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Ist Reiten noch zeitgemäß?

Foto © Maksida Vogt

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… von Maksida Vogt | Meinung |

Diese Frage zu stellen, ist wie eine Tür zu öffnen – eine Tür zu einem anderen Bewusstsein. Ist es an der Zeit, diese Frage zu stellen? Sind wir kollektiv so weit, damit wir sie verstehen und uns weiterentwickeln können?

Vor etwa fünf Jahren waren wir vielleicht noch nicht so weit. Aber heute, im Angesicht so vieler Menschen, die täglich mit ihren Pferden etwas völlig anderes leben als das, was in einem durchschnittlichen Reiterstall passiert, ist diese Frage eine Konsequenz der Weiterentwicklung der Menschheit. Und trotzdem wird sie vielen als unrealistisch erscheinen, ja fast unglaublich. Wir begegnen Fragen, was wir mit den Pferden dann tun sollen oder ob die Pferde eventuell aussterben werden, wenn der Mensch sie nicht für eigene Zwecke benutzt. Nun, fast alle Reiter werden sagen, dass sie ihre Pferde lieben, nicht wahr? Hört diese Liebe etwa beim Reiten auf? Lieben wir unsere Pferde nur, weil wir sie „gebrauchen“? Und können wir dann überhaupt von Liebe sprechen? Vielleicht sind wir in unserer Gesellschaft einfach so abgestumpft, dass wir glauben, immer etwas im Gegenzug bekommen zu müssen? Dass wir nicht ein Lebewesen von Materie unterscheiden können? In der Tat gibt es sehr viele solche Menschen, die etwas anderes mit Pferden entdeckt haben, als sie zum Reiten oder für sonstige Zwecke zu benutzen: Liebe und Freundschaft.

Wenn man in einem Gefängnis der traditionellen Wahrnehmung gefangen ist, dann ist es schwer, sich eine Pferdehaltung anders als in Boxen oder auf Minikoppeln vorzustellen. Pferde sind in dieser Wahrnehmung Reittiere. Dazu gehört auch die schmerzhafte Unterwerfung der Pferde durch das Benutzen der Gebisse, um mit ihrem Schweiß und Blut den eigenen Unterhalt zu erwirtschaften. Oder aber „nur“ fürs Freizeitreiten, um ein bisschen Entspannung zu erfahren. Wenn ich in diesem traditionellen Denken gefangen bin, dann erscheint es für mich normal, wie die Menschen um mich herum handeln. Wie soll man denn auch etwas anderes denken? Zu stark sind die Ketten in der Reiterszene, es gibt Vorgaben, die man einzuhalten hat, oder man wird schnell als Außenseiter abgestempelt, der sein Pferd nicht unter Kontrolle hat. Und das Pferd muss schließlich dem Menschen gehorchen und auf die kleinste Aufforderung hin alles machen, was der Reiter möchte, nicht wahr? Es ist viel bequemer, im Reiterstübchen zu sitzen und zu plaudern, als komisch angeschaut zu werden, weil man gegen den Strom schwimmt.

Wird ein Reitschüler seinen Reitlehrer hinterfragen? Ihn fragen, woher die Information stammt, dass die Pferde auf dem Gebiss kauen sollen? Sein Wissen über die Anatomie der Pferde hinterfragen? Was macht so ein Gebiss im Pferdemaul, warum fließt der Speichel so, wenn man dem Pferd dieses Fremdobjekt ins Maul schiebt und von ihm komische Figuren zur Belustigung der Menschen abverlangt? Und wird diese/r Reitlehrer/in in der Lage sein, dieses zu erklären? Man wird üblicherweise Folgendes zu hören bekommen: „Wenn das Pferd auf dem Gebiss kaut, dann ist das ein Zeichen der Entspannung. Das ist erwünscht.“

