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Reiten mit Gebiss: sinnvoll oder Tierquälerei?

11AFotografie/shutterstock.com

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Ein Stück Metall im Pferdemaul bietet immer wieder Anlass für Diskussionen. Ist das Gebiss sinnvolle Unterstützung bei der Gymnastizierung oder bereitet es dem Pferd Schmerzen? „Befreie Dein Pferd – befreie Dich selbst“ – Autorin Maksida Vogt und Branderup-Schülerin Bianca Grön schildern ihre Sicht auf das Thema.


Gebisse – warum eigentlich?

Von Maksida Vogt

Seit Jahrtausenden benutzen die Menschen Gebisse, um das Pferd gefügig zu machen. Dies funktioniert über Schmerzen, die das Gebiss verursacht. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Eigentlich gibt es keinen Grund, ein Gebiss zu benutzen – außer man will das Pferd durch den Schmerz kontrollieren. Das sollte sich jeder Reiter in ganzer Deutlichkeit bewusst machen.
Häufig wird argumentiert, dass die Art der Zügelführung einen Unterschied zwischen Schmerz und Nutzen des Gebisses ausmacht. Wenn es uns wirklich um das Wohl des Pferdes geht, dann hat dieses Argument aber keine Gültigkeit. Denn es wird nur benutzt, wenn der Mensch vom Pferd bestimmte Resultate will und dabei keine alternative Möglichkeit in Betracht zieht.
Die Liste der durch Gebisse verursachten gesundheitlichen Probleme ist lang, und sie ist unabhängig von der Zügelführung und von dem, der die Zügel führt:

  • Gebisse verursachen allein durch ihre Präsenz und den punktuellen Druck auf die in den Schleimhäuten liegenden Nervenenden Schmerzen an Unterkiefer und Zahnfleisch. Wenn Ihr Zahnarzt einmal den Nerv ohne Betäubung getroffen hat, dann haben Sie eine Vorstellung davon, wie sich ein Gebiss für das Pferd anfühlt. Es entwickeln sich Entzündungen, die sich auf größere Bereiche des Gesichts und des Kopfes ausbreiten können. Das Pferd wird durch diesen Schmerz kontrolliert. Oft sehen wir die Reiter, die mit ihrer ganzen Kraft an den Zügeln ziehen. Wir brauchen Gesetze, die hier greifen und derartige Einwirkungen auf das Gebiss verbieten. Sie denken, Sie reiten mit weicher Hand? Dann trauen Sie sich doch einmal, es ohne Gebiss zu versuchen und das Gleiche von dem Pferd zu verlangen, was Sie ansonsten tun. Sie werden eine deutliche Antwort von Ihrem Pferd bekommen, ob Sie bisher handunabhängig geritten sind.
  • Des Weiteren sind sowohl Lunge als auch Kehlkopf unmittelbar durch die Nutzung von Gebissen betroffen. Das Pferdemaul dient der Nahrungsaufnahme. Diese ist für das Pferd gleichzusetzen mit Sicherheit und Ruhe. Erschrickt ein Pferd und/oder strengt es sich körperlich an, befindet sich normalerweise nichts in seinem empfindlichen Maul. In Bewegung muss es viel Luft aufnehmen, um genügend Sauerstoff in alle Körperzellen zu bringen. Deshalb wird der Kopf-Hals-Winkel gestreckt, der Kehlkopf geöffnet, der Kehlknorpel parallel gestellt und die Öffnung im weichen Gaumen erweitert. Befindet sich ein Gebiss im Maul, dann kommt es durch einen Nervenreflex, welcher der Nahrungsaufnahme dient, zu einem Konflikt: Der Kehldeckel schließt sich und es wird vermehrt Speichel produziert. Das behindert unter anderem die Atmung, besonders wenn ein Pferd sehr deutlich schäumt. Außerdem kommt es zu Krämpfen in den verschiedenen Muskeln des Kehlbereichs, die sich manchmal nicht mehr lösen können. Das Pferd wird schlimmstenfalls zum Kehlkopfpfeifer. Oft wird es dann einer OP unterzogen, die mehr Schäden verursacht, als dass sie nützt. Die Luftröhre wird komprimiert und das Zwerchfell zieht sich zurück, wodurch Unterdruck in den Alveolen (Lungenbläschen) entsteht, da die benötigte Luftmenge nicht schnell genug einströmen kann. Dies kann zu Lungenödemen und/oder Lungenblutungen führen (tritt oft bei Rennpferden auf).
  • Wird der Hals des Pferdes künstlich in eine aufrechte Position gebracht (wie in einer mittels Gebiss erzwungenen Versammlung), dann rutscht der Unterkiefer zurück und die Zähne liegen nicht mehr passend aufeinander. Die Zähne werden in einem unnatürlichen Winkel „geraspelt“. Es bilden sich messerscharfe Kanten.
  • Durch die Nutzung von Gebissen wird sogar der Stoffwechsel des Pferdes schwer beeinträchtigt. Dadurch, dass keine gesunde Atmung möglich ist, befindet sich in der Atemluft immer weniger Sauerstoff. Durch diesen Mangel können die Muskeln, vor allem auch der Herzmuskel, nicht richtig funktionieren. Ist das Pferd zudem noch beschlagen, dann ist der Hufmechanismus stark eingeschränkt und das Herz muss die fehlende Pumparbeit der Hufe ausgleichen. Das Herz steht unter enormem Stress. Das sind meiner Ansicht nach die Gründe, wenn Sportpferde den „plötzlichen Herztod“ erleiden.

