Ausgeschlafen? Schlafdefizit und seine gefährlichen Folgen
von Sylke Schulte +++ LESEPROBE aus Feine Hilfen 40 +++
Jeder von uns weiß, wie sich Schlafentzug auf die eigene Gesundheit auswirken kann und welche Risiken langfristig bestehen können. Doch auch für Pferde ist ein Schlafdefizit gefährlich! Es droht ein erhebliches Verletzungsrisiko, und – besonders besorgniserregend – oftmals können die Halter die Anzeichen selbst gar nicht erkennen. Im schlimmsten Fall müssen betroffene Pferde sogar eingeschläfert werden. Grund genug, sich einmal mit dem Thema Pferdeschlaf auseinanderzusetzen.
Schon Schopenhauer wusste um die regenerierende Wirkung des Schlafes – und diese Bedeutung kommt nicht nur dem menschlichen Ruhen zu. Auch für Tiere sind Ruhephasen – so unterschiedlich sie auch bei den verschiedenen Spezies stattfinden – zur psychischen und physischen Regeneration von großer Bedeutung. Trotzdem wissen nur die wenigsten Pferdehalter tatsächlich Bescheid, wenn es um das Schlafverhalten des eigenen Vierbeiners geht. Das Ruheverhalten eines Pferdes ist nur selten Teil der menschlichen Tagesplanung, dabei ist es für Leistung und Wohlbefinden von entscheidender Wichtigkeit. Neueste Forschungen haben nun gezeigt, dass schlechtes Schlafmanagement oder auch körperliche Probleme bei Pferden zu Schlafmangel führen können … mit ernsthaften Konsequenzen.
Jedem sind die alten „Weisheiten“ bekannt: „Pferde schlafen im Stehen“ oder „Pferde schlafen nie wirklich“ – über das Schlafverhalten der Vierbeiner kursieren viele Gerüchte, Mutmaßungen und Halbwahrheiten. Doch was steckt eigentlich dahinter, und wie wichtig ist die tägliche Rast für Pferde tatsächlich?
Schlafgewohnheiten
Das Schlafverhalten der Pferde ist, wie fast alle ihrer Verhaltensweisen, durch das Leben als Herden- und Fluchttier motiviert und erklärbar. Das Motto „Allzeit bereit“, um Fressfeinden rechtzeitig entwischen zu können, haben sich die Pferde in fast allen Lebenslagen evolutionsbedingt auf die Fahnen geschrieben. In der Natur verbringen Pferde über die Hälfte des Tages mit der Nahrungsaufnahme. Den Großteil der verbleibenden Zeit – rund sieben bis neun Stunden am Tag – verbringen sie zumeist ruhend, in der einen oder anderen Form. Üblicherweise unterscheidet man drei verschiedene Ruhephasen, je nach neurophysiologischer Intensität: Leichtschlaf, Tiefschlaf und REM (Rapid Eye Movement), wobei die unterschiedlichen Stadien außerhalb eines Schlaflabors nicht immer klar voneinander abgrenzbar sind und in der Literatur teils unterschiedlich definiert werden. Diese Ruhe- oder Schlafphasen werden über den Tag verteilt und dauern zwischen einigen Minuten bis hin zu einigen Stunden.
Beim Leichtschlaf stehen die Pferde meist entspannt, oft mit halb geschlossenen Augen, hängender Unterlippe und locker nach außen gestellten Ohren, wobei sie meist ein Hinterbein im Wechsel entlasten. Die Tiefschlafphase kann sowohl stehend als auch liegend verbracht werden. Doch auch in dieser Phase sind die Pferde im Notfall – je nach körperlicher Verfassung – relativ schnell wieder auf den Beinen. In der REM-Phase legt sich das Pferd hin, wobei die Augen meist zumindest teilweise geöffnet sind. Atmung und Herzschlag sowie Gehirnfunktion ähneln dem Wachstadium. In dieser Schlafphase kann man häufig ein Zucken der Gliedmaßen erkennen, was darauf hindeutet, dass auch Pferde Erlebtes im Schlaf verarbeiten. Ob sie allerdings tatsächlich träumen, ist trotz aller Hinweise bisher noch nicht eindeutig bewiesen. Pferde in Boxenhaltung schlafen insgesamt zwischen drei bis vier Stunden pro Nacht, verbringen mehr als die Hälfte der gesamten Schlafzeit im Liegen und legen sich pro Nacht zwischen zwei- und viermal hin.
