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Leseprobe: Mit Körperspannung zur korrekten Anlehnung

Den gesamten Artikel lesen Sie in Feine Hilfen Ausgabe 9!

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„Nur fünf bis zehn Prozent der Reiter reiten mit korrekter Anlehnung.“ Bild: mariat/Shutterstock.com

 

Offene Zügelfaust, instabiler oder zurückgeneigter Oberkörper oder angeklemmte Ellbogen – die Liste der Sitzfehler, die sich auf die Anlehnung auswirken können, ist lang. Wanless-Trainerin Elaine Butler erklärt, worauf Reiter achten müssen, und gibt Tipps, wie Reiter die Anlehnung verbessern können.

Feine Hilfen: Am Zügel darf man sich nicht festhalten und niemals ziehen, darüber herrscht Einheit bei Reitern aller Stilrichtungen. Wie oft treffen diese Vorsätze Ihrer Erfahrung nach in der Praxis zu?
Elaine Butler: Reiter kann man grundsätzlich in drei verschiedene Kategorien einordnen. In der ersten Gruppe Reiter, die ohne konstante Anlehnung reiten, entweder aus mangelndem Vertrauen, eine gute Verbindung mit dem Pferdemaul aufbauen oder durchhalten zu können, oder weil sie glauben, ihr Pferd hätte es lieber, dass der Reiter im Maul nicht „stört“. Dass Pferde eine elastische Verbindung über Genick und Zügel gegenüber schlackerndem Kontakt bevorzugen, wird selten richtig erklärt; wie man diese elastische Verbindung zustande bringen kann, noch weniger … Reiter ohne gefestigten Sitz bekommen schon die Zügel, halten sich an ihnen fest und geben ihr Gehüpfe im Sattel schmerzhaft ans Pferdemaul weiter. Dann wird in den ersten Reitstunden so laut mit ihnen geschimpft, dass diese Reiter ein Trauma fürs Leben haben und nie wieder die Zügel aufnehmen wollen.
Die zweite Gruppe reitet zu viel über die Hand, entweder aus Angst vor Kontrollverlust oder aus Frust, weil sie das Pferd nicht „am Sitz“ haben. Oder weil sie sich nicht im Klaren darüber sind, dass sie überhaupt grob einwirken. Wahrscheinlich ist, dass es auch andere biomechanische Gründe im Reiterkörper gibt, warum das Pferd nicht in einer korrekten Form gehen kann. Der Reiter möchte diese Form dann über die Hand erzwingen. Die störende Hand ist eigentlich ein Symptom und nicht die Ursache für das Chaos. Viele Reiter behaupten, ihre Pferde seien frech oder stark, wenn sie einfach schlecht ausbalanciert sind, ermüdet oder aufgrund von Blockaden im Körper (eventuell auch unpassende Ausrüstung) nicht in der Lage sind, über den Rücken zu gehen und sich selbst zu tragen. Leider versuchen dann starke Reiter mit dem Pferd zu kämpfen, statt die Ursache zu beheben. Die Übungsreihe „Aus dem Schritt halten, erneut anreiten, halten, erneut losreiten“, bis das Pferd auf feine Hilfen reagiert, wird unterschätzt und ist die Lösung vieler solcher Missverständnisse. Pferde wollen nicht stumpf sein oder gegen das Gebiss laufen. Deshalb müssen wir am Reaktionsvermögen und an der Balance arbeiten, bis „Stop“ und „Go“ super funktionieren!
Die dritte Gruppe, leider nur etwa fünf bis zehn Prozent der Reiter, reiten ihre Pferde mit einer stetigen und korrekten Anlehnung.

