banner ad

Beruhigungsmittel – Manipulativer Missbrauch zum Schutz des Menschen?

Sari ONeal/shutterstock.com

Sari ONeal/shutterstock.com

von Stephanie Sieckmann

Kein Sportler kommt auf die Idee Beruhigungsmittel zu nehmen und anschließend mit dem Einsetzen der Wirkung joggen zu gehen. Pferden wird genau das aber zugemutet. Immer mehr Pferde werden nicht nur für Transporte ruhig gestellt, sondern auch für das Führen oder gar das Reiten sediert.

Vor allem für medizinische Behandlungen wie Zahnbehandlungen werden Pferde häufig sediert. Hier ist sicher noch am besten nachzuvollziehen, weshalb eine Sedierung für das Pferd von Vorteil sein soll. Es soll verhindert werden, dass das Pferd durch plötzliche unkontrollierte Bewegungen sich selbst oder den behandelnden Tierarzt verletzt. Interessant ist im Zusammenhang mit derartigen Maßnahmen immer wieder, wie gelassen sich manches Pferd bei dem einen Behandler zeigt, während es sich bei einem anderen hektisch und nervös verhält. Während ein Ruhe ausstrahlender Tiermediziner nur selten zur Spritze greift, um ein Pferd „sicher“ behandeln zu können, gibt es inzwischen reihenweise Tierärzte, die diese Maßnahme prophylaktisch bei jedem Patienten durchführen.
Inzwischen fast schon gängige Praxis ist es, Pferde zu sedieren, die während einer Rehabilitationsphase Schritt geführt werden sollen oder nach einer solchen Phase wieder allmählich geritten werden können. Tierärzte empfehlen dieses Vorgehen sogar oft! Und immer häufiger ist auch zu hören, dass Pferde für das Einreiten sediert werden.

Haben Sie schon einmal versucht ein sechsjähriges Kind auf Ihren Schultern zu tragen oder einen Slalom-Parcours zu absolvieren, nachdem Sie Beruhigungsmittel eingenommen haben? Warum verlangen Menschen ihren Pferden derartige Dinge ab? Der gesunde Menschenverstand sollte jedem Pferdebesitzer sagen, dass für Bewegungsabläufe wie das Tragen eines Reiters kraftvoll funktionierende Muskulatur die Grundvoraussetzung
ist. Ganz besonders, wenn es um das Training der Muskulatur, den (Wieder-)Aufbau von Muskeln geht, kommt die Frage auf: Wie kann die Bewegung, die mit erschlaffter Muskulatur durchgeführt wird, einen Muskel stärken? Eine ganz andere Frage ist, wie sich die Sedierung auf den Lernprozess auswirkt. Das Pferd wird durch die Gabe von Beruhigungsmitteln in einen indifferenten Zustand versetzt, in dem es sich das Gerittenwerden, das Geführtwerden gefallen lässt. Vertrauen wird so nicht aufgebaut! Eine stabile, zuverlässige Pferd-Reiter-Verbindung kann auf diese Weise nicht entstehen.

