„Schiefentherapeut“ Klaus Schöneich ist 80
Als er vor 30 Jahren einen alten Kappzaum aufpolsterte und Pferde damit trainierte, wurde er von allen Seiten belächelt und kritisiert. Seine Vorträge über die zentrale Bedeutung des Geraderichtens und des Trapezmuskels bei der Ausbildung des Reitpferdes stießen damals mehr auf Kopfschütteln als auf Gehör.
Am 14. Juni 2015, wurde Klaus Schöneich 80 Jahre alt und hat sich weltweit einen Namen gemacht als Experte für die Biomechanik des Pferdes und die pferdegerechte Reitausbildung. Was heute vielen Trainern und Reitern als Allgemeinwissen erscheint, ist nicht zuletzt der unermüdlichen und kompromisslosen Aufklärungsarbeit dieses Mannes zu verdanken. «Er hat einen Meilenstein gesetzt bei der Renaissance der Reitkultur», sagt Tierarzt und Buchautor Gerd Heuschmann voller Bewunderung über ihn. «Er ist ein Vorreiter, ein Pionier, und es ist fantastisch, was er erreicht hat.»
Und Klaus Schöneich ist noch lange nicht müde. Täglich trainiert er im Zentrum für Anatomisch Richtiges Reiten, das er mit seiner Frau Gabriele in Bedburg-Hau am Niederrhein führt, Ausbildungspferde und hält jedes Wochenende Kurse und Seminare im In- und Ausland. Klaus Schöneich hat viele Menschen auf ihrem Weg inspiriert. So sagt auch Pferdeausbilder Michael Geitner: «Klaus Schöneich hat mit seinem unermüdlichen Kampf, die Pferdewelt bereichert und verändert.»
Mit der Schiefen-Therapie verhalf Klaus Schöneich so manchem Pferd wieder auf die Beine und erschloss Freizeit- und Sportreitern gleichermaßen neue reiterliche Dimensionen. So vertraut ihm auch die internationale Dressurreiterin Elisabeth Eversfield-Koch gerne ihre Pferde an: «Klaus Schöneich hat mir und meinen Pferden den Weg zur Losgelassenheit geöffnet und damit das Tor zum persönlichen und sportlichen Erfolg.»
Vita
Am 14. Juni 1935 wird Klaus Schöneich in Willich/Krefeld am Niederrhein geboren. Hier wächst er zusammen mit einem Bruder und einer Schwester heran. Doch bald schon wird sein Vater, ein Polizeioffizier, zuerst nach Ottweiler ins Saarland, später nach Mährisch-Schönberg, damals Sudetenland versetzt und die Familie zieht um. Hier nun kommt der Knabe erstmals in Kontakt mit Pferden: Der Nachbar, ein vermögender Baron, verfügt über zwei Pferdegespanne – zwei Rappen und zwei Apfelschimmel. Immer wieder fährt der Kutscher auf seinen Botengängen am Hause Schöneich vorbei und Klaus wartet stets staunend auf die edlen Vierbeiner. Dies entgeht auch dem Kutscher nicht, der den Jungen eines Tages mit auf den Bock steigen lässt – ein prägendes Erlebnis und der Grundstein für Klaus‘ Faszination für die Pferde. Immer wieder ist der kleine Junge mit den Pferden unterwegs und darf auch schon mal die Leinen führen. Unvergessen bleibt der Zwischenfall als der Kutscher sich für einen Botengang vom Gespann entfernt und Klaus die Leinen überlässt. In diesem Moment brennen die Pferde mit dem Jungen auf dem Kutschbock durch. Nach einer Odyssee durch Feld und Wald gelingt es Klaus, die Pferde zu stoppen und zum Kutscher zurückzubringen. Leichenblass bedankt sich dieser, dass nicht nur die Pferde heil sind, sondern der Junge mit seiner Heldentat dem Mann auch Kopf und Kragen gerettet hat.
Kindheit und Jugend
Die Kriegsjahre hinterlassen ihre Spuren und die Familie Schöneich sieht sich 1945 sodann gezwungen, aus dem Sudetenland zu flüchten. So kommt Klaus erst bei einer Tante in Gladbeck unter und stößt 1946 schließlich zu seinen Eltern nach Warendorf. Schon damals ist Warendorf ein richtiges Pferdemekka und auch Schöneichs Nachbar betreibt nicht nur einen Gasthof, sondern auch Pferdehandel. So kommt es, dass Klaus neben dem Gymnasium seine ganze Freizeit in Nachbars Stall verbringt und sich dort autodidaktisch das Reiten beibringt. Auch die Ernte der Bauern wird damals noch mit dem Pferdewagen eingefahren, sodass Klaus Schöneich Sommer um Sommer mit den Pferden auf den Feldern verbringt. Die Pferde und der Reitsport faszinieren den jugendlichen Klaus zunehmend und er fährt mit seinem Fahrrad zu Trainings und Turnieren der Region, um die bekannten Reiter dieser Zeit, wie etwa Hans Günter Winkler oder Klaus’ großes Idol Fritz Thiedemann, zu sehen.