Dies sind nur die wichtigsten und alarmierendsten Gründe, weshalb Gebisse nicht verwendet werden dürften. Viele weitere kommen dazu, wie zum Beispiel: die Quetschungen der Ohrspeicheldrüse, entzündliche Atemwegserkrankungen, Verletzungen der Halswirbelsäule, Verhaltensabweichungen aufgrund des Schmerzes und vieles mehr. Meiner Ansicht nach steht die Nutzung von Gebissen also im direkten Widerspruch zu unseren Tierschutzgesetzen.
Ich stelle mir immer wieder die Frage: Warum werden Gebisse trotz unseres heutigen Wissensstands noch immer verwendet? Eine mögliche Antwort: Wenn ich als Mensch mein Pferd mit Gebiss reite, dann im Allgemeinen aus zwei möglichen Gründen: Entweder fehlt mir das Wissen darüber, was dieser Gegenstand an Körper und Psyche meines Pferdes anrichtet. Oder ich besitze dieses Wissen und füge meinem Pferd vorsätzlich die mir bekannten Schmerzen und Schäden zu. Leider können wir nicht leugnen, dass gerade im sogenannten „Pferdesport“ das Leiden der Tiere bewusst in Kauf genommen wird, um die gewünschten Resultate zu erzielen.

Im Bereich der Freizeitreiter finden sich meist Unwissen und häufig auch Gruppenzwang als Grund für die Nutzung von Gebissen. Im Prinzip ist der Sachverhalt ganz einfach: Sehen Sie einen Menschen, der sein Pferd mit Gebiss reitet, dann ist dies meiner Meinung nach eine klare Demonstration seiner Unfähigkeit, mit dem Pferd auf andere Weise kommunizieren zu können. Verfüge ich über das notwendige Wissen der Anatomie und bin ich in der Lage, mit dem Pferd auf Augenhöhe zu kommunizieren (weil ich meine Fähigkeiten im wahren Horsemanship ausgebildet habe), wenn ich also das Pferd wirklich verstehe – habe ich es dann noch nötig, ein Eisenstück in das empfindliche Pferdemaul zu legen, um es zu lenken?

Mittlerweile gibt es etliche Pferdetrainer, die uns demonstrieren, dass es ohne geht. Ich nominiere sie hiermit als die wahren Helden der Reitszene, denn sie leben uns Menschlichkeit vor. Und wahre Menschlichkeit schließt aus, einem anderem Wesen Schmerzen zuzufügen.

 

Das Gebiss als feines Werkzeug

von Bianca Grön

Die Nutzung der Kandare hat eine jahrhundertealte Tradition. Die Akademische Reitkunst verbindet die Kultur der alten Reitmeister mit den neuesten Erkenntnissen der Biomechanik. Das Bild mit einem auf Kandare gezäumten Pferd ist somit genauso alt wie die Schriften um die verschiedenen Ausbildungsmethoden.

In der Akademischen Reitkunst ist der Sitz die primäre Hilfe. Alle anderen Hilfen sind ergänzende sekundäre Hilfen. So auch die Zügelhilfen, die in indirekte (zum Führen der Schulter) und direkte (am Kopf des Pferdes) Zügelhilfen unterteilt werden. Hierbei wird entsprechend der Ausbildung des Pferdes entschieden, ob wir gebisslos, kombiniert mit Kappzaum und Kandare oder mit der einhändig geführten blanken Kandare arbeiten. Aus medizinischen und therapeutischen Gründen wird gegebenenfalls auch komplett auf den Gebrauch eines Gebisses verzichtet. Bent Branderup hat hierfür die Kombination aus Kappzaum und Hackamore zu einem „Cavemore“ entwickelt.

In der klassischen Ausbildung des Pferdes beginnen wir aber üblicherweise mit der Arbeit am Kappzaum, den wir in der späteren Ausbildung mit der Kandare kombinieren. Bei dieser Basisarbeit können wir dem Pferd die sekundären Zügelhilfen gut erklären. Es ist wichtig, den Fokus sowohl auf die Formbarkeit des Körpers als auch auf die Motivation und die Kommunikationsbereitschaft des Pferdes zu legen. Die geschulte Hand des Ausbilders ist von daher genauso grundlegend wie die Tatsache, dass das Pferd verstehen muss, was wir von ihm über die Zügelhilfe verlangen. Bent Branderup hat hierzu sehr passend formuliert: „Eine gute Hand sucht nach Informationen, und eine vertrauenswürdige Hand bekommt Informationen.“

Druck oder Durchlässigkeit sind die wichtigsten Informationen, die wir vom Zügel erhalten. Den Druck auf die Reiterhand können wir nicht durch den Gebrauch der Zäumung korrigieren, sondern in erster Linie werden wir uns um eine aktiv untertretende Hinterhand bemühen. Und genau hier liegt das Problem: Wird der Druck durch die auf die Schulter schiebende Hinterhand vom Ausbilder ignoriert, so kann die Kandare oder jegliches anderes Metallstück im Maul des Pferdes durchaus missbräuchlich angewendet werden, da es in einem hochsensiblen Körperbereich des Pferdes Einfluss nimmt. Das Gebiss wird schließlich von der empfindlichen Zunge des Pferdes getragen, womit wir andererseits die Möglichkeit haben, mit einer sehr feinen Hilfengebung zu arbeiten. Wenn ein Pferd den leichten Druck der Reiterhand nicht mit Gegendruck beantwortet, sondern diese Hilfe zu- und durchlässt, dann können wir die Unterkiefermuskulatur lockern und somit einen positiven Einfluss auf das Pferd ausüben. Genauso kann man den gegenteiligen Effekt auslösen, indem man mit Kraft anstatt mit Gefühl reitet.

