Feine Hilfen: Interview mit Christian Carde
In der aktuellen Ausgabe 33 der FEINE HILFEN geht es um Reiten und Reitkunst in Frankreich. Wir wagen einen Blick über den Tellerrand unseres eigenen Landes und lassen die Franzosen selbst erzählen, über was sie sich Gedanken machen und wie sie die Reitkunst im eigenen Land wahrnehmen. Da passt es auch, dass gerade jetzt ein neues Buch erschien, das sich mit der Reiterei französischer Tradition befasst. Einer der beiden Autoren ist Christian Carde, ehemaliger Ecuyer en chef des Cadre Noir von Saumur. Wir befragten ihn für unsere Leser zu seinem Buch und zur französischen Reitkultur.
Christian Carde (rechts), ehemaliger Ecuyer en Chef des Cadre Noir, hat gemeinsam mit der Journalistin Silke Rottermann (links) ein Buch geschrieben, das im Januar im Olms Verlag erschien.
FEINE HILFEN: Herr Carde, gerade ist von Ihnen ein neues Buch im OLMS – Verlag erschienen- möchten Sie uns erzählen, worum es darin geht?
Christian Carde: Es handelt sich um ein Buch, das ich gemeinsam mit Silke Rottermann geschrieben habe und das praktisch aus drei Teilen besteht. Wie der Titel schon zeigt, „Dressurreiten. Zwischen Tradition und Moderne“, haben wir versucht, über eine Reiterei deutscher Tradition und über eine Reiterei französischer Tradition zu sprechen, haben uns mit den deutschen und den französischen Meistern beschäftigt und sind dann zur heutigen Zeit übergegangen. Wir wollten damit einen geschichtlichen Hintergrund im ersten Teil schaffen, in dem wir anschließend auch über meinen persönlichen reiterlichen Werdegang sprechen. Der zweite und ausführlichste Teil des Buches widmet sich meinem praktischen Ansatz und was ich bei einer modernen Reiterei auf klassischer Basis mit den verschiedensten Aspekten der reiterlichen Praxis für gut erachte. Dazu gehört die Arbeit, an der Hand, an der Longe und schließlich natürlich diejenige im Sattel. Der dritte Teil ist eine Sammlung von Artikeln, die ich für Magazine in anderen Ländern, geschrieben habe. Darin geht es prinzipiell immer um das Kernthema des Buches : Wie hat sich der Dressursport seit seinen Anfängen bis heute entwickelt, mit welchen Problemen hat er heute zu kämpfen und warum ich ihn dennoch für wichtig erachte. Auch hat es einen kurzen, bisher unveröffentlichten, Briefwechsel zwischen Jean-Claude Racinet und mir, der sich mit dem Thema «Baucherismus und Dressursport» beschäftigt, in diesem Teil.
FEINE HILFEN: Für die nächste Ausgabe der FEINE HILFEN habe ich sehr viele Recherchen angestellt und bin so auch auf Ihr Buch gestoßen. In diesem Buch schreiben Sie, dass eine „Reiterei nach französischer Tradition“ als immaterielles Weltkulturerbe bei der Unesco geführt wird, dass eine genaue Definition dieses Begriffes jedoch nicht vorhanden ist. Das sorgt seit einiger Zeit für Wirbel in Frankreich. Wie stehen Sie dazu?
Christian Carde: Wissen Sie, wir Franzosen sind große Theoretiker. Wir haben viele Ideen, aber, weil wir auch Individualisten sind, wird die „Reiterei nach französischer Tradition“ sehr unterschiedlich wahrgenommen.
Über die klassische Basis, die aus der Renaissance stammt, mit unseren Reitmeistern de la Broue und Pluvinel, sind sich alle einig. Ein wenig später folgte dann la Guérinière. Diese Reitmeister sorgten für einen festen klassischen Sockel. Im 17./18. Jahrhundert gab es dann die Schule von Versailles- ein großer Moment in der Geschichte der französischen Reiterei. Manche Zeitgenossen heute hegen eine gewisse Nostalgie für diese Epoche, die sicherlich brillant war. Allerdings gibt es nur wenige direkte Zeugnisse aus dieser Zeit, weil die Reitmeister aus Versailles selbst nichts schriftlich festgehalten haben. Man sprach über sie, aber sie selbst haben nichts geschrieben. Der einzige, der zu dieser Zeit geschrieben hat, der aber selbst in Paris arbeitete und nicht in Versailles, war la Guérinière. Er schrieb das Meisterwerk „Ecole de cavalerie“.
1750 wurde dann aus militärischen Gründen die Militärschule in Paris gegründet mit Dauvergne als Ecuyer en Chef. So entstand eine Strömung, deren Spuren wir in Saumur Anfang des 19. Jahrhunderts wiederfinden. Frankreich gerät nun in eine Epoche, die der Reitkunst nicht sehr zuträglich war, denn wir sprechen von der Zeit der Revolution und des Kaiserreichs (Empire). Die französische Revolution hat das Land tatsächlich in allen Bereichen erschüttert. Für die Reiterei war dies eine Epoche des Bruches mit Versailles- die Schule von Versailles hat die Revolution praktisch nicht überlebt. Sie wurde zwar Anfang des 19. Jahrhunderts wieder aufgebaut, schloss dann aber 1830 endgültig ihre Tore. Heute gibt es Leute, die der Ansicht sind, dass die Wurzeln der „Reiterei französischer Tradition“ in der italienischen Renaissance liegen, dass sie von den hier von mir genannten Reitmeistern fortgeführt wurde und dass sie sich im Baucherismus fortsetzt.
Die Ecuyers des Cadre Noir haben im 19. und dann im 20. Jahrhundert eine Reiterei auf klassischer Basis entwickelt, die sich allerdings gleichermaßen auf halben Weg zwischen Sport und Reitkunst sieht. Die Ecuyers haben sich dem modernen Sport angepasst, ganz besonders bezüglich des Springsitzes nach Caprilli mit vorgebeugtem Oberkörper. Die Ecuyers haben also gleichzeitig eine akademische Dressurreiterei, aber auch eine Sportreiterei praktiziert. Die Besonderheit an Saumur war gerade diese Kombination von Sport und Kunst. Im 20. Jahrhundert hat sich diese Strömung aus Saumur im ganzen Land verbreitet. Die Offiziere und Unteroffiziere setzten ihre Arbeit nach Beendigung der militärischen Laufbahn häufig als Reitlehrer in den Reitställen fort. Sie haben damit quasi den Rahmen geschaffen für eine Entwicklung der Reitzentren in Frankreich während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nach dem Zweiten Weltkrieg.
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Buchtipp:
Christian Carde ; Silke Rottermann
Dressurreiten. Zwischen Tradition und Moderne
Wie Reitkunst und Sport harmonieren.Olms Presse
ISBN: 978-3-487-08587-6
Category: Aktuelle Themen, Dressur