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Leseprobe: Die Schulparade- eine vergessene Lektion

von Marius Schneider

Fast vergessen, aber hocheffektiv: Die Schulparade ist vielen Reitern unbekannt. Bent Branderup und seine Ritterschaft der Akademischen Reitkunst haben die historische Lektion wiederentdeckt. Zum Glück: Sie fördert auf schonende Weise Geschmeidigkeit und Lastaufnahme der Hinterhand.

In der Reitlehre blicken wir auf eine jahrtausendealte Geschichte zurück. Seit über 2000 Jahren können wir auf das Wissen alter Meister zurückgreifen, vorausgesetzt, es wurde niedergeschrieben und richtig praktisch umgesetzt. So weiß man heute, dass in der „postnapoleonischen“ Kavallerie alle versammelnden Übungen der akademischen Schulen abgelehnt wurden, weil sie zu umständlich waren, um der simplen Transportreiterei der Armee zu dienen. Somit sind viele Lektionen, die wir in älteren Werken sehen, fast unvorstellbar für heutige Reiter, deren Lehre sich fast immer an der der Kavallerie orientiert. Umso verantwortungsvoller ist heute die Aufgabe, sich auch mit jenen Übungen auseinanderzusetzen, die im Lauf der Jahre in Vergessenheit gerieten. Die Ritterschaft der Akademischen Reitkunst (gegründet von Bent Branderup) bildet eine Gemeinschaft, die es sich zur Aufgabe gesetzt hat, die Akademische Reitkunst in ihrer alten Form wiederzubeleben. Während der Erforschung der alten Aufzeichnung stießen Branderup und die Ritterschaft auf die sogenannte Schulparade.

 

 Meister der Schulparade

Von Xenophon über Baron von Eisenberg und Weyrother bis hin zu Waldemar Seunig – sie alle haben die Schulparade erwähnt. So beschreibt der Grieche Xenophon, wie die Parade dazu führen soll, dass sich das Pferd in den Hanken biegt. Beim barocken Reitmeister Baron Reis von Eisenberg sehen wir die gerade-geradegerichtete Schulparade abgebildet, in der beide Vorderbeine am Boden verbleiben. Im Vergleich dazu ließ sich der Leiter der Spanischen Hofreitschule, Max von Weyrother (1783–1833), bei der Arbeit an der Hand mit der gebogen-geradegerichteten Schulparade porträtieren. Wenn man erst danach Ausschau hält, taucht die Lektion plötzlich überall auf, sowohl in der Kunst als auch in der Literatur. Auch in Waldemar Seunigs 1941 erschienenem „Von der Koppel bis zur Kapriole“ (Olms) ist sie zu finden. Dort schreibt er: „(…) daß die Schulparade sich desto mehr der Vollkommenheit nähert, je größer der Anteil der Last ist, den dabei das Pferd mit gebeugter Hinterhand aufnimmt, und je länger es in dieser versammelten Haltung bei sicherer leichter Anlehnung und vollkommener Aufrichtung und Beizäumung unbeweglich zu verbleiben imstande ist“.

 Über die Natur der Paraden

Gelungene Paraden sind der Schlüssel zum Erfolg. Als Kurzdefinition für eine Parade kann das perfekte Zusammenspiel zwischen Gewichts-, Schenkel- und Zügelhilfen genannt werden. Diese Definition allein bringt den lernenden Reiter jedoch nicht viel weiter. Zunächst müssen die unterschiedlichen Wirkungsweisen unterschiedlich ausgeführter Paraden erläutert werden. Doch was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer halben Parade, einer ganzen Parade und einer Schulparade? Und gibt es eventuell noch weitere Formen der Parade? Ja, denn in der Akademischen Reitkunst unterscheiden wir folgende Versionen:

a)           Die ganze Parade: Eine ganze Parade führt immer zum Anhalten. Sie bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass auch die Bewegung im Pferdekörper endet. Eine ganze Parade führt das Pferd auf der Stelle, mit oder ohne Bewegung. Das beste Beispiel dafür ist ein Pferd in der Piaffe. Hier wird das Pferd in einen Trab auf der Stelle zurückgenommen und bewegt sich weiterhin mit einem Vorwärtsimpuls. Das Gleiche gilt für Schritt und Galopp. Man darf sich aber nicht täuschen lassen, denn nur weil die Gangarten auf der Stelle ausgeführt werden, heißt es noch nicht, dass sie versammelt sind, dazu müsste das Gewicht vermehrt auf der Hinterhand aufgenommen werden. Erst dann entstehen Schulschritt und Schulgalopp. Somit unterscheiden wir eine Campagne-Parade, mit der nur das Tempo reguliert wird, und eine Schulparade, die die Hanken biegt. Dies kann, ohne das Tempo zu ändern, ausgeführt werden.

b)           Während die ganze Parade zum Anhalten führt, findet die halbe Parade innerhalb der Vorwärtsbewegung statt oder benötigt Bewegung zur Ausführung. Denn die halbe Parade bewirkt ein unsichtbares Verzögern der Bewegung, ohne den Bewegungsfluss des Pferdes zu stören. Dieses kann der Reiter nutzen, um den Hinterfuß, der sich im Moment der Parade in der Luft befindet, zu größerem Vorgriff aufzufordern. Sinn und Zweck der halben Parade ist es, die Hinterbeine vermehrt unter den Schwerpunkt zu treiben. Diese Aktivität der Hinterbeine wird durch die Schwingungen des Rückens bis in die Hand des Reiters geleitet. Von dort aus kann wiederum durch Paraden Einfluss auf die jeweilige Situation genommen werden.