Feine Hilfen: Welche Handfehler machen Reiter besonders häufig?
Elaine Butler: Haltungsfehler von Armen und Händen führen automatisch zu fehlerhafter Hilfengebung mit harter Hand. Falsch sind beispielsweise vom Oberkörper abstehende Ellbogengelenke, an den Oberkörper geklemmte Ellenbogen oder zu gerade Arme, ausgedrehte oder verdeckte Zügelfäuste. Hände, die zu hoch getragen oder hinuntergedrückt werden, zu weit seitlich vom Hals geführt oder über dem Widerrist gekreuzt werden. Die Zügel werden oft nur mit zwei oder drei Fingern gehalten, anstatt die Zügel fest zu umschließen, was zu „offenen Zügelfäusten“ führt. Dies hat wiederum zur Folge, dass sich das Zügelmaß ständig verlängert, der Reiter die Hand immer weiter zurücknimmt und immer wieder nachfassen muss.
Ich würde nicht bei jemandem in Auto mitfahren, wenn der Fahrer kurz vorm Losfahren erklärt: „Hör mal, das Bremspedal funktioniert nicht immer, wenn ich drauftrete.“ Unvorstellbar, oder? Aber wie viele Reiter tolerieren, dass ihre Pferde gegen die Hand rennen und sich nicht auf leichteste Art und Weise zurücknehmen lassen! Leider ziehen viele bei den Übergängen aus einer höheren in eine niedrigere Gangart oder spätestens beim Halten kurzfristig am Zügel zurück, weil sie a) nicht verstehen, dass es überhaupt möglich und richtig ist, ein Pferd über die Sitzhilfen reiten zu können, oder b) diese Hilfen nicht effektiv ausführen können, weil es ihnen nicht verständlich genug erklärt wurde. Die falsch verstandenen Begriffe „halbe Parade“ und „ganze Parade“ tragen meiner Meinung nach viel Schuld an diesem Übel, da die meisten Reiter eine durchhaltende oder sogar rückziehende Handeinwirkung ohne jegliche Schenkel- oder Kreuzhilfe einsetzen. Und wenn der Reiter es doch versteht, über die Körpermitte eine verwahrende oder nach hinten ausbalancierende Hilfe zu geben, braucht man in diesem Moment sowieso kaum Zügeleinsatz. „Paraden“ sind also im Becken, Bauch und Kreuz, nicht in der Hand zu suchen. Ich versuche den Ausdruck „halbe Parade“ komplett zu vermeiden, da es zu handorientierter Reiterei führt. Ich betone viel mehr den Einsatz von Reitermuskeln (entsprechende Körperspannung) und vielleicht noch dazu einen momentanen passiven Widerstand durch Daumen und Zeigefinger am Zügel, während der Reiter seinen Schwerpunkt und den seines Pferdes wieder zusammenbringt und nach hinten verlagert. Darüber hinaus sind die meisten Reiter leider nicht in der Lage, den Widerrist beziehungsweise die Pferdeschulter korrekt und zügelunabhängig auf die gewünschte Linie zu lenken. Sie benutzen stattdessen den inneren oder äußeren Zügel, auch wenn die meisten versuchen, das zu kaschieren, indem sie über ihre Fingergelenke oder Handgelenke kurze, aber scharfe rückwärts- und seitwärtswirkende Impulse geben. Manche jedoch geben sehr offensichtliche Anweisungen mit dem gesamten Arm in der Annahme, sie würden dem Pferd die Lenkmanöver damit leichter machen, bringen dadurch aber sich und das Pferd aus dem Gleichgewicht. Auch immer wieder missverstanden ist das Wenden mit Stellung und Biegung. Das darf man, meiner Meinung nach, erst dann einbauen, wenn das Lenken der Vorderhand unabhängig von der Hand absolut zuverlässig und weich ohne Stellung und Biegung erfolgen kann. Überstellen und Überbiegen sieht man überall. Es führt auch zu einer groben Handeinwirkung und schlimmen Folgen für das Gleichgewicht sowohl des Reiters als auch des Pferdes.

