banner ad

Depressive Pferde

Bild2

Nur erschöpft oder schon depressiv? Das Genick dieses Pferdes befindet sich in ähnlicher Höhe wie der Widerrist – eins der typischen Merkmale für eine Depression. (Brendan Howard/shutterstock.com)

 

von Marlitt Wendt

Jährlich erkranken viele Menschen an Depressionen. Die Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten sind äußerst vielschichtig, die Forschung steckt aber noch immer in den Kinderschuhen. Französische Wissenschaftler sind jetzt auf das Pferd als Modell für die Depressionsforschung gestoßen. Ähnlich wie wir leidet es unter strengen Vorgesetzten, schlechten Lebensumständen und Dauerstress bei der Arbeit.

Je mehr die Verhaltensforschung voranschreitet und je enger sie mit anderen Disziplinen wie der Humanpsychologie zusammenarbeitet, desto differenziertere neue Erkenntnisse rund um das Gefühlsleben und die seelische Gesundheit der Pferde entstehen. Eine interessante Studie wurde kürzlich an der Universität von Rennes (Frankreich) durchgeführt. Verhaltensforscherin Carole Fureix und ihr Team wollten herausfinden, ob depressive Pferde als geeignetes tierisches Modell für die humane Depressionsforschung dienen können. Der Grund für die Annahme: Die Tiere ähneln uns. Sie besitzen eine ähnlich komplexe Sozialstruktur wie der Mensch und leiden ähnlich unter bestimmten Arbeitsbedingungen. Carole Fureix und ihr Team untersuchten für ihre Studie „arbeitende“ Pferde, nämlich Schulpferde, die eine tägliche Routine, Kontakt zu anderen „Arbeitnehmern“ und „Vorgesetzten“ haben und unter Stress bei ihrer täglichen Arbeit leiden.

Erstaunlich ist, dass die Forscher bei rund einem Viertel der 59 untersuchten Schulpferde Symptome einer Depression fanden. Dabei stießen sie auf Parallelen zu den Symptomen bei depressiven Menschen. Dazu gehört eine charakteristische introvertierte Haltung, eine verminderte Mimik und ein abgeschwächtes Ausdrucksverhalten sowie eine geringere Aufmerksamkeit bei Ansprache, niedrigere Reaktivität bei gleichzeitig überdurchschnittlicher Ängstlichkeit gegenüber neuen Reizen. Gerade die als charakteristisch dargestellte Kopfhaltung der betroffenen Pferde unterscheidet sich deutlich von der gesunder Tiere. Als depressiv eingestufte Pferde stehen über den Tag verteilt wiederholt in einem Erstarrungszustand mit leerem Blick und fehlender Reaktion nach außen in einer sich von der normalen Ruheposition und der Aufmerksamkeitsposition deutlich unterscheidenden Haltung: Ihr Kopf befindet sich bei nach vorn gestrecktem Hals mit dem Genick in ähnlicher Höhe wie der Widerrist. Diese typische Körperhaltung konnte bei gesunden Tieren überhaupt nicht festgestellt werden.

Sicher wurde bei der vorliegenden Studie eine relativ kleine Auswahl an Tieren beobachtet, die zudem noch ein geringes Spektrum an unterschiedlichen Rassen, Haltungsbedingungen und Nutzungsformen aufwiesen.
So können die Ergebnisse nicht einfach eins zu eins auf sämtliche Hauspferde übertragen werden, sondern weitere Studien sind vonnöten, um genauere Zusammenhänge zu erkennen. Vermuten und teilweise selbst beobachten kann man jedoch, dass zumindest die Vorstufen des echten Krankheitsbildes Depression sehr häufig auch bei Pferden in Deutschland vorhanden sind. Was genau ist eigentlich eine Depression? Die Depression ist eine psychische Störung, in deren Verlauf sich der betroffene Organismus hoffnungslos fühlt. Er befindet sich in einem Zustand der Hilflosigkeit und erlebt sein Leben als freudlos und bedrückend. Ihm fehlt der innere Antrieb und das Interesse an seiner Umgebung. Da es viele verschiedene Krankheitsbilder und Verlaufsformen der Störung gibt, kann es sich auch um mildere Formen wie depressive Verstimmungen oder kurzzeitige Stimmungstiefs handeln, die schon als Vorstufe zur eigentlichen Erkrankung zu sehen sind. Und in dieses Bild passen leider auch sehr viel mehr Pferde als die in der eigentlichen Studie vorgestellten wirklich erkrankten Tiere.