c)           Zwischen der ganzen Parade und der halben Parade liegt jedoch viel Spielraum! Aus diesem Grund sollte die Vorstellung einer Dreiviertelparade hinzugefügt werden. Eine Dreiviertelparade löst ein sichtbares Zögern aus. Sie macht das Pferd also langsamer. Während diese Parade das Pferd in seinem Gang merklich verzögert, dienen die Viertel- und Achtelparaden eher dem vermehrten Hineinfühlen in das Pferd.

d)           Viertelparade: Diese dient zur Korrektur der einzelnen Abschnitte der Wirbelreihe, damit diese offen für die Parade werden. Eine Parade bei falscher Formgebung würde die Hinterhand eher zum Ausfallen oder Rückwärts-Heraustreten bringen.

e)           Achtelparade: Dabei überprüft die fühlende Hand, ob sich alle Wirbel bis in das Becken hinein auf ihrem Platz befinden und somit eine Parade durch den ganzen Körper zulassen.

 Was bedeutet „Schulparade“?

Die Schulparade ist eine Aufforderung, die das Pferd in den Hanken zu vermehrter Beugung animiert. Das Pferd soll sich in Lende, Hüfte, Knie- und Sprunggelenk beugen. Bildlich gesprochen sieht es so idealerweise aus, als ob das Pferd sich auf einen Stuhl setzt. So bekommt die Begrifflichkeit „setzen“ im Zusammenhang mit Hankenbeugung einen Sinn. Durch das vermehrte Beugen der Hinterhand wird ein Heben des Brustkorbs veranlasst. Es ist aber weniger ein Heben der Vorhand, sondern mehr ein Senken der Nachhand unter den Brustkorb, das dazu führt, dass das Pferd sich und seinen Reiter trägt. Die Art, in der das Pferd seinen Brustkorb trägt, soll zur Erhebung der Vorderhand führen und die Tätigkeit von Schulter und Vorderbeinen verbessern. Deswegen ist es verständlich, dass eine Erhebung, in der die Vorderbeine nicht den Boden erreichen können, auch nicht zu einer positiven Gangentwicklung führt. Es muss also ein Tragen des Brustkorbes zustande kommen, das die Grundgangarten fördert. Dabei kommt es zu einer Verlagerung des Schwerpunktes. Nicht die Hinterbeine werden zur Masse geführt, sondern der Schwerpunkt des Pferdes schweifwärts verschoben. Ab dem Moment, wo die Vordergliedmaße ihre stützende Funktion reduziert und die unterstützende Wirkung der Hinterbeine überwiegt, werden die Schultern des Pferdes leichter und frei beweglich. Somit wird verständlich, warum eine Levade als Steigerung der Schulparade eine klassische Lektion und damit grundgangartenfördernd ist und eine Pesade (nahezu senkrechtes Steigen) nicht.

 Zentimeter für Zentimeter

Foto: Nadine Nover

Foto: Nadine Nover

Die Schulung der Parade wird, wie die Schulung jeder anderen Bewegung auch, durch Hilfen vermittelt. Somit fängt man nicht mit dem Endprodukt an, sondern entwickelt die Reaktion auf die Hilfengebung allmählich aus dem natürlichen Stehen. Die Basis einer jeden Schulparade  ist die korrekte Formgebung beim stehenden Pferd. Ab dem Moment, wo das Pferd verstanden hat, im Stehen vorwärts-abwärts zur Ausbilderhand zu suchen, kann durch die Stellung und Biegung vermehrt Einfluss auf seinen gesamten Körper genommen werden. Diese Formgebung wird bereits durch Paraden eingeleitet.
Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Balanceverschiebung. Aus den formgebenden Paraden, Viertelparaden, resultiert Durchlässigkeit. Diese ermöglicht dem Ausbilder, das gesamte stehende Pferd in sich zu bewegen und sowohl seitlich als auch horizontal in der Balance zu verschieben. Erst gibt man ihm im Vorwärts-abwärts die Formgebung des Schulterhereins, dann die des Kruppehereins. Wenn das Pferd sich gleichmäßig zwischen den Schulterblättern ausrichten lässt, kann die Parade weiter in den Körper nach hinten geführt werden. Dafür sind keine starken Hilfen nötig. Man muss sich vorstellen, dass man die 500 Kilo des Pferdes mit einem Finger verschieben könnte. So muss sich eine hankenbeugende Parade anfühlen. In dem Moment, in dem die Hand des Ausbilders Widerstand spürt, drückt das Hinterbein des Pferdes gegen die Hand. Erst wenn Nachgiebigkeit in den Gelenken vorhanden ist, wird die Parade vom Pferd angenommen und ausgeführt. Die Parade soll das Gefühl von einer Abwesenheit jeglichen Widerstandes bis in die Sprung- und Fesselgelenke hinein vermitteln.

 

Den kompletten Text lesen Sie in Feine Hilfen/Ausgabe 5.

Category: Besondere Themen

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