Feine Hilfen: Woran liegt es meist, wenn mit harter Hand geritten wird? Mangelnde Balance? Mangelnde Körperspannung?
Elaine Butler: Sicher kann die mangelnde Balance des Reiters dazu führen, dass er in den Zügeln hängt, etwa wenn er beim Einspringen in den Galopp hinter die Bewegung kommt. Hätte er sich beim Angaloppieren durch höhere Körperspannung stabiler gemacht, wäre dieser Fehler zu verhindern gewesen. Manche Reiter werden aber von ihrem Trainer falsch informiert und meinen, dass sie den Schwerpunkt des Pferdes Richtung Hinterhand verlagern, wenn sie mit ihrem Oberkörper hinter die Senkrechte gehen. Das ist leider Gottes aufgrund der physikalischen Gesetze falsch. Das Gegenteil ist der Fall: Die Belastung des Reitergewichts wirkt in der Geschwindigkeit diagonal nach unten auf die führende Pferdeschulter. Der nach hinten geneigte Sitz führt gleichzeitig zu zurückgenommenen Schultern, Ellbogen und Händen und aufgrund dessen zu einem kurzen Pferdehals und zu Abwehrreaktionen des Pferdes sowie zu groben Zügelparaden, weil das Pferd eben „durch seine Brust“ zu fliehen versucht.
Wenn mit harter Hand geritten wird, liegt das oft daran, dass der Reiter versucht, seine Hände ruhig zu halten. Eine stille Hand ist eine harte Hand. Der Winkel Schultergelenk/Oberarm sowie Oberarm/Unterarm und die kleinsten zwei Finger jeder Hand müssen mehr oder weniger die ganze Zeit kleine, aber wichtige Kompensationsbewegungen ausführen, um die wechselnde Rumpfposition des Pferdes als auch des Reiters zu kompensieren, je nachdem, ob es sich um Aufwärts- oder Abwärtsbewegung in den verschiedenen Gangarten handelt.

Feine Hilfen: Was hat „Anlehnung“ mit dem Muskeltonus in Bauch und Rücken des Reiters zu tun?
Elaine Butler: Alles! Man darf nicht mehr Anlehnung haben, als man Energie aus den vorwärtstreibenden Hilfen (Kreuz, Bauch, Schenkel) aufbringt. Und wenn man auf diese Art und Weise sozusagen „das Haus heizt“, lässt man nicht Tür und Fenster offen. Das ist der Punkt, an dem eine weiche, aber klare Zügelverbindung angestrebt werden sollte. Und mit jedem Vorwärtsimpuls muss die Hand unsichtbar, aber doch ein wenig Richtung Pferdemaul nachgeben, damit dieser treibende Impuls durch den Pferdekörper durchkommen kann. Das Pferd soll sich zum Gebiss treiben lassen, um sich dann dort abzustoßen und nachzugeben. Die Hand ist dabei keinesfalls starr, sie folgt gefühlvoll dem Pferdemaul durch sehr weiches (für das Auge kaum sichtbares) Annehmen und Nachgeben. Der Zügel läuft von der Trense zwischen dem kleinen Finger und dem Ringfinger in die Hand und kommt zwischen Daumen und Zeigefinger wieder heraus. Der Daumen schließt die Faust spitzdachförmig ab, die restlichen Finger liegen flach in der Handfläche (aber nicht pressend und ohne eine geballte Faust zu machen, da dies zu Verspannungen bis zum Nacken führt). Wäre der Daumen gerade ausgestreckt, würde er eine feste Hand und einen verkrampften Oberarm verursachen. Das kann man sehr gut in einer „Trockenübung“ mit den Zügeln ausprobieren. Manche Armsehnen sind über Trizeps, Schulterblatt mit Pectoralis-, Trapez- und Latissimusmuskeln verknüpft, das heißt, die ruhige Handhaltung kommt anatomisch auch nur über einen stabilen und über dem Schwerpunkt platzierten Oberkörper zustande. Wenn man über die verschiedenen Bauch- und Beckenmuskelgruppen auf das Pferd motivierend einwirkt, kann man sogar auch die Versammlung „im Bauch“ spüren.