Aus meiner Sicht ist es eines der größten Probleme der heutigen Pferdehaltung und der Ausbildung, dass die seelische Gesundheit und das Wohlbefinden des Pferdes viel zu wenig beachtet werden und über leichte und mittlere Beeinträchtigungen einfach hinweggegangen wird oder diese sogar als „normal“ bezeichnet und damit in Kauf genommen werden. Sehr viele Pferde haben ein für mich als Verhaltensbiologin auffällig herabgesetztes Interesse an ihrer Umwelt, sie „funktionieren“ zwar, scheinen aber nicht wirklich glücklich zu sein. Bei meiner Arbeit sehe ich viele Pferde, die genau die in der erwähnten Studie beschriebenen Symptome aufweisen, die angeblich nur „stur“ oder „faul“ sind oder irgendwie keinen Ausdruck zu haben scheinen. Werfen wir einen Blick auf die Ursachen depressiver Verstimmungen, so kommt es nicht von ungefähr, dass die Gefahr einer Erkrankung beim Pferd überdurchschnittlich hoch ist.

Das Spektrum der möglichen Ursachen für eine Erkrankung im engeren Sinne und die Risikofaktoren für das Leiden an den Vorstufen der Störung sind ungemein vielfältig. So kann an dieser Stelle nur ein Überblick über die wichtigsten Gründe gegeben werden. Je mehr verschiedene Risikofaktoren auf ein bestimmtes Pferd einwirken, desto wahrscheinlicher wird sein Wohlbefinden eingeschränkt sein und desto früher wird es tatsächlich an einer psychischen Störung erkranken. Beim Menschen ist bekannt, dass genetische Faktoren eine Rolle bei der Häufigkeit der Depression spielen. Demnach kann auch beim Pferd angenommen werden, dass bestimmte Pferderassen oder Blutlinien eine besondere Disposition, also eine überdurchschnittliche Neigung für Probleme dieser Art haben. Weitere Forschungen sind nötig, um dieser Fragestellung beim Pferd auf den Grund zu gehen und die Pferdezucht im Sinne der Pferde daraufhin zu sensibilisieren.
Eine große Rolle bei sämtlichen „Stimmungsschwankungen“, emotionalen Verstimmungen und Einschränkungen des Wohlbefindens spielen die Botenstoffe im Gehirn. Im Fall der Depression sind insbesondere die Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin ursächlich am Voranschreiten der Störung beteiligt. Diese biochemischen Botenstoffe übertragen Impulse von Nervenzellen auf andere Zellen und werden als Neurotransmitter bezeichnet. Serotonin soll antriebssteigernd wirken und Stimmung, Wohlbefinden und Schlaf beeinflussen. Noradrenalin soll im Gehirn den Schlafwach- Rhythmus, die Aufmerksamkeit und Gedächtnis- und Konzentrationsleistungen steuern. Außerdem versetzt es das Pferd in Alarmbereitschaft: Puls und Blutdruck steigen und die Aktivität von Magen und Darm wird heruntergefahren. Der Spiegel beider Neurotransmitter weicht bei betroffenen Pferden stark von dem Normalwert ab und zudem sind bei depressiven Tieren die Aufnahmesysteme dieser Stoffe im Gehirn gestört.

Depression als Folge von chronischem Stress und druckbasiertem Training

Als eine der Hauptursachen für die Veränderung der neurobiologischen Balance im Gehirn wird chronischer Stress des Betroffenen angenommen. Im Gegensatz zum normalen, akuten, kurzfristig erlebten Stressereignis kommt es bei anhaltendem Stress zu charakteristischen Veränderungen des Blutstoffwechsels. Vereinfacht gesagt führt eine dauerhafte stressbedingte Stimulation der Nebennierenrinde, der Hirnanhangsdrüse und der damit verbundenen Steuerungsbereiche des vegetativen Nervensystems zu einer Ausschüttung von sogenannten Stresshormonen. Cortisol ist das bekannteste. Seine zunächst verstärkte Ausschüttung führt zu einer Alarmbereitschaft des gesamten Körpers, der damit seine Abwehrkräfte mobilisiert und versucht, sich auf das Stressgeschehen einzustellen. Lässt der Stress nun nicht nach, wie es normalerweise bei punktuellen Belastungen der Fall sein sollte, so führt diese ständige Alarmbereitschaft zu Folgeproblemen. Der Stoffwechsel wird geschwächt, die Produktion von Serotonin und deren Aufnahme im Gehirn wird vermindert und das Immunsystem des betroffenen Tiers wird durch den dauerhaften Ausnahmezustand geschädigt. Ergänzende Studien haben nachgewiesen, dass Stress im Pferdeleben ein bisher stark unterschätztes Risiko darstellt. Sehr viele Pferde leiden anhaltend unter hohen Trainingsanforderungen, unzureichenden Haltungs- oder Fütterungsbedingungen, Stallwechsel, Verlust von befreundeten Herdenmitgliedern und zeigen typische stressbedingte „Berufskrankheiten“. Dazu zählen Magengeschwüre, diffuse Stoffwechselstörungen wie Kotwasser oder scheinbar unerklärliche Durchfälle, diverse Hautprobleme und Schwächen im Immunsystem (…)

 

Den gesamten Artikel lesen Sie in der neuen Ausgabe von Feine Hilfen.

