Schub des Pferdes zur Folge hat, dass es auf die Schulter fällt. Stattdessen sollten die vorgreifenden Hinterbeine unter den Brustkorb treten, diesen erheben und somit auch die Schulter „frei machen“. Dadurch können Hals und somit auch der Kopf frei getragen werden. So entsteht keinerlei Druck auf den Zügel. Druck erzeugt nämlich immer Gegendruck und wirkt sich nachteilig auf die von uns gewünschten lockeren Bewegungen des Pferdes aus.

Haben wir den Anspruch an Reiten als Kunst mit dem Partner Pferd, heißt dies auch, dass wir eine ganzheitliche Sicht anstreben müssen. Es ist von Bedeutung, dass wir einschätzen können, welches Werkzeug hier und jetzt das richtige ist. Darüber hinaus geht es uns in der Kunst aber auch darum, dass wir uns selbst – im wahrsten Sinne des Wortes – gut im Griff haben und nicht etwa unser Pferd.

Genau wie in jeder anderen Kunst muss man wissen, was für ein Werkzeug man in der Hand hält und was man damit erreichen möchte. Heutzutage werden andere Künste wie selbstverständlich als solche bezeichnet und geschätzt. Wenn man die Kunst des Geigespielens studiert, ist es selbstverständlich, dass man lernt, aus welchem Holz die Geige ist und aus welchem Jahrhundert sie stammt. Und natürlich ist es wichtig, die Noten lesen zu können, zu wissen, wie der Bogen gehalten und benutzt und mit wie viel Druck er geführt wird. Man muss wissen, wie viel Geschmeidigkeit in den Handgelenken angemessen ist und wie geatmet werden muss, damit der Ton besser herauskommt und der Bogen gleichmäßig geführt wird. Dann beginnt man zu üben. Mehrere Stunden am Tag, um präziser zu werden. Dennoch dauert es Jahre, bis man ein Lied von Bach spielen kann.

Warum ist uns diese Selbstverständlichkeit des Lernens und der Sachkenntnis in der Reiterei abhandengekommen? Sofern wir auch das Reiten als Kunst sehen, sind verschiedene Tugenden wie Geduld und Beharrlichkeit von großer Bedeutung. Es ist zudem natürlich wichtig, dass wir uns nicht bloß mit den verschiedenen Werkzeugen und der Biomechanik beschäftigen, sondern vielmehr auch mit dem Individuum, das, was wir vor uns haben, genauso wie mit uns selbst – denn der Leitsatz in der Akademischen Reitkunst lautet: Zwei Geiste wollen, was zwei Körper können.

Somit ist mein Fazit zu dem Thema, dass ich ein zufriedenes Pferd nicht daran festmachen kann, ob der Reiter mit Gebiss oder gebisslos reitet. Es ist vielmehr die Art und Weise, wie das jeweilige Handwerkzeug eingesetzt wird.

 

Category: Besondere Themen

Comments (36)

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  1. sarah henne sagt:

    das ein gebiss sowas anrichtet wusste ich nicht.Reite schon monate ohne gebiss und esklappt genauso wie mit gebiss

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