Wenn man einmal die Gelegenheit bekommen hat, fundiertes Wissen darüber zu erfahren, dann erscheinen einem solche Erklärungen als der Gipfel der Ignoranz und man fragt sich, wie man nur so blind sein und diesen Unsinn glauben konnte. Wie konnte man seine Augen für die Leiden des Tieres verschlossen halten, das man so sehr liebt und mit dem man meist täglich zu tun hat? Und wenn man dann so weit ist, sich dessen bewusst zu werden – dann gibt es keinen Weg mehr zurück, denn dann erkennt man immer mehr. Sogar Kinder wissen, dass sie nicht gleichzeitig laufen und essen können. Auch beim Pferd löst das Gebiss im Maul automatisch Speichelbildung und Kaureflex aus, ist also mit der Nahrungsaufnahme verbunden und nicht mit körperlicher Anstrengung. Das Pferd erfährt enormen Stress, denn durch die vermehrte Speichelproduktion läuft es Gefahr, den Speichel einzuatmen. Es muss kämpfen, um atmen zu können! Der Speichel fließt und die Reiter glauben, dass es so sein soll. Wenn unsere Katze anfangen würde, so zu schäumen, würden wir sofort den Tierarzt konsultieren, nicht wahr? Warum sollte das beim Pferd anders sein?

Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Pferde gesundheitliche Probleme beim Tragen der Gebisse haben und schwere Verletzungen erleiden, auch wenn der Reiter eine sogenannte „leichte Hand“ hat. Man braucht sich nur zu informieren, die Beweise sind erdrückend! Aber das größte Problem an den Gebissen ist, dass diese Tradition Jahrtausende zurückreicht, seitdem der sogenannte Vater der Reitkunst, Xenophon, den Pferden eine Stachelrolle ins Maul legte, um ihren Willen zu brechen und Gehorsam zu erzwingen. Ein Gebiss ist der Ausdruck der Angst des Reiters vor dem Freiheitswillen des Pferdes.

Was also, wenn wir diejenigen sind, die konditioniert sind, etwas Falsches zu tun? Es ist ähnlich wie mit der Einstellung bezüglich Gewalt gegenüber Frauen – einmal akzeptierte und unterstützte Praktik wird als normal betrachtet, und man erfindet Gründe, um sie zu rechtfertigen: „Ohne Gebiss macht das Pferd, was es will. Du hast es nicht unter Kontrolle.“ „Eine Tracht Prügel hat noch keiner Frau geschadet.“ Ein solcher (Irr-)Glauben erzeugt auch Akzeptanz im Opfer. Man benutzt das Gebiss, und schon hat man einen Sklaven, der mit Schmerz zu kontrollieren ist. Das Problem beim Verwenden der Gebisse ist nicht der Schmerz, es ist das Leugnen desselben.

Und genauso verhält es sich mit dem Reiten auch. Wie viele Menschen gibt es, die kein einziges Mal das Benutzen der Gebisse hinterfragt haben? Das Hinterfragen des Reitens steht noch eine Stufe höher. Man muss sich selbst weiterentwickeln, sich selbst infrage stellen und hinterfragen, um all das zu verstehen. Denn verstehen können wir etwas nur, wenn wir es erfahren. Und erfahren können wir es nur, wenn wir Neues ausprobieren. Wenn wir etwas wagen.

Es gibt kein Tier, das über die Jahre so missbraucht wird wie ein Pferd. Und es passiert alles vor unseren Augen, wir schauen zu, wir sind vielleicht sogar ein Teil davon. „Sportpferd“ ist eine Diagnose. Je nachdem, in welchem „Sport“ es eingesetzt wird, kann man ziemlich genau sagen, woran es leidet. Aber wie durchbricht man diese traditionell gepflegte Ignoranz in der Pferdeszene, wie geht man gegen eine solche gigantische Industrie vor? Viele Menschen interessiert es gar nicht, wie es den Pferden geht, sie wollen mit ihnen Geld verdienen. Der Fall Totilas passiert vor unseren Augen. Organisationen, die massenhafte Tierquälerei organisieren, sind legitim erlaubt. Menschen besuchen diese Events, sie amüsieren sich und klatschen. Sie führen ihre neuesten Hüte vor, trinken Champagner und halten Small Talk. Und die Pferde bluten. Und die Pferde sterben an den Rennbahnen. Und die Pferde sind in den Boxen eingesperrt. Nie eine Herde. Nie eine Familie. Rationiert mit Futter. Beschlagen. All ihrer natürlichen Bedürfnisse beraubt.