 

Die Schwierigkeit sehe ich somit also in dem falschen Gebrauch dieses feinen Werkzeugs aus einer Unwissenheit heraus. Solange wir dem Pferd mit dem Gebiss mehr Lockerheit geben und die Arbeit präzisieren können, sehe ich nichts Verwerfliches in seiner Nutzung. Aus meiner Perspektive wäre es sogar fatal, generell eine gebisslose Zäumung als feiner oder angenehmer für das Pferd zu bezeichnen. Wenn ich davon ausgehe, dass das Ziel ein lockeres Pferd ist, das den Reiter gut tragen kann, dann kann hier der falsche Gebrauch einer gebisslosen Zäumung genauso hinderlich sein wie die unsachgemäß geführte Kandare. Es geht also um die bewusste Handhabung des Werkzeugs, das wir im Gebrauch haben.

Zum Problem wird jegliche Zäumung immer dann, wenn die Hand einen konstanten Druck aufbaut. Wirkt sie rückwärts, dann wird im Speziellen bei der gebisslosen Zäumung der Druck auf das Nasenbein des Pferdes zu einer Kompression der Wirbelsäule führen, wodurch Hals und Rücken fest werden und somit die Hinterbeine nach hinten herausschieben. Die Schwierigkeit hierbei wird dann deutlich, wenn der Schub des Pferdes zur Folge hat, dass es auf die Schulter fällt. Stattdessen sollten die vorgreifenden Hinterbeine unter den Brustkorb treten, diesen erheben und somit auch die Schulter „frei machen“. Dadurch können Hals und somit auch der Kopf frei getragen werden. So entsteht keinerlei Druck auf den Zügel. Druck erzeugt nämlich immer Gegendruck und wirkt sich nachteilig auf die von uns gewünschten lockeren Bewegungen des Pferdes aus.

Haben wir den Anspruch an Reiten als Kunst mit dem Partner Pferd, heißt dies auch, dass wir eine ganzheitliche Sicht anstreben müssen. Es ist von Bedeutung, dass wir einschätzen können, welches Werkzeug hier und jetzt das richtige ist. Darüber hinaus geht es uns in der Kunst aber auch darum, dass wir uns selbst – im wahrsten Sinne des Wortes – gut im Griff haben und nicht etwa unser Pferd.

Genau wie in jeder anderen Kunst muss man wissen, was für ein Werkzeug man in der Hand hält und was man damit erreichen möchte. Heutzutage werden andere Künste wie selbstverständlich als solche bezeichnet und geschätzt. Wenn man die Kunst des Geigespielens studiert, ist es selbstverständlich, dass man lernt, aus welchem Holz die Geige ist und aus welchem Jahrhundert sie stammt. Und natürlich ist es wichtig, die Noten lesen zu können, zu wissen, wie der Bogen gehalten und benutzt und mit wie viel Druck er geführt wird. Man muss wissen, wie viel Geschmeidigkeit in den Handgelenken angemessen ist und wie geatmet werden muss, damit der Ton besser herauskommt und der Bogen gleichmäßig geführt wird. Dann beginnt man zu üben. Mehrere Stunden am Tag, um präziser zu werden. Dennoch dauert es Jahre, bis man ein Lied von Bach spielen kann.

Warum ist uns diese Selbstverständlichkeit des Lernens und der Sachkenntnis in der Reiterei abhandengekommen? Sofern wir auch das Reiten als Kunst sehen, sind verschiedene Tugenden wie Geduld und Beharrlichkeit von großer Bedeutung. Es ist zudem natürlich wichtig, dass wir uns nicht bloß mit den verschiedenen Werkzeugen und der Biomechanik beschäftigen, sondern vielmehr auch mit dem Individuum, das, was wir vor uns haben, genauso wie mit uns selbst – denn der Leitsatz in der Akademischen Reitkunst lautet: Zwei Geiste wollen, was zwei Körper können.

Somit ist mein Fazit zu dem Thema, dass ich ein zufriedenes Pferd nicht daran festmachen kann, ob der Reiter mit Gebiss oder gebisslos reitet. Es ist vielmehr die Art und Weise, wie das jeweilige Handwerkzeug eingesetzt wird.

 

Category: Besondere Themen

Comments (36)

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  1. Manuela Schuster sagt:

    Danke für diese spannende Diskussion, die noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Einen Gesichtspunkt vermisse ich hier: die Sicht eines Laien.

    Erstaunlicherweise lautete eine der ersten Fragen von nicht reitenden Freunden die ich mit in den Stall genommen habe: „Tut denen das im Maul denn nicht weh?“. Meine Antwort kam immer ohne Zögern: „Nein, das tut gar nicht weh“. Aber woher wusste ich das? – ich wusste es überhaupt nicht, ich habe es nur so gelernt und nicht hinterfragt. Erst viel später ist mir aufgefallen dass wir Reiterleute wie „betriebsblind“ sind und es einfach so machen „wie es immer gemacht wurde“.