Ein Beruhigungsmittel ist dazu gedacht, relativ unspezifisch Funktionen des zentralen Nervensystems zu dämpfen. Diese zentrale psychomotorische Hemmung führt zu verminderter Erregbarkeit und verminderter Motorik mit Erschlaffung der Muskulatur, wobei das Bewusstsein nicht wesentlich beeinträchtigt wird. So oder ähnlich ist es unter anderem auch in den meisten Beipackzetteln der sogenannten Sedativa zu lesen, die für Pferde zugelassen sind. Was den Menschen daran begeistert, ist der Zustand der relativen Indifferenz gegenüber der Umwelt, der bis hin zu teilnahmsloser Gleichgültigkeit reichen kann. Dieser Zustand ermöglicht Manipulationen an und mit dem Pferd. Genau das macht es dem Menschen leichter mit einem Pferd umzugehen – sagen wir es ganz offen –, das ihm Angst macht! Ein Pferd, das in der Rekonvaleszenz unter Spannung steht und das sich beim Führen oder Reiten nicht so wohlerzogen und zuverlässig ruhig zeigt wie gewohnt, löst Angst bei dem Menschen aus, der es führt oder reitet. Auch das junge Pferd, das noch nicht die Zeit bekommen hat, sich an den Menschen, den Umgang zu gewöhnen, kann einem Reiter Angst machen. Und was steckt denn hinter der vorgeschobenen Begründung, dass Pferd solle sich um keinen Preis in einer anderen Gangart bewegen oder hochspringen,
da dies die Gesundheit beeinträchtigen könnte? Angst! Die Angst, das teuer bezahlte Pferd könne keine Höchstleistungen mehr bringen, die Angst, die Turniersaison könne endgültig abzuhaken sein, die Angst, selbst
(noch länger) auf das Reiten verzichten zu müssen im Fall der Rekonvaleszenz.

Das Argument, das in all diesen Fällen angeführt wird, lautet stets, dass die Sicherheit des Menschen vorgeht.
Besteht die Gefahr, dass der Mensch durch das Pferd verletzt wird, erscheint es gerechtfertigt, das Pferd mithilfe eines Medikaments ruhig zu stellen. Im Fall von medizinisch notwendigen Eingriffen kann dies durchaus gerechtfertigt sein. Doch die Praxis zeigt, dass zunehmend der normale Umgang mit dem Pferd und sogar das Reiten zum Einsatzgebiet der Beruhigungsmittel werden. Das ist mehr als fragwürdig! Der Mensch mag es eben einfach und unkompliziert. Sogar das Medikament soll schnell wirken. Also gibt man Sedalin oder Domosedan und freut sich darüber, wenn das Mittel endlich(!) nach zehn Minuten wirkt – länger hat das Putzen
nämlich nicht gedauert – damit man endlich loslegen kann

Wir freuen uns auf eine niveauvolle Diskussion. Bitte teilen Sie uns Ihre kompetente Ansicht zum Thema mit.  Sie werden verstehen, dass wir nur qualifizierte und zum Thema passende Kommentare veröffentlichen. Bitte geben Sie unserer Redaktion dafür ein paar Tage Zeit.

Category: Besondere Themen

Comments (5)

Trackback URL | Comments RSS Feed

  1. Maria sagt:

    Hallo

    kann eine Sedierung beim TA nachvollziehen , ein Pferd kommt ohne aus , beim anderen ist es für Mensch & Tier besser ! Zur Beruhigung und weil der Arzt auch noch andere Kunden / Termine hat.

    Beim Reiten finde ich eine Sedierung schon sehr fragwürdig , wobei ich selbst beim Traumatisierten Pferd zu Bachblüten gegriffen habe . ( mit Absprache von Heilpraktiker )

    • Nora Neugebauer sagt:

      Bachblüten sind keine Sedierung. Ein sediertes Pferd ist meines Erachtens nicht reitbar. Man sollte nicht pflanzliche oder homöopathische Beruhigungsmittel mit einer echten Sedierung verwechseln. Vor zwei Tagen wäre mein Pferd beinahe an einer Sedierung für die Zahnbehandlung gestorben. Es brach plötzlich zusammen und hatte einen Kreislaufstillstand. Die TÄ hat blitzschnell reagiert und es geschafft, das Pferd wiederzubeleben. Es war knapp. In Zukunft werde ich es nur mehr im äußersten Notfall sedieren lassen. Die Mittel sind nicht so harmlos ,wie viele denken. Sie dürfen auch nur vom Tierarzt verabreicht werden. Wer sein Pferd auf eigene Faust mit Sedalinpaste ruhig stellt , riskiert ernsthafte Kreislaufprobleme beim Pferd.

