Erfolgreich loslassen
von Hero Merkel +++ LESEPROBE aus Feine Hilfen 35 +++
Herr de la Broue und nach ihm der Herzog von Newcastle sagen: „Zu einer guten Hand wird erfordert, dass sie leicht, weich und stetig sei. Diese Vollkommenheit hängt aber nicht allein von der Verrichtung der Hand, sondern auch von dem Sitz des Reiters ab: Denn ist der Körper wankend oder in Unordnung, so kommt die Hand aus der Stellung, in der sie sein muss, und der Reiter ist mit nichts als seiner Haltung beschäftigt; nebst dem müssen auch die Schenkel mit der Hand übereinstimmen, weil sonst die Wirkung der Hand niemals genau sein würde. Man nennt dieses in der Kunstsprache, mit Hand und Schenkel übereinstimmen, welches die Vollkommenheit von allen Hilfen ist.
François Robichon de la Guérinière
Schon von Kindesbeinen an haben mich freie Pferde fasziniert. Das Pferd ohne irgendwelche Ausrüstung – wie die Natur es schuf – sollte mein Partner sein. Jeglichen Umgang mit dem Pferd wollte ich auch ohne Equipment meistern können, weil ich davon überzeugt war und noch immer bin, dass ein Beziehungsband stärker hält, als jedes mechanische Hilfsmittel.
Natürlich waren nicht alle von dieser ideellen Überzeugung begeistert – unzählige Male bin ich bei meinen Stallkollegen angeeckt, wenn ich in Begleitung eines freien Pferdes war. Und dies, obwohl ich glücklicherweise auch schon damals recht gut abschätzen konnte, wann ein Halfter zwischendurch doch sinnvoll war. Ich kann mich nicht an eine einzige Situation erinnern, in der meine freien Pferde andere Menschen oder Pferde durch ihr Verhalten gestört oder gar in Gefahr gebracht hätten und dennoch verbreiteten wir angeblich Angst und Schrecken. Freiheit beim Pferd verbanden die Menschen um mich herum damals mit einem Kontrollverlust. Während ich nur an die Kommunikation und an meine Beziehung zu meinen Pferden dachte, dachten die Beobachtenden an Gefahren und unberechenbare Fluchttiere. Heute hätten diese Menschen um mich herum wahrscheinlich mehr Einfluss auf mich, weil ich zu einer ständig hinterfragenden Zweiflerin geworden bin, die weiter lernen möchte. Damals als Teenager hat mich das kalt gelassen: Für mich gab es zumindest mit meinen zwei persönlichen Pferden keine Gefahr. Bis heute geben mir meine ersten drei Pferde erheblichen Halt, wodurch sie mir ein Gefühl von großer Unbeschwertheit schenken. So kann ich heute wirklich mit voller Überzeugung sagen, dass man mit genügend Zeit und einer starken Partnerschaft keinen Gedanken an Kontrolle oder das Festhalten verschwenden muss.
Dafür ist es unerlässlich, die eigene Geschwindigkeit eines jeden Pferd-Mensch-Paares zu berücksichtigen und ihnen die nötige Zeit zum Zusammenwachsen zu geben. Die freie Arbeit ist meiner Meinung nach ein Privileg für eingespielte Teams. Im Folgenden möchte ich mich der nötigen Vorbereitung widmen, um sowohl am Boden frei als auch beim Reiten ohne Zügel mit dem Pferd arbeiten zu können, dem inneren Loslassen des Reiters und meinen Vorbehalten bei der freien Arbeit.
Vorbereitung
Grundsätzlich ist Loslassen eine Frage der guten oder schlechten Vorbereitung. Wenn ich mich auf ein unvorbereitetes Pferd setzte und loslasse, werde ich im besten Fall an Qualität und im schlechtesten Fall an Kontrolle verlieren.
Bereite ich jedoch mein Pferd mental und emotional so vor, dass es ihm leicht fällt, das zu tun, wonach ich frage, so habe ich gute Chancen, die vorhandene Qualität mitzunehmen. Je einfacher dem Pferd die Aufgabe erscheint, desto wahrscheinlicher wird es sie auch gerne frei ausführen. Bei der Dressurarbeit im Speziellen ist das ein Prozess, der lange andauern kann. Erst wenn das Pferd die einzelnen Lektionen mit Leichtigkeit und ohne körperliche Verausgabung ausführen kann und sicher beherrscht, frage ich sie frei ab.
Darüber hinaus sollte der Mensch eine Sprache verwenden, die das Pferd leicht verstehen kann. Ich nutze dafür die Körpersprache, weil das Pferd so keine „Fremdsprache“ lernen muss. Die Kommunikation beginne ich mit Seil am Boden oder mit Kopfstück beim Reiten, um dem Pferd sanft erklären zu können, was ich meine. Dies hat nicht den Zweck, dem Pferd Grenzen zu zeigen oder zu erklären, dass es nicht „Nein“ sagen kann – das Gegenteil ist der Fall, es geht darum, Kommunikation in aller Ruhe aufzubauen und Missverständnisse zu vermeiden.
Wie auch schon de la Guérinière sagte, ist der zentrale Punkt bei dem Dialog mit den Pferden die Körpersprache. In seinem Fall spricht er von der Körpersprache beim Reiten, also dem Reitersitz, aber auch am Boden kann man dieses Konzept übernehmen. Für mich sind hierbei der Fokus und der Energielevel die entscheidenden Aspekte. Beides kann ich sowohl am Boden als auch beim Reiten nutzen.
Meine ausgebildeten Pferde lassen sich aus jeder Position in jede Richtung schicken, im Idealfall lassen sie sich in jede Gangart und in jede Richtung gleichzeitig schicken.
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Category: Dressur