Das ist unser Spiegel. Wir sind krank. Wir sind so weit vom Leben entfernt, dass wir das ausüben und zulassen können. Wir haben keine Verbindung mehr mit dem Leben. Wir ehren das Leben nicht. Wir missbrauchen sogar solche sanftmütigen Wesen wie die Pferde. Solche noblen, großzügigen Tiere, von denen wir so viel lernen können, brechen wir. Wir wollen ihnen unseren Willen aufzwingen. Wir scheuen nicht davor zurück, jegliche Mittel zu nehmen, um unsere Ziele zu erreichen. Wir haben als Vorbilder die Menschen, die voll sind mit ihrem inneren Schmerz, die uns die Tortur an den Pferden vorleben und uns aufmuntern, das Gleiche zu tun. Die üblichen Bilder aus den Reithallen tanzen vor meinen Augen. Menschen auf den Pferderücken üben ausgedachte Figuren. Versuchen etwas nachzumachen, die Pferde in bestimmte Positionen zu bringen; die Reitlehrer schreien, die Pferde kämpfen. Gebogene Genicke, angespannte Körper, unerträgliche Schmerzen, angsterfüllte Augen, Verzweiflung … und die Menschen sind blind. Sie fühlen nicht. Sie folgen.

Ist dieses Reiten, das wir überall um uns sehen können, noch zeitgemäß? Passt das zu dem Aufwachen der Menschheit? Es ist zu brutal, zu schmerzerfüllt, zu unterdrückend und ignorant, damit es überleben kann. Die Menschheit ist spirituell unterernährt, sie will mehr wissen, mehr fühlen und mehr leben. Es ist nicht möglich, einem anderen Wesen Schmerz zuzufügen und trotzdem auf Erleuchtung zu hoffen.

Wir suchen die Wege der Heilung, denn wir spüren, dass wir herauswachsen aus den bestehenden verkrusteten Strukturen. Dieses führt uns zu einem anderen Denken und Handeln. Das, was gestern noch normal war, erscheint heute grotesk. Es ist nur ein kleiner Schritt und wir sehen die Welt vollkommen anders. Die Pferde können unsere Begleiter auf diesem Weg sein und uns die Richtung weisen – wenn wir den Mut finden, ihren freien Willen zu respektieren und uns selbst zu befreien. Wir wollen frei sein, die Pferde wollen es auch.

Nein, Reiten ist nicht mehr zeitgemäß, es ist ein Relikt aus der Vergangenheit. Sich dem zu stellen ist ein Teil unserer Heilung. Wie wunderbar, dass wir uns die Frage stellen können.

Maksida Vogt ist Autorin des Buches „Befreie dein Pferd – befreie dich selbst“, das im Frühjahr 2013 bei Cadmos erscheint.

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Wir freuen uns auf eine niveauvolle Diskussion. Bitte teilen Sie uns Ihre kompetente Ansicht zu der Frage „Ist Reiten noch zeitgemäß?“ mit. Frau Vogt wird Ihre Kommentare beantworten. Bitte geben Sie der Autorin und unserer Redaktion dafür ein paar Tage Zeit. Sie werden verstehen, dass wir nur qualifizierte und zum Thema passende Kommentare veröffentlichen. Auf unserer facebook-Page wird zu diesem Thema keine Diskussion geführt.

Danke für Ihr Verständnis. 

 

Category: Besondere Themen

Comments (115)

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  1. nadia alves pereira sagt:

    Liebe Frau Vogt,

    wenn Sie „dem Pferd den Willen aufzuzwingen “ mit „Reiten“ synonym verwenden, dann ist dies tatsächlich noch nie zeitgemäss gewesen,wenn auch viel praktiziert.
    Ihre Hauptkritik richtet sich auf den Einsatz eines Metallgebisses, oder geht es Ihnen wirklich um die völlige Abkehr vom „auf den Pferderücken setzen“?
    Wieviele Kinder, die in therapeutischen Reitbetrieben ihr Glück finden, wären darüber unglücklich?
    Wie sieht es aus, mit unruhigem Einsatz eines Bosal oder mechanischen Hackamore?
    Erfreulicherweise gibt es einige Ausbilder, die unter gutem Reiten weniger „Willen brechen“ als vielmehr Gymnastik und geistige Anregung des Partner Pferd verstehen.
    Da die wenigsten Pferdehalter über Haltungsbedingungen verfügen, die dem Pferd ein Leben wie in der Wildnis ermöglichen und dieses Lauftier aber auf viel körperliche Betätigung ausgelegt ist ( ich wage zu bezweifeln,dass dieses Bedürfnis immer ausreichend durch Bodenarbeit befriedigt wird), ist „gutes Reiten“ oder „gutes Fahren“meines Erachtens notwendig.
    Ihre Beschreibung der Zustände auf der Rennbahn ist Klischees entsprechend und nur zum Teil zutreffend.
    Da der englische Vollblüter ein Kunstprodukt ist, was in erster Linie auf schnelles Laufen hingezüchtet wurde
    ( ich nenne davon zwei Exemplare mein Eigen) würden Sie vielen dieser Tiere vermutlich nicht gerecht, würden Sie sie nur vom Boden arbeiten (ohne Ihre Sportlichkeit in Frage stellen zu wollen)
    Inwieweit das Reiten ohne Gebiss besser wäre kann ich auch nicht endgültig für mich beantworten,nehme aber an, dass dies sehr von der Art der Einwirkung abhängt.In diesem Punkt könnte ich Ihnen insoweit folgen, dass zu oft das „besser bändigen können“ der Hauptgrund für den Einsatz eines Gebisses ist.
    Was mich wirklich interessieren würde, ob Ihnen wissenschaftliche Erkenntnisse bekannt sind, nach denen das langfristige „gebisslos“ reiten der Gesunderhaltung des Pferdes mehr dient?
    Ich vermisse in Ihrem (trotz meiner Kritik) interessanten Artikel ,eine praktikable Alternative, die nicht das Aussterben des Partners Pferd zur Folge hätte..
    Meine Antwort auf die von Ihnen gestellte Frage: Gutes Reiten ist zeitgemässer als je zuvor!
    MfG
    nadia alves pereira

    • Maksida Vogt sagt:

      Liebe Frau Alves Pereira,

      vielen Dank für Ihren Beitrag. Mir geht es in erster Linie auf die primären Schmerzmittel (Gebisse, Sporen, Gerten, Beschlagen) mit welchen die Pferde gezwungen und gefoltert werden, aufmerksam zu machen. Darüber hinaus geht es mir darum die sekundären Schäden, die durch das Reiten und eine falche Haltung dem Tier angetan werden, aufzuzeigen. Den meisten Reiter sind diese Schäden und Zusammenhänge unbekannt.
      Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass die mental behinderten Kinder und Erwachsene, diese Schmerzen bei den Pferden viel deutlicher spüren, somit ist diese Therapie sehr zweifelhaft. Unabhängig davon kann eine Heilung nicht geschehen, wenn einer der Parteien in diesen Prozess gezwungen ist.

      „Glauben die Menschen, dass die Pferde sie gern auf ihrem Rücken tragen? Warum sollten sie das? Pferde sind doch keine Masochisten.“ – Gudrun Weerasinghe, Tierkommunikatorien

      Versetzen Sie sich doch nur einmal in die Lage dieser Pferde. Würden Sie so leben wollen? Aus diesem Grund wird gerade in Academia Liberti Zentren eine andere Art der Hippotherapie enwickelt und getestet, die eine wirkliche Heilung begünstigt und nicht die Symptome verschiebt. Zweite Überlegung in diesem Zusammenhang ist, was lehren wir unseren Kindern? Kinder haben eine natürliche Scheu das Pferd so zu benutzen (ausser sie bekommen das vorgelebt). Sie kommunizieren mit den Pferden auf einem anderen Level als wir Erwachsene, weil sie das einfach noch nicht verlernt haben. In unseren Zentren kommen die Kinder gar nicht auf die Idee die Pferde zu reiten. Ganz im Gegenteil, sie erzählen einem was die Pferde fühlen (man muss erwähnen, dass diese Pferde in optimalen Lebensbedingungen leben).
      Ich schmunzele immer über den Begriff: gutes Reiten. Es kann nicht gut sein, was einem anderen Wesen einen Schaden zufügt, oder? Hier ist der erste Teil der 4-teiligen Studie darüber, Sie können diese Fakten in jedem Anatomiebuch lesen und auch zahlreiche Studien analysieren. http://www.academialiberti.de/de/articles/read/6/Krperliche-Schden-durch-Reiten-Eine-Studie-von-Maksida-Vogt/
      Ich habe ein Teil der Fakten in dieser Studie zusammengetragen. Jeder medizinisch bewanderter Pferdeexperte wird Ihnen diese Fakten bestätigen.