    Aussenstehende haben einen objektiveren Blick auf die Dinge weil sie nicht in der Maschinerie mitarbeiten. Und doch werden gerade diese Menschen nur belächelt oder als Unwissende abgetan. Das ist schade. Denn sie haben nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen Recht.

    ich sammle antiquarische Bücher, darunter sehr viele zum Thema Mensch-Tier-Beziehung. Es sind einige Klassiker dabei und die wenigsten Rittmeister negieren, dass die eingesetzten Instrumente das Pferd belästigen oder ihm Schmerzen zufügen. Damals hatte damit auch niemand ein Problem. Heute, wo die Beobachter (und einige Reiter) feinfühliger sind, werden Forschungsergebnisse die das Offensichtliche beweisen ignoriert. Wir sind sogar noch stolz auf eine Tradition von Hilfsmitteln die drücken, quetschen oder sonst wie zeigen wer im wahrsten Sinne des Wortes am längeren Hebel sitzt. Wir sollten ehrlich sein und das Wort „Hilfe“ abschaffen – es ist in dem Zusammenhang beschönigend und nicht korrekt.

    Unser Überleben hängt nicht mehr von Pferden ab. Welches Recht haben wir sie zu unserer Belustigung mit archaischen Instrumenten zu zwingen „Männchen zu machen“. Frau Grön, wie kann das Kunst sein? Wahre Kunst bzw. Kommunikation wäre für mich ein Zusammentreffen auf Augenhöhe und Kommunikation ohne Zwangsinstrumente – egal ob Gebiss oder Knotenhalfter auf den Gesichtsnerven. Ein Tier das (aus Angst vor Druck und Schmerz) wie eine Marionette an Fäden tanzt – das ist keine Kunst, weder bei Bären noch bei Pferden.

    ich hoffe Sie nehmen mir meine Offenheit nicht übel, ich möchte das wirklich gerne verstehen. Es geht doch ohne – warum machen es also alle mit? Weil es bequemer ist? Wegen der Tradition? Weil es toll aussieht? Vielleicht kann es mir jemand erklären. Vielen Dank im Voraus!

    Liebe Grüsse
    Manuela

  2. Susann Junge sagt:

    Hallo Friederike,
    wenn ich genau lese, dann habe ich gleich wieder was zum Hinterfragen gefunden. Du schreibst:

    „Dabei wird gerade in der Akademik immer nur AN den Widerstand heran gearbeit, nie aber darüber hinweg und jede kleine Reaktion in die gewünschte Richtung wird als richtige Reaktion gelobt. So lernt das Pferd nachhaltig welche Reaktion auf eine bestmmte Hilfe gewünshct wird, nicht aber weil es schmerzt!“

    Was aber passiert denn wirklich, wenn ich „an einen Widerstand heranarbeite“? Ich arbeite so lange, bis das Pferd nachgibt. Warum gibt es nach? Weil es den Druck als unangenehm oder schmerzvoll empfindet. Du beschreibst das sehr schön auf gebisslose Zäumungen bezogen. Aber dann gilt dasselbe doch auch für das vom Menschen bewegte Metall im Pferdemaul…. oder?
    Ein Säugetier weicht einem Druck nur dann, wenn der ihm unangenehm wird. Psychisch und / oder physisch. Wenn wir also schon den Schmerz als physiologische Wirkung des Gebiss- (Zäumungs-)einsatzes) leugnen wollen – die psychsiche Wirkung (Stress, Unverständnis, Handlungen, die naturwidrig sein können) bleibt aber definitiv, Also zumindest mit Unannehmlichkeiten arbeiten wir. Wobei das Wort nur eine harmlosere Umschreibung für „Aua!!“ ist. Und das Ganze also nicht besser macht.

    Du führst aus:
    „Es ist immer die Art und Weise, wie das entsprechende Handwerkszeug eingesetzt wird und ob die Menschenhand von einem entsprechend intelligenten Hirn mit Sachverstand und Wissen geführt wird, mit der präzisen Vorstellung von dem Ziel was ich erreichen möchte und daraus mit der nötigen pädagogischen Fähigkeit das richtige “Werkzeug” so differenziert, präzise, durchdacht und gefühlvoll “handahbt”, dass ich mein Partner Pferd dazu bringe mich verstehen zu wollen, seinen Körper entsprechend meinen Wünschen einzusetzen, weil mein Geist den seinen dazu angeregt hat dasselbe zu wollen wie ich.

    Meiner Meinung nach sind dies vielbenutzte, aber wenig aussagekräftige Argumente: „Es ist immer die Art und Weise, wie das …Handwerkszeug…“ oder auch „jedes Instrument ist nur so stark wie die Hand die es bewegt“. Es ignoriert völlig die Tatsache, dass es nicht geht, ein Tier ohne irgendeine Art von Druck (physisch und psychisch) dazu zu bringen, seiner Natur nicht entsprechende Dinge zu tun.

    Und – dass Gerittenwerden nicht der Pferdenatur entspricht ist unstrittig indessen ein Grundwissen, dass in alle Bereiche der Pferdehaltung / -nutzung / Reitweisen durchgedrungen ist.
    Warum also sollte ein Pferd, wie du schreibst, „dasselbe…wollen wie ich“, wenn es doch seiner Natur zuwider ist?
    Diese Antwort ergibt sich für mich nicht aus dem Geschriebenen.

