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Leseprobe: David de Wispelaere über die Parade

 Dieses Interview erschien in der aktuellen Ausgabe, Feine Hilfen 5. Als Leseprobe veröffentlichen wir an dieser Stelle Auszüge daraus.

Feine Hilfen: Viele Lehrbücher definieren die Parade als das Zusammenspiel aller Hilfen. Wie darf man sich das in der Praxis vorstellen? Wie reiten Sie eine Parade?
David de Wispelaere: Das kann ganz unterschiedlich sein. Wenn das Pferd bei mir ist, reicht es, wenn ich tief ein- und dann ausatme. Vielleicht strecke ich meinen Sitz noch ein bisschen. Wenn das Pferd entspannt ist, kann ich es so zur niedrigeren Gangart oder sogar zum Halten durchparieren. Vielleicht korrigiere ich dabei gegebenenfalls noch leicht mit Schenkeln und Zügeln seine Schiefe. Eine Parade macht bei einem Pferd, das nicht geradegerichtet ist, wenig Sinn. So nimmt es keine Last mit der Hinterhand auf.

Feine Hilfen: Und wenn das Pferd nicht auf das Ausatmen reagiert?
David de Wispelaere: Wenn das Pferd zu sehr rennt, atme ich zuerst hörbar aus, um es ruhiger zu bekommen. Kommt keine Reaktion, mache ich die Oberschenkel zu. Das reicht bei den meisten Pferden, auch wenn sie bisher weniger sensibel geritten wurden. Als letzte Instanz schließe ich die Zügelfäuste fester. Das ist aber die Grobform! Ziel ist immer, dass ich völlig ohne Handeinwirkung nur über die Atmung parieren kann. Das ist für das Pferd völlig logisch: Beim Ausatmen sinkt die Körperspannung. Das spürt das Pferd und wird ruhiger, langsamer bis hin zum Halten. Die Westernreiter machen es mit ihrem „Whoa“ nicht anders – sie atmen aus, das Pferd pariert durch. Das klappt auch in einer ganzen Parade vom versammelten Galopp zum Halt, wenn das Pferd entspannt ist und mir zuhört. Im Idealfall wird es in der Vorhand so leicht, dass die Vorderhufe sanft auf den Boden treffen – wie ein Herbstblatt, das vom Baum fällt. Das geht nicht, wenn ich am Zügel ziehe, dann fällt es hart auf die Vorhand.
In den Übergängen vom Trab zum Schritt baue ich oft lange Phasen im extrem langsamen Trab ein. Ich atme also aus, das Pferd wird langsamer. Dann treibe ich mit dem linken Schenkel das linke Hinterbein und mit dem rechten das rechte. Das Pferd bleibt eine Weile zwischen den Gangarten, erst dann darf es Schritt gehen. So verhindere ich, dass es abrupt ausgeht, und engagiere die Hinterhand. Je nach Notwendigkeit schließe ich kurz die Faust, damit sich das Pferd am Gebiss abstoßen kann. Dann gebe ich aber sofort nach. Das heißt aber nicht, dass die Zügel dann durchhängen! Die Anlehnung sollte konstant sein, wie das berühmte gespannte Gummiband. Wenn der Reiter gar nichts in der Hand hat, ist das auch nicht richtig.
Man kann die Reaktion auf die Körpersprache schon an der Longe üben. Wenn das Pferd langsamer werden soll, atme ich aus. Ich arbeite zusätzlich mit Handsignalen. Ist die Hand oben, heißt das „vorwärts“, fällt sie nach unten, bedeutet das „langsamer“. Eventuell kommt noch ein beruhigendes Stimmkommando dazu. Wichtig ist, dass das Ende des Wortes tiefer gesprochen wird. Wenn ich das Pferd aufmuntern will, geht die Stimme dagegen hoch.