Feine Hilfen: Wozu raten Sie Reitern, die unruhige Hände haben?
Elaine Butler: Wackelt der Reiter wie Pudding im Sattel, ist nicht zu erwarten, dass er die Hände kontrollieren kann. Wenn das Sitzfundament nicht stimmt, kann die korrekte Handhaltung nicht funktionieren. Nach meiner Erfahrung gibt sich das Problem, wenn die Zügelführung korrekt ist und der Schultergürtel aufgrund einer „entspannten Anspannung“ der tiefen Rumpfmuskeln aktiviert wird. Wenn die Kernmuskeln des Reiters arbeiten, um die Balance in der Bewegung zu halten, dann lassen die oberflächlichen Muskeln los. Nur dann können Gelenke wie Ellbogen- und Handgelenk frei arbeiten, trotzdem wirkt der Reiter sowohl stabiler als auch lockerer als vorher. Darüber hinaus zeige ich dem Reiter gern, wie viel oder wenig Zug auf den Zügeln vorhanden ist, indem der Reiter die Augen schließt. Ich stehe am Boden am Pferdekopf und ziehe dann an beiden Zügeln gegen die Reiterhand, mit Wertnoten zwischen null (Zügel hängt durch) bis Wertnote zehn (ich hänge mit meinem gesamten Gewicht in den Zügeln). Wertnote fünf stellt den idealen Mittelwert dar. Beim Reiten erfrage ich eine Wertnote für jeden Zügel, und den Reitern wird ziemlich schnell klar, dass sie zu wenig oder zu viel auf der Hand haben. Wenn die Wertnoten tendenziell zu gering sind, bitte ich den Reiter, sich vorzustellen, dass das Pferd nur das Gebiss mit Zügeln im Maul trägt, kein Kopfstück. Er soll das Zügelmaß dann so einstellen, dass das Gebiss nicht aus dem Pferdemaul herausfallen würde. Wenn die Wertnoten zu hoch sind, muss nachgegeben werden, oder der Reiter muss mit den vorwärtstreibenden und aufrichtenden Hilfen arbeiten, bis das Pferd leichter am Zügel steht.
Bei einer ganzen Parade zum Halten erfrage ich, wie viel aus 100 Prozent über Zügel- und Sitzeinwirkung verteilt war. Ein guter Reiter wird es schaffen, sein Pferd zu 80–100 Prozent über den Sitz zum Halten zu bringen und mit maximal 20 Prozent Zügeleinwirkung. Bei vielen Reitern ist dieser Prozentsatz leider genau andersherum verteilt. Das kann man aber „einstudieren“, bis das Pferd weniger auf den Zügel, sondern mehr auf die verhaltende Wirkung des Sitzes hört.

(…)
Die Expertin
Elaine Butler stammt aus Südengland. Nach ihrem Sprachstudium hat sie in Deutschland für einige Jahre erfolgreich im Bereich Marketing und Vertrieb gearbeitet.
Im Jahr 2000 entschied sie sich, ihr Leben zu verändern, um sich ihren Kindheitstraum zu erfüllen: mit Pferden zu arbeiten. Sie startete bei Mary Wanless ihre Ausbildung zur zertifizierten Trainerin nach der Wanless-/Ride-With-Your-Mind-Methode.
Heute arbeitet sie freiberuflich innerhalb des RWYM-Netzwerkes mit Reitern und Pferden verschiedener Altersstufen aus unterschiedlichsten Sparten und jeglicher Ausbildungsgrade. Aufgrund ihrer sehr guten Deutschkenntnisse unterrichtet sie auch in deutscher Sprache und hat in Deutschland in den letzten Jahren bereits einige Kurse durchgeführt.
Kontakt und weitere Infos: http://www.die-wanless-methode.de/

 

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Category: Besondere Themen

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