    Ich zwinge dem Pferd meinen Willen auf, es reiten zu wollen und unter mir bestimmte Bewegungen zu vollführen und benutze dazu Hilfsmittel, weil mein Wille allein nicht ausreicht.

    Reiten mit Gebiss ist für mich ein stärkerer Zwang auf das Tier als das Reiten ohne Gebiss (was auch ein Zwang ist, aber auch in Impulsreitweise und mit weichen Zäumungen praktiziert werden kann)

    Deine Sicht der (Akademischen) Reiterei ist für mich nachvollziehbar, wenn ich von einer sehr technisierten, mechanischen Benutzung des Pferdes ausgehe, bei der ich mir, in guter Absicht aber dennoch, schönrede, was ich dem Pferd aufzwinge.

    Hallo Maksida, die Frage mit der „Kunst“ habe ich mir auch gestellt und bin ebenso auf eine alte Wortwahl und Bedeutungszuschreibung gekommen.

    • Hallo Susann,

      nun ich denke, dass im heutige Weg der Akademischen Reitkunst sehr viel Wert auf das Wohl des Pferdes gelegt wird, die Vorarbeit in der Vertrauensbasis durch gutes, geduldiges Horsemanship einen sehr hohen Stellenwert hat und als unabdingbar vorausgesetzt ist bei guten Akademikern oder gefühlvollen, denkenden Reitern Überhaupt…
      Und wenn dann ein technisch versierter, sehr fähiger Handwerker ausgestattet mit dem Gefühlvollen Umgang an den Weg der Ausbildung des Pferdes geht ist das m.M.n weit entfernt von einer mechanischen Benutzung des Pferdes.
      „Reiten mit Gebiss ist für mich ein stärkerer Zwang auf das Tier als das Reiten ohne Gebiss (was auch ein Zwang ist, aber auch in Impulsreitweise und mit weichen Zäumungen praktiziert werden kann) “
      Des Menschen Wille ist sein Himmelreich…
      Wie schon gesagt, wenn es ein mit Sinn und Verstand praktizizerter Weg ist mit Pferden umzugehen, kann ich persönlich auch sehr gut damit Leben das Pferd auch gebisslos auszubilden. Am Ende kommt es einzig auf den Gefühlvollen Umgang an.

      • Susann Junge sagt:

        „Des Menschen Wille ist sein Himmelreich…“

        Friederike, leider handeln wir oft genau SO und gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass das Pferd des Reiters Willen auch als sein, des Pferdes, Himmelreich zu empfinden hat….

        Ich find es für mich sehr spannend, alte Denkmuster zu verlassen und sehe es als wichtigen Schritt, meine Pferde tatsächlich in ihrem Willen und in ihrem „Himmelreich“ zu erleben…nicht immer nur in meinem…

  3. Bianca Grön sagt:

    Hallo Larissa, ich kann deine Meinung gut akzeptieren. Mir ist ein Vertreter der gebisslosen Reiterei viel sympathischer, als diejenigen, die sich keine Gedanken um das Wohl des Pferdes machen….

    • Susann Junge sagt:

      Hallo Bianca,
      das klingt, als wären Gebisslosreiter per se ein Übel.
      Ich find, wenn schon reiten, dann gebisslos, denn das ist sicher das „kleinere Übel“ beim Reiten.

      Denn wie kommt das angeblich „feinere Reiten mit Gebiss“ zustande? Durch Druck und Schmerz, dem ein Pferd natürlich sehr viel schneller („feiner“) „nachgibt“ als bei gebisslosen Zäumungen. Weil das Pferd sich also so schnell gefügig („nachgiebig und durchlässig“) verhält, sind die „Hilfen mit Gebiss“ ja weniger zu bemerken als ohne.
      Bei gebisslosen Zäumungen wird i.d. R. sehr viel mehr Kraft aufzuwenden sein, bis das Pferd auf Manipulation am Kopf reagiert.
      Und was Anderes ist beides nicht als: Manipulation am Kopf des Pferdes. Kling ganz schön gewaltig. Aber tun wir nicht genau das beim Reiten? manipulieren, biegen, formen? Auf möglichst unsichtbare, schnelle Weise, denn die Antworten der Pferde könnten wir möglicherweise nicht ertragen.
      – Letzlich führt aber all das zu der Frage (die ich mir immer mehr stelle): wenn Reiten MIT Gebissen nachgewiesen schädlich ist, und wenn auch das üblicherweise praktizierte Reiten OHNE Gebisse schädlich fürs Pferd ist, dann ist doch das Reiten AN SICH schädlich fürs Pferd…und Pferdefreund und -liebhaber sollte es lassen?

      Übrigens finde ich spannend, dass es Studien gibt, die sagen Reiten mit Gebissen ist schädlich und andere Untersuchungen, die sagen, Reiten ohne Gebiss ist schädlich. Beide Studien werden von den jeweils anders ausgerüsteten Reitern angeregt und befürwortet. Gehen wir davon aus, dass ALLE Studien stimmen, dann dürfte man gar nicht reiten. Gehen wir davon aus, dass KEINE Studie stimmt, wärs ja egal, wie wir reiten. Und wir würden zugleich alle wissenschaftlichen Untersuchungen in diesem Zusammenhang ad absurdum führen…Da fehlts für mich an der Logik.

      Also wäre doch der erste Schritt zu sagen, ja, ich reite mein Pferd (ob mit oder ohne Gebiss) UND füge ihm dabei Schaden zu.