 

Category: Besondere Themen

Comments (7)

Trackback URL | Comments RSS Feed

  1. Michele Schraner sagt:

    Ich habe mir vor 2.5 Jahren eine Stute gekauft, die Anzeichen von Misshandlung zeigte. Vom Boden aus konnte man alles mit Ihr machen, aber sobald man aufsteigen wollte, bekam sie Panik.
    Ich bin der Meinung, wir haben dieses Problem erfolgreich behoben.

    Nun hat mein Pferd seit ich sie Besitze, 3 schwere Unfälle.
    7 Tage nach meinem Kauf, rutschte sie in der Box aus und riss sich das innere Knieband. Nach einem halben Jahr pause und dann langsamer Aufbau. Ging meine damalige Reiterin ausreiten und wurde fast von einem LKW angefahren. Meine Stute fiel hin und hat sich eine Subluxation vom Krongelenk hinten zugefügt.
    Und jetzt, vor 3 Wochen waren wir auf einem gemütlichen Ausritt und wir mussten über eine Brücke nach Hause. Wie kann es anders sein, die Holzbrücke stürzt ein unter uns. Ich konnte absteigen, aber mein Pferd kam mit dem Hinterbeinen nicht mehr raus und rutschte dann durch das Loch, 3 Meter in die Tiefe.
    OK. Glück im Unglück. Sie lebt noch ohne Brüche. Eine Wunde musste genäht werden, ansonst nur schrammen und sicherlich 1000 blaue Flecken.

    Nun hat eine Osteophatin mein Pferd Behandelt, was bitter nötig war. Alles verschoben und verspannt. Ich war nicht dabei. bei der Behandlung war noch eine Bekannte von der Osteophatin die anscheinend sehr bekannt ist und Kommunikationen macht.

    Sie bekam während der Behandlung Bilder übermittelt, diese schockieren mich. Mein Pferd habe eine solche grosse Last von mir zu tragen, welches Sie nicht vermag. Und sie soll Selbstmordgedanken haben.
    Den Instinkt der die Pferde haben, auf den hat sie bei der Brücke nicht gehört. Es sei ihr egal gewesen, als ob den Tod herbeisehnt.
    Ich soll mein Leben in den Griff bekommen…..

    Seit ich denken kann, leide ich an Depressionen. Und ich habe Schicksalsschläge einer nach dem andern. Woher kommt das? Ich mag so nicht mehr. Vor allem, wenn mein Pferd darunter leiden muss.

    Ich weiss, die Geschichte hört sich sicherlich fast unwirklich an.

    Was soll ich machen? oder was kann ich machen? Bin echt verzweifelt.

    • Liebe Frau Schraner,
      vielen Dank für Ihren offenen Kommentar. Ich finde es wunderbar, dass Sie sich solche Gedanken um Ihr Pferd machen. Leider kann ich Ihnen aus der Ferne nicht weiterhelfen und kann Ihnen nur raten, sich professionelle Hilfe zu suchen. Unsere Autorin, die Psychologin Martina Becher beispielsweise beschäftigt sich mit der Psyche von Mensch und Pferd und der Interaktion zwischen beiden. Vielleicht wäre sie eine Ansprechpartnerin? http://www.martina-becher.de/
      Leider weiß ich in der Schweiz keine Adressen.

      Ich wünsche Ihnen aus ganzem Herzen alles Gute und viel Kraft.
      Herzlich,
      Claudia Weingand

  2. Sonja Weiler sagt:

    Vielen Dank für den ausführlichen, sehr informativen Artikel. Ich habe aller Voraussicht nach ein betroffenes Pferd und habe es selbst gemerkt, obwohl ich mich damit nicht auskenne und ihn erst seit einem halben Jahr habe. Allerdings kam er mir immer sehr introvertiert vor und hoch sensibel und zwischenzeitlich extrem ängstlich. Ich bin froh, den Grund erkannt zu haben und hiermit einen Punkt zu haben, gegen den ich etwas unternehmen kann ( mit Hilfe ). Ich selbst leide unter Depressionen und weiss aus eigener Erfahrung, wie schlimm das ist und wie schön das Gefühl ist, wenn einem geholfen wird. Über Tips und Erfahrungen wäre ich jederzeit dankbar!

    Mit herzlichen Grüssen.

    Sonja Weiler

Leave a Reply