Risiko Schlafdefizit
Im Jahr 2017 machten sich Dr. Christine Fuchs und ihr Team von der Ludwig-Maximilian-Universität in München auf, das Ruheverhalten von Pferden näher zu erforschen. Zur Motivation erklärt Dr. Fuchs: „An der LMU wird bereits seit einigen Jahren über das Schlafverhalten von Pferden geforscht. Irgendwann traten Pferdebesitzer mit der Diagnose Narkolepsie an den Lehrstuhl heran, da ihre Pferde quasi im Stehen einschliefen. Nach einiger Literaturrecherche stellte sich heraus, dass die Diagnose‚ Narkolepsie‘ wahrscheinlich schlicht falsch war.“ Daraufhin beschlossen die Forscher, die Hintergründe der betroffenen Pferde einmal näher zu untersuchen, um herauszufinden, warum diese Pferde immer wieder und scheinbar ohne ersichtlichen Grund kollabierten.
Um Probanden für die Studie zu finden, rekrutierten die Wissenschaftler Pferdebesitzer, deren Pferde Anzeichen eines Zusammenbruchs gezeigt hatten. Ein detaillierter Online-Fragebogen wurde von 177 Befragten ausgefüllt. Daraufhin besuchte das Team 39 dieser Halter.
Dr. Fuchs: „Wir haben die Pferde klinisch untersucht, Blutbilder sowie eine 24-Stunden-Überwachung gemacht und die Pferde an ein mobiles Schlaflabor angeschlossen. Es zeigte sich, dass die Pferde im Schnitt über 65- bis maximal 199-mal in 24 Stunden Kollapse bzw. unnatürliches Schwanken zeigten, dass dies immer ausnahmslos aus Ruhesituationen heraus auftrat und sich diese Pferde nicht oder nur ganz kurz hingelegten. Somit litten die Pferde unter einem REM-Schlafmangel. Sie verfielen demnach im Stehen in den REM-Schlaf, und da dieser mit einer kompletten Skelettmuskelentspannung einhergeht, kommt es dadurch zu den Kollapsen.“
Bei mehr als neunzig Prozent der untersuchten Pferde kam es durch die Zusammenbrüche zu Verletzungen an Karpal-, Sprung und Fesselgelenken oder sogar zu Kopfverletzungen. Die individuelle Anzahl der Zusammenbrüche hing signifikant davon ab, wie oft und lange sich das Pferd hinlegte. Pferde, die sich, wenn auch nur kurz, zum Schlafen hingelegt hatten, zeigten weitaus weniger Zusammenbrüche. Von den untersuchten Pferden zeigten acht mit Eintreten der Zusammenbrüche auch ein verändertes Verhalten wie Rastlosigkeit, Weben oder Koppen, andere wurden lustlos oder extrem ängstlich. Besonders besorgniserregend: Zwei Jahre nach Durchführung der Untersuchung waren sieben Pferde aus der Studie aufgrund von Verletzungen oder Verhaltensproblemen, die vermutlich durch die Folgen des REM-Schlafmangels verursacht worden waren, eingeschläfert worden. (…)
Sie möchten weiterlesen und wissen, welche Gründe es für den Schlafmangel gibt und wie man den betroffenen Pferden helfen kann?
Die Print-Ausgabe von Feine Hilfen 40 bestellen …
Category: Pferdegesundheit