      • Hallo Susanne,
        ich kann deinen Argumenten leider nicht zustimmen und das nicht nur weil ich selbst nach den Grundsätzen der Akademischen Reitkunst ausbilde…
        Ich finde auch nicht dass Bianca´s Artikel per se gegen die gebisslosen Reiter geht.
        Du bist der meinung, dass: „…das angeblich “feinere Reiten mit Gebiss” durch Druck und Schmerz zustande kommt, dem ein Pferd natürlich sehr viel schneller (“feiner”) “nachgibt” als bei gebisslosen Zäumungen. Weil das Pferd sich also so schnell gefügig (“nachgiebig und durchlässig”) verhält, sind die “Hilfen mit Gebiss” ja weniger zu bemerken als ohne. Bei gebisslosen Zäumungen wird i.d. R. sehr viel mehr Kraft aufzuwenden sein, bis das Pferd auf Manipulation am Kopf reagiert.“

        Dem gegenüber möchte ich mal folgende Gedanken in den Raum stellen und zu bedenken geben:
        1. der Hintergrund des Ausbildungsweges der Akademischen Reitkunst:
        wie von Bianca schon beschrieben, lernt das Pferd die Hilfe zu „verstehen“, sie wird ihm beigebracht, nicht aber wie du beschreibst über Druck und Schmerz, sondern auf der Basis des pädagogischen Wissens WIE ein Pferd lernt. Dabei wird gerade in der Akademik immer nur AN den Widerstand heran gearbeit, nie aber darüber hinweg und jede kleine Reaktion in die gewünschte Richtung wird als richtige Reaktion gelobt. So lernt das Pferd nachhaltig welche Reaktion auf eine bestmmte Hilfe gewünshct wird, nicht aber weil es schmerzt!

        2. die Überlegung wie so eine gebisslose Zäumung funktioniert bsw. das Knotenhalfter:
        wie du schon beschreibst-über höheren Druck über eine längere Zeit. Ganz abgesehen davon sitzen z.B. die Knoten des Knotenhalfters nicht zufällig an jenen Stellen (dort wirken sie auf empfindlichste Nerven), ist das Knotenhalfter nicht zufällig aus sehr dünnem reißfesten Material, was bei losem Sitz und umherschubbeln auf der Nase genaus so wirken kann wie ein Nylonstrick der dir durch die Hand gezogen wird…
        Jetzt frage ich, was wohl unangenehmer ist: ein kurzer Impuls, dem das Pferd sofort nachgibt weil es die Reaktion erlernt hat, oder ein höherer und längerer Druck, dem es irgendwann nachgibt weil es sich gegängelt fühlt… beides möge man an sich selbst ausprobieren… ich persönlich bin der Meinung, dass letzteres eine nervendere Sache ist, die nicht unbedingt zu motivierender Mitarbeit führt…
        3. Ausbildungsweg Akademische RK
        wurde ebenso beschrieben, dass das Pferd zu Beginn auf den Kappzaum-also gebisslos!- geschult wird, die von uns gewünschten Reaktionen gebisslos erlernt und die weitere Ausbildung vom Indivuduum abhängig entschieden wird…
        Ich kann Bianca´s letzten Satz nur unterschreiben.
        Es ist immer die Art und Weise, wie das entsprechende Handwerkszeug eingesetzt wird und ob die Menschenhand von einem entsprechend intelligenten Hirn mit Sachverstand und Wissen geführt wird, mit der präzisen Vorstellung von dem Ziel was ich erreichen möchte und daraus mit der nötigen pädagogischen Fähigkeit das richtige „Werkzeug“ so differenziert, präzise, durchdacht und gefühlvoll „handahbt“, dass ich mein Partner Pferd dazu bringe mich verstehen zu wollen, seinen Körper entsprechend meinen Wünschen einzusetzen, weil mein Geist den seinen dazu angeregt hat dasselbe zu wollen wie ich.

        Deinen letzten Satz, Susanne, finde ich aber auch sehr interssant und er ist ein interessanter Gedanke zum Reiten an sich. Das Fazit „Schaden zufügen“ allerdings allein aus dem Thema ob Gebiss oder nicht abzuleiten ist für mich nicht relevant, da unter der Betrachtung des Reitens als Kunst die Ausbildung des Pferdes darauf abzielt sich von den tertiären und sekundären Hilfen (bsw. Zügel) unabhängig zu machen und das Pferd allein aus der primären Sitzhilfe zu führen. Dann haben die Zügel bzw. das Gebiss eine absolut untergeordnete Rolle und der Druck auf Maul, Lade und Kiefer dürfte sich auf ein Minimum beschränken…

      • Maksida Vogt sagt:

        Liebe Susann,

        vielen Dank für Deinen Beitrag. Er ist konsequent durchdacht.

        Ich möchte dazu ein paar Sachen im Bezug auf die klassische „Reitkunst“ sagen. Zuerst freut es mich sehr, dass mein Artikel der Frau Grön gefällt. Ich glaube, dass die Frau Grön es wirklich ernst meint, wenn sie behauptet, dass sie gegen jegliche Form der Gewalt ist und insbesondere gegen den Missbrauch von Gebissen. Sie scheint eine aufrichtige Person zu sein, die dem folgt, was sie in der „Reitkunst“ gelernt hat.