Obwohl die Eltern Schöneich mit Pferden nichts am Hut haben, liegt das Pferde-Gen, das Klaus geerbt hat, in der Familie: Sein Patenonkel ist damals bei der berittenen Polizei und bereitet die Pferde für das Militär vor. In Düsseldorf trainiert er Springpferde – darunter auch Olympiapferde – mit viel Herzblut und Leidenschaft. So erzählt man sich, dass er aus Wut über den Verkauf eines von ihm ausgebildeten, talentierten Pferdes schon mal wild fluchend über die gedeckte Tafel der Käuferschaft sprang.
Viel zu schnell verfliegen Klaus Schöneichs Kinder- und Jugendjahre und bald schon absolviert der junge Erwachsene ein Praktikum in einer Weberei und einer Kammgarnspinnerei, wobei ihn insbesondere das Färben fasziniert. Daran schließt er ein Studium der Textilveredelung in Mönchengladbach an und beginnt 1961 in der deutschen Niederlassung der Lederfarbenfabrik Francolor Ugine Kuhlman in Ratingen zu arbeiten. So schult die Färberei bereits sein Auge, was ihm später bei der Arbeit mit den Pferden ein Leben lang zugutekommen wird. Im selben Jahr wird auch Tochter Claudia geboren. Den Pferden bleibt er aber treu und engagiert sich im Vereinswesen. In den 1960er Jahren scheint die Möglichkeit, ein eigenes Pferd zu besitzen, endlich zum Greifen nah – aber die finanziellen Mittel sind knapp. Dennoch ist der Herzenswunsch größer, und der frisch gebackene Prokurist verschuldet sich für eine schwarze Warmblutstute.
In den folgenden Jahren erringt Klaus Schöneich mit eigenen Pferden das Silberne Reitabzeichen, absolviert die Ausbildung zum FN-Übungsleiter und trainiert mehrere Jahre in Spring- und Dressurställen.
Zu Beginn der 1980er Jahre soll der erfolgreiche Textilfachmann schließlich als leitender Prokurist in die USA geschickt werden. Klaus Schöneich steht an einem Scheideweg, entscheidet sich aber, mit seiner Familie in Deutschland zu bleiben und sich vermehrt der Reiterei zuzuwenden. Klaus Schöneich bestreitet damals erfolgreich Vielseitigkeitsturniere, seine Tochter Claudia ist begeisterte Springreiterin.
So zieht es Klaus Schöneich zurück an den Niederrhein, wo er 1981 am Venekotensee einen Reitstall kauft. Dort erteilt er nicht nur Reitunterricht und Sitzschulungen, sondern verwöhnt auch gerne Gäste mit kulinarischen Köstlichkeiten im zugehörigen Casino.
Freundschaft mit Jean-Claude Dysli
Nachdem er seinen Trainerschein erlangt hat, sucht er aufgrund des Militarismus der traditionellen Reiterei, den er ablehnt, nach neuen reiterlichen Horizonten. In der Distanzreiterszene findet er spannende Impulse und lernt Ute Küppers, damals erst Studentin der Veterinärmedizin, kennen – eine Bekanntschaft, die bis heute als vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der renommierten Tierärztin Bestand hat.
Doch als Vertreter der traditionellen Reiterei ist Klaus Schöneich über das damalige reiterliche Niveau der Distanzreiter enttäuscht und sucht nach einem geeigneten Lehrer für diese Reiter. Der aufgeschlossene und interessierte Pferdenarr macht sich schlau über alternative Reitweisen und Trainer und organisiert schließlich den ersten Westernreitkurs mit Jean-Claude Dysli auf der Anlage am Venekotensee. Der Kontrast zur traditionellen Reiterei kommt einem Kulturschock gleich, doch die «Cowboys» faszinieren Klaus Schöneich und er fasst schnell Fuß in der Szene. Als ehemaliger Reiter der Schweizer Kavallerie ist der Stil von Jean-Claude Dysli stark der Dressurreiterei angelehnt und traditionell gefärbt – das kommt Klaus Schöneich entgegen. Die beiden Männer gehen auf in ihrer gemeinsamen Leidenschaft für die Pferde und es entsteht eine langjährige, enge Freundschaft. Unvergessen sind die gemeinsamen Reisen in die USA und nach Spanien. Lange Zeit leben sie drei Monate in Süddeutschland und dann wieder drei Monate in Spanien und schaffen zusammen in unzähligen, langen Autofahrten den gesamten Hausrat der Dyslis nach Südspanien, wo sie miteinander die berühmte Hacienda Buena Suerte aufbauen.