      Sie haben sicherlich Recht in dem Sie die Bewegungsmangel bei den Pferden ansprechen. Aus meiner Erfahrung kann ich das nur bestätigen, wenn das Pferd wenig Platz zur Verfügung hat (weniger als 1 Hektar pro Pferd) dann reicht die Bodenarbeit nicht aus. Ich habe in anderem Beitrag schon erwähnt, man kann mit dem Pferd in Halfter spazieren gehen und wenn das Pferd die Energie aufbaut und laufen möchte, dann steigt man auf und reitet Gallop oder Trab so lange das Pferd das möchte. Schritt gehen können wir dann auch selbst, denn in dieser Gangart passieren die meisten Schäden an der Wirbelsäule. Wäre das eine Alternative? Ich kenne nun so viele Menschen, die mit ihren Pferden anderen Weg gehen und sie alle haben ihre Pferde behalten. Daher glaube ich nicht, dass die Pferde aussterben werden, wenn wir aufhören zu reiten. Menschen, die Pferde lieben, werden immer Pferdenähe suchen. Langfristig müssen wir die Haltung unserer Pferde ändern, wenn wir sie gesund wissen möchten.

      Wissenschaftliche Erkenntnisse über die langfristige Wohltat des gebisslosen Reitens sind in den Veröffentlichungen von Dr. Cook nachzulesen. Beste Grüße.

      • Heike sagt:

        „Versetzen Sie sich doch nur einmal in die Lage dieser Pferde. Würden Sie so leben wollen?“

        Ja, ich finde das Leben meines Pferds durchaus attraktiv.
        Wäre ich ein Pferd, würde ich gern so leben.

      • Heike sagt:

        Ergänzung:
        Wenn man sich ein Pferd-Reiter-Paar anguckt und sich sowhl beim Hineinversetzen in die Rolle des Reiters als auch die des Pferdes wohl fühlt, sieht man gutes Reiten.

      • Anna sagt:

        Liebe Frau Vogt

        Ihr Buch ist überwältigend, es verändert die Menschen, denn sie müssen sich mit einem Thema auseinandersetzten, welches sehr viele wahre Fakten aufzeigt, die die Menschen nicht wissen WOLLEN.Ich bin 19 Jahre alt undJahre alt, habe zum guten Glück nur 10 Reitstunden auf einem klassischen Reiterhof genommen als Kind und mich sehr früh mit „alternativen“ Umgangsformen und Pferdemenschen auseinandergesetzt (was nicht bedeutet, dass meine „Unzufriedenheit“ besser geworden wäre). Ich befinde mich täglich in einem riesen Dilemma, habe einen Vollblüter von der Bahn, der zu viele Male lernen musste, dass Menschen nicht gut sind. Er ist so ein lieber Kerl, der von seinem körperlichen und seelischen Schmerz gepeinigt ist. Trotzdem gab er mir die Chance, ihm zu zeigen, dass es auch anders geht. Ich bin völlig der Meinung, dass der Mensch nicht auf den Pferderücken gehört und Pferde am Besten in ihrer natürlichen Umgebung in der Herde aufgehoben sind. Mein Pferd lebt in einem grossen Offenstall mit grosser Weise, wo er täglich raus darf. Es ist natürlich nicht annähernd das, was ein Pferd sich wünscht, aber zumindest do gut, wie eir es einrichten können. Ich gehe viel joggen mit meinem Pferd, mache das Meiste vom Boden aus und putzen kann ich ihn eh nur frei, da er seine natürliche Klaustrophobie behalten hat und sich nicht anbinden lässt (nein, üben war zwecklos ;-)) Reiten tu ich ihn trotzdem zeitweise, da er einfach sehr eingeschränkt wäre nur mit Weide und Stall und joggen. Ich spaziere mit ihm den Schritteil und galoppiere dann zwischendurch über eine Wiese. Damit er mich dann tragen kann, gymnastiziere ich das Nötigste. Ich denke einfach, mit genau solchen Pferden, die als Leistungsmaschinen gezüchtet wurden und schlussendlich IMMER als Wrack enden, muss man ein Optimum finden. Er zeigt mir ganz deutlich, dass er die Weite braucht. Im Sommer kommt er immer für ein paar Monate auf die Alp, solange es die Temperaturen zulassen. Ein weiteres Problem bei solchen Pferden ist die Ernährung. Ich gabe schon alles menschenmögliche versucht, ihn „natürlich“ zu ernähren, er verhungerte dabei beinahe, da die Zucht auch in diesem Bereich deutlich die Natur gekillt hat. Vielleicht finde ich irgendwann noch die richtige Lösung für ihn. Was sagen Sie dazu? Optimal ist es nicht, dessen bin ich mir bewusst. Aber was ist mit aolchen Pferden denn möglich in diese Richtung? Ein Leben in freier Wildbahn würde er schlicht nicht überleben!