        Und hier kommen wir an den Punkt, wo ich einige Paradoxa aufzeigen möchte. Prinzipiell treffen hier zwei Welten aufeinander. Die Welt der „Reitkunst“ haftet in der Vergangenheit, in der die Brutalität an den Pferden ein ganz normaler Bestandteil des Lebens war und in der weder das hippologische Wissen noch das Bewusstsein mit dem heutigen verglichen werden kann. Die andere – in der das Pferd als Freund, als Wesen mit eigenem freien Willen, den es zu respektieren gilt, gesehen wird – ist ein Kind der Zukunft, deren zarte Triebe heute in der ganzen Welt sprießen und den Weg für einen humanen, eines Menschen würdigen Umgang mit dem Wesen Pferd ebnen. Und damit auch die Wege für die Heilung des Menschen öffnen. Ich sage Heilung, denn nur wenn man innerlich nicht heil ist, nur dann kann man blind für das Befinden der anderen Wesen sein. Unsere Gesellschaft ist noch nicht heil. Zu viel Leid wird täglich den Menschen und den Tieren angetan. Die Pferde gehören dazu.

        Das erste Paradoxon ist dem Begriff „Reitkunst“. Die Kunst soll etwas schönes sein, etwas was Menschen inspiriert, beflügelt, zum Träumen anregt. Ein Fest für alle Sinne. „Reitkunst“ aber basiert auf der Unterdrückung und schmerzhaften Missbrauch des Pferdes. Mit direkten nachweisbaren Schäden für seine Gesundheit. Natürlich ist es sehr schwer, diese Thesen zu verstehen, wenn man in einem Reitermilieu ausgebildet wurde in dem die alten „Meister“ verehrt werden und ihnen nachgeeifert wird. Oft haben ich schon darauf hingewiesen, dass in der Reitszene sehr viele Irrtümer herrschen und nach wie vor gelehrt werden. Die Reiterei ist in der Vergangenheit erstarrt geblieben, sie hat sich nicht mir der Zeit zum Wohl der Pferde entwickelt, sondern sie hat die antike Brutalität beibehalten. Diese Inhalte werden aber verehrt und weiter gelehrt und zwar so, dass die Menschen glauben, sie tun dem Pferd sogar etwas Gutes damit. Warum glauben die Menschen das? Weil ihnen weder die Anatomie noch andere aktuelle medizinische Studien gelehrt werden. Der zweite, noch wichtigere Grund ist der eigene innere Schmerz, der die diese Menschen daran hindert, das Pferd zu spüren. In der Reiterei ist es vollkommen normal das Pferd zu beherrschen. Das alles hat wenig mit der wahren Natur des Pferdes und mehr mit dem menschlichen Ego zu tun. Wenn man aber die Gelegenheit hatte, dem Karussell der ewigen Diskussionen über den Sitz, Hilfen und durch das Gebiss erzwungenen Pirouetten, Piaffen oder Schulsprüngen zu entkommen – dann und erst dann kann man verstehen. Erst durch eine freie Herde, durch ein freies Pferd kann man sich selbst auch befreien. Dann wechselt die Perspektive und man kann mehr sehen. Man kann den deutlichen Schmerz der Pferde auf den grausamen Bilder aus der Escuela Andaluza del Arte Equestre und ähnlichen Häuser erst dann sehen. Der spanische König, der sie als Hofreitschule anerkannt hat, jagt immer noch Elefanten und Löwen in Afrika. Die bedrohten Arten auf unserem Planeten. Unschuldige Lebewesen. Kann ein solcher Mann wirklich um das Wohl der Tiere bemüht sein? Das nur am Rande damit man den erstarrten Zeitgeist der bei solchen Institutionen wie die Hofreitschulen immer noch herrscht und mit der „Reitkunst“ verbunden ist, erkennt und versteht. Man kann darüber streiten ob Nuno Oliveira oder Egon von Neindorff das Training etwas pferdefreundlicher gestaltet haben als Alois Podhajsky, der ehemalige Leiter der genauso brutalen Spanischen Hofreitschule – aber wir sprechen immer über Gewalt am Pferd. „Reitkunst“ bedeutet immer Gewalt am Pferd. Und insbesondere die klassische „Reitkunst“, weil sie den Schmerz der Pferde noch weniger sehen kann, als die ordinären Sportreiter, die das Pferd einfach zum eigenen Zweck benutzen. Wenn man schon über die alten „Meister“ spricht, dann zollen wir lieber dem Steinbrecht den Respekt, denn er war einer wenigen, der das nie beschönigt sondern sogar klar ausgesprochen hat, dass die Pferde nur menschlichem Zweck dienen und keinesfalls etwas dergleichen freiwillig tun würden.

        Das zweite Paradoxon liegt in dem Namen „akademische Reitkunst“. Das Adjektiv „akademisch“ hat die Bedeutungen: gelehrt, gebildet, wissenschaftlich, studiert, fachwissenschaftlich, etc. Es suggeriert uns Seriosität und Wissen. Nicht umsonst würde für Academia Liberti, dieses Wort miteinbezogen. In der Verbindung mit der „Reitkunst“ entwickelt sich das zu einem Paradoxon. Denn wenn man sich an die Wissenschaft hält, an die Hippologie, Anatomie, Biomechanik, Histologie, Physiologie, Physik, Mathematik und insbesondere Pferde-Ethologie – dann würde man dieses Wort niemals mit dem Reiten kombinieren. Wenn man das dennoch tut, dann können wir Folgendes daraus ableiten:
        – entweder man besitzt kein Wissen über diese Wissenschaften im Bezug auf das Pferd und weiß demnach nicht was man dem Tier antut,
        – oder man besitzt dieses Wissen und tut es um das Tier absichtlich zu brechen und zu misshandeln.
        Das Wissen aus allen diesen Wissenschaften lehrt uns um die Schädlichkeit der Gebisse, des Beschlags und des Reitens auf die physische und psychische Gesundheit des Pferdes.

