Natürliche Schiefe & Balance
von Christoph Ackermann +++ LESEPROBE aus Feine Hilfen 40 +++
(Foto: Christoph Schaffa, München)
Die körperliche Balance des Pferdes (horizontal und vertikal), das seelische Gleichgewicht und der Balancesitz des Reiters führen zur gesteigerten Form der Durchlässigkeit, die mit dem Reifegrad der Versammlung einhergeht. Christoph Ackermann erklärt in FEINE HILFEN, wie er den Ausgleich der natürlichen Schiefe des Pferdes erreicht.
Richtig gut geradegerichtet ist unser Pferd erst, wenn Vor- und Hinterhand auf eine gemeinsame Hufschlaglinie eingerichtet sind. Dabei ist es ganz gleich, ob diese gerade oder gebogen verläuft. Unser Pferd wird also auf beiden Körperseiten gleich wendig, beweglich, aktiv und natürlich gleich durchlässig. Unser Pferd lässt die Hilfen nach allen Richtungen durch seinen Körper durch und das ohne jede Verzögerung. Wir sprechen hier auch vom sogenannten Sekundengehorsam, der nur stattfindet, wenn unsere Hilfe vom Pferd akzeptiert sowie umgesetzt werden kann, und zwar von der Hinterhand bis zum Maul und genauso umgekehrt. Hier kommt dem intakt arbeitenden Rücken eine ganz entscheidende Funktion zu. Er ist sozusagen der Vermittler der vermehrten Lastübernahme auf die
Hinterhand, welche sich durch die vermehrt gewinkelten Hanken auszeichnet. Die Hinterbeine können nun weit vor, in Richtung der Schwerpunktlinie von Pferd und Reiter treten.
Je gleichmäßiger das Pferd im Takt marschiert, sich also schon gut im Gleichgewicht befindet, desto mehr können wir an der Geraderichtung arbeiten. Dorthin zu gelangen ist für uns Reiter mit Sicherheit eine sehr schwere Aufgabe. Diese erfordert, dass wir die vorangegangenen Stufen der Ausbildungsskala erfolgreich – im Sinne einer fundierten Gymnastizierung – gemeistert haben.
Seelisches Gleichgewicht
Das seelische Gleichgewicht wird beim Pferd insbesondere durch das Limbische System (Bauchgefühl) gesteuert. Es spielt nicht nur in der Umsetzung
der Losgelassenheit eine ganz wichtige Rolle, sondern auch in der kooperativen Leistungsbereitschaft unseres Vierbeiners. Denn das Pferd soll weder Widerstand leisten noch über die Maße Kraft verbrauchen, sondern minimalistisch nur so viel seiner körperlichen Möglichkeiten einsetzen, wie es unbedingt braucht, um dem Willen des Reiters gerne folgen zu können. Das Lockere steht im Vordergrund!
Natürlich beeinflusst ein guter Balancesitz, mit unabhängiger Hand, der sich in die Bewegungsschwerpunktlinie des Pferdes störungsfrei einfügt, ganz entscheidend das Gleichgewicht des Pferdes im positiven Sinne. Gleichzeitig fördert dieser damit die Geraderich- tung unseres Vierbeiners, der sich dadurch auf dem Weg zur gesteigerten Versammlung befindet. Wir sitzen auf der Seite tiefer (innen deutlicher), auf der das Pferd in der Hanke und damit auch im Rücken tiefer kommt. Die Schwerpunktlinie des Pferdes ändert sich dadurch, und wir haben uns einzufügen, wenn wir das Pferd in der kooperativen Losgelassenheit nicht stören wollen.
Gerade Egon von Neindorff legte von daher enormen Wert auf den richtigen Reitsitz. Er forderte von seinen Reitern einen aufrechten Torso mit lockeren Schultern und lockerer Hüfte. Er verlangte gleichzeitig einen tiefen, ruhigen Sitz, das bedeutet auch ein „langes Bein“ mit einem tiefliegenden Knieschluss und einer am Platz agierenden, ruhigen Hand. Dabei rückte der Oberkörper des Reiters, im Hinblick auf die gemeinsam zu erbringende Leistung, immer wieder in den Vordergrund. So hatte ich bereits die ersten S-Siege vorzuweisen und musste, wie alle ande- ren auch, immer wieder an die Longe, um Sitzübungen zu absolvieren. Sobald ich mich mit meinem Oberkörper bewegte, meinte er, dass ich wie ein Tunierreiter säße. Absolute Stille in den lockeren Aktionen des Reiters waren ihm wichtig. Jedes falsche Sitzen wirft das Pferd aus dem Gleichgewicht, zurück in die Schiefe und uns in unserer weiteren Ausbildung weit zurück. Das Pferd mit seinen Möglichkeiten, sich individuell, auf natürlichem Weg versammeln zu lassen, stand für Egon von Neindorff vor allem anderen. Nur das richtige Übereinanderlegen der Schwerpunktlinien von Reiter und Pferd brachte in seinen Augen die Kunst hervor, die er „Harmonie mit dem Pferd von Anfang an“ nannte. Das Einfügen des Reiters in die Bewegungsabläufe unseres Pferdes wird nur gelingen, wenn dieser physika- lische Grundregeln des Gleichgewichts im Pferde versteht und diese in einer
Körpersprache, die das Pferd verstehen kann, umsetzt. So stehen die Schultern des Reiters immer parallel zu denen des Pferdes – auch wenn wir in der Wendung die innere Hüfte weiter nach vorne bringen, die innere Schulter geht dabei gleichzeitig zurück und den äußeren Schenkel legen wir eine Handbreit hinter der Lage des inneren, am Gurt liegenden Schenkels verwahrend an. Wir nennen das den Drehsitz.
Neben der Aufgabe, das Pferd durch den eben beschriebenen Balancesitz mit unabhängiger Hand in seinem Gleichgewicht nicht zu stören, müssen wir als Reiter zusätzlich das Ziel haben, das Pferd unter unserem Gewicht in sein natürliches Gleichgewicht zurückzubringen. Das erfordert vom Pferd, sobald es sich in Bewegung setzt, mental, horizontal sowie vertikal in der Balance zu sein. Egon von Neindorff stellte immer wieder die Forderung auf: „Wir sollen dem Pferd helfen, das Richtige auszuführen und es nicht darin stören oder gar behindern!“
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Erscheint am 10. April 2020.
Category: Dressur