Feine Hilfen: Wofür sind Paraden eigentlich wichtig?
David de Wispelaere: Sie nutzen dem Pferd auf vielfältige Weise. Eine Parade zum Halt kann ein Pferd beruhigen. Wenn es verspannt ist und wegrennt, kann ich es über das Anhalten zu mir zurückholen. Dann übertreibe ich es manchmal bewusst mit dem Ausatmen. Ich seufze, als ob ich mich nach einem anstrengenden Tag ins Sofa fallen lasse. Im Idealfall macht das Pferd das nach und lässt los. Andererseits kann eine ganze Parade das Pferd aufwecken, wenn es nicht bei der Sache ist und trödelt. Um zu halten, muss es mehr Energie aufwenden, als wenn es nur auf der Vorhand weitertrotten würde. Es muss den Kopf benutzen und die Hinterhand einsetzen – wie ein frei laufendes Pferd auf der Koppel, das auf den Zaun zurast. Es kann nur schnell auf der Hinterhand stoppen und muss wenden, um nicht im Zaun zu landen. Ich pariere auch zum Halt durch, wenn das Pferd halbe Paraden ignoriert. Dann wird es aufmerksamer.
Halbe Paraden sind natürlich auch sehr sinnvoll: Sie bringen das Pferd in Balance und auf die Hinterhand. Ich stelle mir dabei vor, dass ich die „Bremse anteste“, wie beim Autofahren. Wenn ich auf eine rote Ampel zufahre, bremse ich ja bereits vorher immer wieder leicht und nicht erst mit voller Wucht an der Haltelinie. Eine halbe Parade ist so was wie „den Fuß vom Gas nehmen“. Ich reite übrigens mehrere halbe Paraden auf dem Weg zum Halten, weil ich nicht abrupt bremsen will.

Feine Hilfen: Was halten Sie davon, Stimmhilfen zum Durchparieren einzusetzen?
David de Wispelaere: Ich finde das sehr sinnvoll. Die kennt das Pferd vom Longieren und weiß beim Reiten sofort etwas damit anzufangen. Das Pferd ist ja nicht dazu geboren, Schenkeldruck zu verstehen. Die Stimme unterstützt es dabei, die Bedeutung der Reiterhilfen zu verstehen. Das muss dann natürlich verfeinert werden, damit es irgendwann ohne Stimme und beispielsweise nur über die Ausatmung klappt.
Dr. Reiner Klimke hat viel mit der Stimme gearbeitet. In der Prüfung hat er sichtbar ausgeatmet, eine Art lautloses „Brrr“, eine Feinform der Stimmhilfe. Damit hat er seine Pferde durchpariert und beruhigt. Das ist die feinere Form der Stimmhilfe. Pferde sind sensibel genug, das zu verstehen.
Nur mithilfe der Stimme durchzuparieren – also auch bei weiter ausgebildeten Pferden – finde ich weniger gut. Andererseits ist das wahrscheinlich kaum möglich. Der Reiter wird immer ein körpersprachliches Signal senden, manchmal ohne dass er es merkt. Oft denke ich im Galopp an Trab und das Pferd pariert plötzlich durch, ohne dass ich bewusst eine Hilfe gegeben hätte. Manchmal registriert das Pferd eine Veränderung unserer Körperspannung eben schneller als wir.

Feine Hilfen: Wie wichtig ist das Timing in der Parade? Muss man die genaue Fußfolge des Pferdes spüren, um richtig parieren zu können?
David de Wispelaere: Jetzt haben Sie mich erwischt. Ich pariere oft aus dem Gefühl heraus, ohne mir Gedanken zu machen, welches Bein ich jetzt gezielt ansprechen möchte. Vielleicht ändert sich das in zehn Jahren, aber momentan arbeite ich oft aus dem Bauch heraus.

Feine Hilfen: Warum sieht man oft rückwärtswirkende Zügel, aber wenige feine Paraden?
David de Wispelaere: Grobe Paraden sieht man in der Tat häufig. Schauen Sie sich auf Turnieren um. Man glaubt, manche Reiter wollen Wasserski laufen, so hängen sie in Zügel und Steigbügel. Viele Trainer bringen den Schülern tatsächlich bei, an den Zügeln zu ziehen. Ich war mal bei einer Vorführung einer Olympiagoldgewinnerin. Sie sagte: „Reiten ist ganz einfach. Wenn ich vorwärtswill, nehme ich beide Schenkel. Wenn ich am rechten Zügel ziehe, geht das Pferd nach rechts; ziehe ich links, geht es nach links. Zum Anhalten ziehe ich an beiden Zügeln.“ Das Pferd war dafür bekannt, dass es am Ende der Prüfung nicht ruhig stehen konnte. Das ist das Ergebnis groben Reitens.