        Das dritte Paradoxon sollte auch jedem klassischen Reiter einleuchten. Das Pferd wird auf Kappzaum „ausgebildet“ und dann nimmt man das Gebiss als „feines Instrument“. Spätestens hier wird das Ganze lächerlich. Mit der gesteigerten Kunst sollte man weniger und nicht mehr und schärfere Instrumente brauchen. Die Wahrheit ist sehr simpel: Mit dem Kappzaum (obwohl der schon einen gewaltigen Zwang auf das Pferd ausübt) wird kein Reiter in der Lage sein, von einem nicht gebrochenem Pferd die klassischen Elemente zu erzwingen. Wem es einem um das Wohl des Pferdes geht, der wird keine Schwierigkeiten haben, das zuzugeben. Aber dann müsste man auch in das Bild im Spiegel sehen – und das hat wieder etwas mit der inneren Heilung zu tun.

        „Warum ist uns diese Selbstverständlichkeit des Lernens und der Sachkenntnis in der Reiterei abhandengekommen? Sofern wir auch das Reiten als Kunst sehen, sind verschiedene Tugenden wie Geduld und Beharrlichkeit von großer Bedeutung. Es ist zudem natürlich wichtig, dass wir uns nicht bloß mit den verschiedenen Werkzeugen und der Biomechanik beschäftigen, sondern vielmehr auch mit dem Individuum, das, was wir vor uns haben, genauso wie mit uns selbst – denn der Leitsatz in der Akademischen Reitkunst lautet: Zwei Geister wollen, was zwei Körper können. „

        Die Sachkenntnis war in der Reiterei nur so weit vorhanden, wie das Wort auch sagt – die Kenntnis über die Sache Pferd. Das Wissen wie man ein Pferd „zureitet“ und „ausbildet“ war vorhanden, das hat aber nichts mit dem Wohl des Pferdes zu tun. Keinesfalls war ein Wissen um das Wesen Pferd, seine wahre Natur, seine Gesundheit, seine Wünsche und Bedürfnisse als ein Lebewesen vorhanden oder respektiert. Demnach ist das eine Verunglimpfung des Wortes Kunst, wenn man das Reiten als dieselbe sehen würde.
        Das kann jeder Einzelne nachprüfen, wenn er wirklich daran interessiert ist. Befreie dein Pferd von jeglichen Mittel der Kontrolle und des Zwangs (gebisslose Zäumung zählt auch dazu) , nur Du und das Pferd, jeder mit seinem freien Willen – und versuche dann die „Reitkunst“ auszuüben.
        Dann wird sehr schnell klar, dass dann nur ein Geist bleibt, das etwas will – der des Menschen.
        Es gehört Mut dazu, sich mit dem Ergebnis auseinander zu setzen und umzudenken. Etliche Reiter haben das geschafft (inklusive meine Wenigkeit als ehemalige klassische Reiterin) , also glaube ich fest an die Güte in Menschen.

      • Anmerkung der Redaktion:

        Liebe Leser,

        ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Redaktion hier gern verschiedene Meinungen abbildet (schließlich lohnt ein Blick über den Tellerrand immer), aber nicht jede davon selbst unterstützt. Feine Hilfen steht für den verantwortungsvollen Umgang mit dem Pferd – und wir sind überzeugt davon, dass die richtig praktizierte klassische Reitkunst in höchstem Maße pferdegerecht ist. Sie beruht auf jahrundertealten Beobachtungen, durchdachten, trainingswissenschaftlich bestätigten Methoden und nicht zuletzt auf der Liebe zum Partner Pferd. Bevor man mit dem Pferd „tanzen“ kann, vergehen idealerweise viele Jahre der Ausbildung, in denen das Pferd psychisch und physisch auf die höhere Belastung vorbereitet wird. Schließlich steht die Harmonie zwischen Pferd und Reiter an erster Stelle. Unter Zwang und begleitet von Schmerzen würde kein Pferd mit seinem Reiter tanzen, sondern tatsächlich nur marionettenhaft gehorchen.

        Auch das Pferd kann und sollte (!) Spaß am Reiten, an der Bewegung mit dem Reiter, haben. Jeder, der sein Pferd nicht nur auf die Koppel stellen, sondern reiten möchte, sollte sich deshalb selbst und mit Hilfe eines wirklich kompetenten Trainers fortbilden, seine Arbeit immer wieder hinterfragen und dann entscheiden, was er auf welche Art und Weise vom Pferd verlangen kann, ohne ihm Schaden zuzufügen. Wer sich dabei für Bodenarbeit entscheidet, handelt genauso „klassisch“ wie jemand, der mit feinsten Hilfen auf Kandare Galopppirouetten reitet. Diese Toleranz den unterschiedlichen Auffassungen gegenüber vertritt Feine Hilfen – wir bitten deshalb um eine sachliche Diskussion zum Thema.

        Viele Grüße,
        Claudia Weingand
        Feine Hilfen

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