        Liebe Grüsse

        Anna

      • Maksida Vogt sagt:

        Liebe Anna,

        vielen Dank für Ihren Beitrag! Aus jedem Satz ist die Liebe und Sorge, die Sie ihrem Pferd entgegen bringen, fühlbar. Ich kann alles unterschreiben, was Sie sagen und denke, Sie machen das Beste für ihr Pferd in dieser Situation. Ich habe das Gefühl, ihr Pferd ist ihr Freund und kein Gebrauchsgegenstand. Ihnen geht es nicht darum eigene Defizite (buchstäblich) auf dem Pferderücken auszutragen. Ich denke, so wie Sie das beschreiben, machen Sie alles richtig. Das Pferd muss laufen um gesund zu bleiben. Wenn die Wiesen zu klein sind, dann geht man eben mit dem Pferd laufen und ich glaube, ein kurzer Galopp oder Trab (gebisslos, ohne Sattel und dem einengenden Gurt) wird keinen Schaden bei dem Pferd hinterlassen. Unter solchen Umständen kommuniziert das Pferd auch ganz anderes mit uns. Es sagt uns dann deutlich wenn wir absteigen sollen, wenn es für ihn schmerzhaft wird. Es ist überhaupt nicht zu vergleichen mit der traditionellen (ich gebrauche das Pferd) Reiterei. Eine Steigerung wäre Unterbringung in eines der Academia Liberti Zentren oder einen ähnlichen Platz mit ausreichenden Flächen, aber ich glaube, Sie haben eine optimale Lösung gefunden eine wahre Freundschaft mit Ihrem Pferd zu leben. Wie schön. 🙂
        Über die Ernährung, füttern Sie Hafer oder Gerste zusätzlich? Natürliche Minerale? Wenn Sie sich diesbezüglich austauschen möchten, sind Sie herzlich willkommen in unserem Forum: http://www.academialiberti.de/academia/ (auch in deutscher Sprache)
        Dort können wir das Thema vertiefen und auch mit anderen Menschen diskutieren und Erfahrungen austauschen. Liebe Grüße

  2. Svenja Haverkamp sagt:

    Hallo,

    ich habe den Link zu diesem Artikel von meiner besten Freundin geschenkt bekommen. Vor ein paar Jahren habe ich Sie mit dem „Nachhaltigkeits- und Ethik-Virus“ angesteckt und jetzt überholt sie mich gerade durch Ihre Umstellung auf die vegane Lebensweise 😉

    ich bin 26 und reite seit meinem 6. Lebensjahr. Seit etwa 4 Jahren beschäftige ich mich immer mehr mit ethischen Fragen. Es begann mit „Müllvermeidung“, ging mit dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung weiter, über Wirtschaftsethik bis hin zu nachhaltigem Konsum und ist jetzt eine Mischung aus allem. Seit etwa 2010 beschäftige ich mich mit gebissfreien Reiten; Gerte oder Sporen habe ich aus Prinzip noch nie gerne benutzt, Sporen schon gar nicht, und mir wurde auch immer gesagt „du bist zu weich mit der Hand“. Das Beschäftigen mit diesen Themen ging dann schrittweise weiter. Bücher und Blogs und die Beschäftigung mit Fragen vom „Anatomisch korrektem Reiten“ „Reiten so frei wie möglich“ etc…. .

    Seit ein paar Jahren fahre ich immer auf einen sehr netten, familien-geführten Reiterhof in meiner Region. Aber auch hier: Gebisse, Paraden, Gerten, AUSBINDER… und ich habe mir schon oft gedacht: will ich das noch? Klar ist es schön, auf dem Land zu sein, mit den Menschen und den Tieren und ja, auch auf dem Pferderücken. Auf verschiedenen Pferden, „um sich selbst und seine Fehler kennenzulernen“. Aber: Kann man das nicht auch alleine? Wie vermessen ist es, sich dafür eines Tiers „zu bedienen“? … Diese Gedanken sind da.