  2. claudia sagt:

    Mir fällt dazu nichts mehr ein…

    Mein Pferd ist so ein Kandidat gewesen, der zum einreiten sediert wurde!!
    Und Fazit: Mein Pferd hat sich den Kopf aufgehauen, der Tierarzt musste nähen, aber mein Pferd ließ sich nicht sedieren! 2 std. hat es gedauert!
    Und das nur, weil irgendwelche Idioten früher der Meinung waren, dass es so einfacher isr, ein Pferd einzureiten!
    BESTEN DANK AUCH!

  3. Frank Heilmann sagt:

    Es besteht immer Gefahr im Umgang mit Pferden. Schon wenn ich die Box betrete.
    Ab wann beurteile ich die Gefahr als so groß, daß eine Ruhigstellung gerechtfertigt erscheint ?
    Immer dann, wenn das Pferd dem Reiter über ist.
    Und das muß nicht unbedingt am Pferd liegen. Damit würde das Pferd schon mal für das Unvermögen des Reiters bestraft. Komme ich mit dem Pferd nicht klar, dann ist es eben nichts für mich und ich muß mich trennen oder weiterentwickeln, das hängt sicher vom Fall ab.

    Oder das Pferd wird aus Gründen größerer Exterieur- oder Interieurmängel und/oder Traumata aus z.B. der Einreitphase wehrhaft. In allen Fällen bedeutet dann die Ruhigstellung, das am Symptom und nicht der Ursache gearbeitet wird. Das ist unfair, unethisch und nicht nachhaltig.

    Es stellt sich die Frage, wenn die ernsthaften Bemühungen des Menschen die Gründe für das gefährliche Verhalten abzustellen alle nicht erfolgreich sind, ob man das Pferd überhaupt reiten sollte. Ich meine nein.
    Es gibt eine Menge schöner Dinge außer Reiten, wie Arbeit an der Hand, langer Zügel, Agility, Freiheitsdressur, die man mit dem Pferd erleben und arbeiten kann.

    Wenn ein Pferd prinzipiell drauf ist, wie ein Hooligan auf Koks, sodaß schon der normale Umgang zum Glücksspiel wird, bleiben immer noch Gnadenhof oder Schlachter. Was die angemessene Lösung darstellt ist da sehr individuell zu entscheiden.

    Wir hatten mal ein Pferd, das nach einer Kolik-OP und langem Stehen wieder an die Bewegung herangeführt werden mußte. Es war zwar ein Kaltblut, aber dennoch eine Menge Power drin. Jetzt durfte aber nur Schritt gegangen werden. Das war schon eine Herausforderung den Jungen beim Führen im Schritt zu halten. Hier hätte ich ein gewisses Verständnis mit einer leichten Ruhigstellung dafür zu sorgen, dass er beim Führen geradeaus eine leichte medikamentöse Beruhigung erfährt.

    Sobald aber geritten oder verladen wird sollten Medikamente tabu sein.

    • Nora Neugebauer sagt:

      Also mein Pferd tut freiwillig keinen Schritt mehr, wenn es sediert ist. Der Kopf hängt runter, die Ohren sind auf Halbmast, und es schwankt leicht. Wie kann man ein sediertes Pferd reiten? Werden da leichte Beruhigungsmittel mit Sedierung verwechselt? Was Transporte anbelangt gibt es leider Pferde, die im Hänger so randalieren, dass ein Transport ohne Sedierung lebensgefährlich wäre fürs Pferd. Meines ist so: steigt ein, dreht aber während der Fahrt völlig durch. Wir mussten es für die Fahrt in die Klinik sedieren, sonst hätten wir es nicht hinbringen können. Aber ich würde mit so einem Pferd niemals auf Turniere fahren. Kann mir jemand erklären, welche Mittel den Pferden gegeben werden, damit sie beim Führen oder Reiten ruhiger sind? Eine richtige „Sedierung“ kann das nicht sein.

Leave a Reply