Feine Hilfen: Welche Fehler verhindern noch, dass das Pferd auf feine Paraden reagiert?
David de Wispelaere: Viele jagen ihr Pferd zu sehr vorwärts. So findet es sein Gleichgewicht nicht. Es stützt sich auf den Zügel und wird vom Druck im Maul abhängig, weil es sich ohne ihn nicht mehr ausbalancieren kann. Dann sind feine Hilfen kaum möglich.
Wenn ich dreieinhalb- oder vierjährige Pferde anreite, verlange ich von Anfang an Selbsthaltung. Das hat nichts damit zu tun, wo sich die Nase befindet oder wie aufgerichtet der Hals ist. Das junge Pferd muss nicht gleich durchs Genick gehen. Es muss nur zügelunabhängig laufen können, ohne auf die Nase zu fallen. Pferde, die das können, sind ausbalanciert und entspannt. Sie parieren gern zum Schritt durch, freuen sich über eine Pause. Sie sind im Kopf bei mir.
In vielen Ställen sieht die Ausbildung anders aus. Ich interessierte mich mal für einen dreijährigen Hengst, der bei einer Auktion vorgestellt werden sollte. Ich sah beim Training zu. Das Pferd wurde longiert. Dabei war das Zügelende hinter den Sattel geklemmt, er war also eng ausgebunden. Kaum saß der Reiter auf dem Junghengst, musste das Pferd antraben und galoppieren. Zwei Bereiter standen in der Mitte und scheuchten es mit der Peitsche. Als ich eine Bereiterin bat, das Pferd im Schritt vorzustellen, sagte sie: „Ich hoffe, das geht.“ Das muss man sich mal vorstellen. Diese jungen Pferde müssen sofort vorwärts und bergauf in lehrbuchgerechter Haltung gehen. Das ist aber keine Selbsthaltung, sie wird künstlich mit den Zügeln erzeugt. Wie soll so ein Tier auf feine Hilfen reagieren? Es wird abhängig vom Reiter. Dasselbe gilt für Rollkurpferde, die sich irgendwann selbst aufgeben. Das nennt man erlernte Hilflosigkeit. Leider sehen das viele Reiter und nehmen es dennoch so hin. Zu Hause wird dann genauso grob geritten.
Das ist der falsche Weg. Meine Pferde sollen sich präsentieren wollen. Sie sind meine Tanzpartner, nicht meine Sklaven! Nur so kommt Ausdruck zustande. Ob ein Pferd Spaß an der Arbeit hat und locker geht, sehen unerfahrene Leute übrigens oft besser als langjährige Reiter. Die sind oft abgestumpft durch die ganzen Negativbeispiele. Ich habe den Hengst übrigens nicht gekauft.

Feine Hilfen: Warum werden Reiter grob? Was ist so schwierig an der korrekten Parade?
David de Wispelaere: Man muss sie mit Gefühl reiten.

Feine Hilfen: Und wie lernt man das?
David de Wispelaere: Am einfachsten ist, Sie sind damit geboren (lacht). Aber man kann es auch lernen. Alles, was wir tun, tun wir aus Gewohnheit. Deshalb ist es gut, wenn ein Reiter von Anfang an beigebracht bekommt, mit Gefühl zu reiten. Er hat es dann leichter als langjährige Reiter, die bisher grob geritten sind und alte Verhaltensmuster erst durchbrechen müssen. Manchmal ist es viel leichter, ein schlecht gerittenes Pferd zu korrigieren als einen Reiter mit den falschen Gewohnheiten. Es gibt aber auch talentierte Reiter, die das Fühlen schnell wieder lernen.

Feine Hilfen: Nehmen Sie die Reiter zum „Fühlenlernen“ an die Sitzlonge?
David de Wispelaere: Ich arbeite eher wenig mit typischem Longenunterricht. Schon gar nicht mit einem ausgebundenen Pferd. Es ist unfair und respektlos, wenn ein wackliger Reiter auf ihm sitzt und ich ihm auch noch den Kopf festbinde. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich nehme ängstliche oder unerfahrene Reiter schon an die Longe. Ich halte aber nichts davon, dass der Reiter sich nur tragen lässt. Schon Anfänger sollen spüren, dass jede ihrer Bewegungen Einfluss auf das Pferd hat. So begreifen sie auch schnell, dass korrekte Hilfengebung und Sitzkomfort zusammenhängen. Ist das Pferd in Balance, kommen sie besser zum Sitzen. Guten Sitz und korrekte Einwirkung auf das Pferd kann man nicht getrennt voneinander lernen.

(…)

Foto: Wu Wei Verlag

Foto: Wu Wei Verlag

Das komplette Interview lesen Sie in der aktuellen Ausgabe.

Category: Besondere Themen

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