Damals treffen sich auf Dyslis Hacienda alle Revolutionäre und Andersdenker der Freizeitreiterszene, von Peter Kreinberg über Ursula Bruns bis hin zu Claus Penquitt, um nur einige wenige zu nennen. Man trainiert hier Pferde in einem Klima der Ruhe und Freude und so fällt in einem Gespräch mit Jean-Claude Dysli denn auch der Begriff, den Klaus Schöneichs restliches Leben prägen wird: Nach einer Reitstunde sind sich Klaus und Jean-Claude einig, dass der eben geschulte Reiter sein Pferd «anatomisch falsch» reitet. In langen Gesprächen bis tief in die Nacht hinein diskutieren die beiden Männer, was denn nun «anatomisch richtiges Reiten» sei. So keimt in Klaus Schöneich der Gedanke, ein Buch zum Thema zu schreiben. Eine Idee, die er 1992 in die Tat umsetzt mit dem Werk Die Grundlagen des Freizeitreitens auf Westernbasis – Anatomisch Richtiges Reiten. Das Buch enthält die Widmung «Mein besonderer Dank gilt meinem langjährigen Freund Jean-Claude Dysli für seinen unermüdlichen Einsatz zur Verbesserung der Basisarbeit in der Westernreiterei. Ihm ist dieses Buch gewidmet.».
So ist es denn auch in einem Tauschgeschäft mit Jean-Claude Dysli, dass Klaus Schöneich gegen seinen polnischen Vollblutaraberhengst Gabor sein erstes Quarter Horse bekommt: dem Hengst G. M. Jim Dandy Boy, genannt Jimmy. Mit ihm entdeckt er die Arbeit mit dem Kappzaum. Den alten, verstaubten Kappzaum bekommt er von einem Einstaller auf der Anlage am Venekotensee geschenkt, der damit nichts anzufangen weiß – ein Geschenk mit Folgen, wie sich herausstellen sollte. Die junge, pferdevernarrte Tina Wassing, die ihre Freizeit gerne hier im Reitstall verbringt, putzt den Kappzaum sorgfältig und gibt Klaus Schöneich damit ein wunderbares neu entdecktes, altes Instrument in die Hand.
„Wiederentdeckung“ des Kappzaums
Frisch mit Filz gepolstert, zieht Klaus Schöneich den Kappzaum einem Pferd über, um «das Ding» zu testen. Doch die Pferde schießen damit nur so durch die Bahn. So liegt die Lösung nahe, mit Bändern einen Zirkel abzustecken. Mit großem Erstaunen stellt Klaus Schöneich fest, dass sich die Pferde durch das Longieren am Kappzaum innerhalb der Begrenzung verändern, man sie besser kontrollieren kann und sie sich mehr konzentrieren. Während der Arbeit auf dem Kreisbogen wird Klaus Schöneich nach und nach klar, dass das Hauptproblem der meisten Pferde im Hals sitzt. Um besser an diesen Knackpunkt heranzukommen, macht Klaus Schöneich den Zirkel beim Longieren immer kleiner bis er mit einem Durchmesser von 12 Metern den idealen Zirkel für seine Arbeit gefunden hat. Es ist für ihn eine eigentliche Offenbarung, dass er so vorbereitete Pferde anschließend viel feiner reiten kann und anders als früher kein Druck mehr nötig ist.
Auch die Freundschaft mit Tina Wassing währt seit dieser Zeit und das Pferdemädchen von damals unterstützt Klaus Schöneich heute als praktische Tierärztin mit Schwerpunkt Homöopathie.
Mit seiner künftigen Frau Gabriele Rachen kreuzen sich die Wege ebenfalls erstmals auf der Reitanlage am Venekotensee. Fasziniert von der unkonventionellen Art des Longen- und Reitunterrichts, geprägt von Ruhe und Verständnis für Pferd und Reiter, steigt Gabriele Rachen für Klaus Schöneich erstmals in den Westernsattel.
Aufgrund ihres heilpädagogischen Hintergrunds gibt Gabriele Rachen dann auch den entscheidenden Impuls dafür, was die Arbeit der beiden Pferdeausbilder heute auszeichnet: Die Zusammenarbeit des Expertenteams analog zur Supervision in der Heilpädagogik. Fachleute aus allen Bereichen, vom Trainer über den Tierarzt, den Hufschmied, den Sattler usw. bis hin zum Akupunkteur betrachten gemeinsam einen Problemfall und suchen nach optimalen Lösungen. Doch nicht nur die berufliche Zusammenarbeit wird immer enger, auch privat kommt man sich näher und 2003 erfüllt Tochter Nora das Leben des Ehepaars.
Zentrum für ARR
Die Anlage am Venekotensee ist damals eine eigentliche Revolution. Die Pferde leben in Kontaktboxen und tagsüber im Freilaufstall – so was gibt es damals kaum. Die Kundschaft besteht vornehmlich aus Freizeitreitern und damit aus einer kunterbunten Palette an Pferderassen. So baut Klaus Schöneich zusammen mit Gabriele Rachen den bis heute unerreichten Erfahrungsschatz bezüglich der Besonderheiten von Spezialrassen auf.
1990 wird die Anlage am Venekotensee geschlossen. Dank einem Tipp der Familie Voß-Teuerlings – bekannt durch ihr gleichnamiges Reitsportgeschäft – findet Klaus Schöneich mit Frau Gaby und 20 Ausbildungspferden ein neues Zuhause im Naturschutzgebiet von Sonsbeck. Der Bauer gibt seine Schweinehaltung zugunsten der Pferde auf und die Ställe werden pferdegerecht und einmal mehr revolutionär für die damalige Zeit zu Paddockboxen umgebaut. Nun offiziell unter dem Namen «Zentrum für Anatomisch Richtiges Reiten» wird auf der Anlage ein erstes zweitägiges Seminar mit 80 Teilnehmern durchgeführt: Das Expertenteam, bestehend aus Klaus und Gabriele Schöneich sowie Tierärztin Dr. Ute Küppers, Tierarzt und Homöopath Dr. Michael Rakow, Akupunkteur Dr. Michael Wolters, Hufschmied Fritz Rödders und Hufschmied Gerd Lamberty, begleiten die Pferde über zwei Tage und erläutern ihre Therapieansätze dem begeisterten Publikum.
Nach 8 Jahren in Sonsbeck findet das Zentrum für ARR eine neue Bleibe in Rheurdt. Weitere 10 Jahre später, im Jahr 2006, wird in einem Artikel über das Zentrum für ARR in der Zeitschrift Rheinlands Reiter und Pferde erwähnt, dass die Familie Schöneich eine neue Wirkungsstätte sucht, worauf sich der Betreiber des Heisterfeldshofs in Bedburg-Hau, Uwe Zevens, meldet und ihnen einen Stalltrakt anbietet. So wird dank fleißiger Helfer in kürzester Zeit auf dem Heisterfeldshof alles für die 20 Trainingspferde vorbereitet. Den Rundpaddock, der heute das Herzstück des Zentrums für ARR bildet, gibt es damals noch nicht; die Longenarbeit erfolgt im Innenraum des Konditrainers.
Schiefentherapie
Nach und nach spricht sich auch unter den Sportreitern herum, was mit der Schiefen-Therapie alles erreicht werden kann. Nebst der internationalen Dressurreiterin mit Schweizer Wurzeln, Elisabeth Eversfield-Koch, finden weitere hochkarätige Dressureiter ihren Weg zu ARR. So zum Beispiel Annette Bergmann, die ihr Top-Pferd Antares aufgrund einer Kissing-Spines-Diagnose hätte einschläfern lassen müssen, dank der Arbeit der Familie Schöneich mit ihm jedoch wieder im Grand Prix erfolgreich war. Weitere namhafte Reiter, die auf ARR vertrauten, sind die international erfolgreiche Grand-Prix-Reiterin Gabriele Tempelmann sowie die Familie Diestera aus Nürnberg.
Heute wächst mit Tochter Nora Schöneich, die mit ihrem Pony Käte bereits Erfolge im Dressurviereck feiert, die nächste pferdebegeisterte Generation heran. So werden das Wissen und der Pioniergeist von Klaus Schöneich auch in Zukunft nachhaltige Spuren hinterlassen.
Denn ein Pionier war – und ist – Klaus Schöneich in vielerlei Hinsicht. Alle Kernelemente und Stützpfeiler seiner Arbeit wurden einst belächelt oder harsch kritisiert und haben sich heute als Allgemeinwissen durchgesetzt. So ist die Arbeit am Kappzaum heute nicht mehr aus der nachhaltigen Pferdeausbildung wegzudenken, der Trapezmuskel als zentrales Element der Biomechanik des Reitpferdes ist in aller Munde, die Faszien werden nun auch von anderen Ausbildern und Therapeuten in ihrer allgegenwärtigen Bedeutung erfasst, die Sitzschulung erfährt im modernen Reitunterricht neuen Aufschwung und die Vorzüge der Arbeit auf dem kleinen Zirkel wird zunehmend angepriesen – eine Hommage an einen beharrlichen Kämpfer und Verfechter der pferdegerechten Ausbildung, dessen Energie und Tatendrang auch mit 80 Jahren nicht gestillt sind.
In der aktuellen Ausgabe von Feine Hilfen ist ein Artikel von Klaus Schöneich erschienen.
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