    Doch ich denke dann auch sofort an die Alternative, und zwar die in der „Jetzt-Zeit“ mit den jetzigen Umständen: Es gibt in den dichtbesiedelten Ländern keine Prärien mehr, wo man als Pferd in der Herde frei laufen könnte. Wo man seinen Bewegungsdrang wirklich ausleben könnte. Das was als „natürliches Verhalten“ zu bezeichnen wäre, ist durch die Prägung der Umwelt durch den Menschen nicht mehr möglich. Und man muss auch bedenken, dass die Pferde, die hier überwiegend gehalten werden, keine „Wildpferde“ mehr sind. Es handelt sich um gezüchtete Arten, die (leider) abhängig sind vom Menschen. Ohne einen Stall (bzw. zumindest ohne Schutz bei Minusgraden), ohne passendes Futter (das es in freier Wildbahn ohnhin wegen der Kulturlandschaft nicht gibt und „Koliken durch zuviel Gras“??), teilweise ohne Medikamente würden sie nicht überleben können. Und muss Reiten immer schlecht für Pferde sein? Kann es nicht auch, gerade in Hinblick auf die mangelden Alternativen, durchaus ein Weg sein, dem Pferd Bewegung und Spaß zu verschaffen? Kann man nicht als Reiter einiges dafür tun, dass das, was man tut für das Pferd schön ist? (Was beim eigenen Gewicht im Verhältnis zum Tier anfängt und bei korrektem Sitz und feinen Hilfen noch lange nicht aufhört).

    Ich denke man spürt als Reiter auch, ob einem Pferd das gefällt was man tut. Und wenn ich mit einem Pferd im Gelände bin und im Galopp mit anderen Pferden zusammen reite, spüre ich durchaus die Freude meines Pferdes. Wobei: das kann natürlich auch an mangelnden Alternativen liegen, denn: welche Koppel ist schon so lang wie eine Galoppstrecke?

    Ich denke die Wahrheit liegt, wie immer, irgendwo in der Mitte und wir sollten als aufgeklärte und sensibele Menschen, die auch immer sensibler für solche Themen im Allgemeinen werden, auf unsere Gefühle und auf die unserer Pferde hören.

    Svenja Haverkamp

    • Maksida Vogt sagt:

      Liebe Frau Haverkamp,

      vielen Dank für Ihren gedankenvollen und bedachten Beitrag. Ich finde Ihren Beitrag großartig, denn es ist sehr deutlich, dass für Sie das Wohl des Pferdes im Vordergrund steht. Ich verweise in meinen Antworten immer wieder auf mein Buch, nicht weil ich Werbung dafür machen möchte sondern weil ich alle diese Fragen, die Sie hier gestellt haben, dort ausführlich beantworte. Es ist nicht leicht alle diese Zusammenhänge hier kurz zu fassen und dennoch verständlich zu vermitteln. 🙂
      Ich nenne das ein Aufwachen, wenn Reiter anfangen sich selbst solche Fragen zu stellen. Wenn man in das Wohlergehen seinens Pferdes wirklich interessiert ist, dann möchte man die Antwort auf alle diese Fragen herausfinden. Wo fängt man an? Man fängt an mit seinem Pferd komplett frei zu arbeiten (oder wenn man mit Gebissen geritten ist, dann lässt man es weg für den Anfang). Es ist egal wie man anfängt, man tut auf jeden Fall einen Schritt in die richtige Richtung. Diese Richtung gibt dem Pferd mehr Freiheiten und befreit es mehr und mehr von unserer Unterdrückung. Sher schnell stellt man fest, das Pferd fängt an anders zu reagieren und wenn wir nun diesem Pfad folgen – dann gibt es kein Zurück mehr, man kann nicht mehr übersehen oder weg sehen.
      Unser Problem ist, dass wir denken, wir wissen es besser als die Pferde. Dabei wissen wir nicht mal ein Bruchteil über sie. Wir glauben, dass die Pferde abhängig von uns sind (Kälte, Koliken, medizinische Fürsorge), dabei brauchen wir nur zu erleben, wie diese Pferde sofort zu allen ihren Instinkten in kürzester Zeit zurückfinden, sobald wir ihnen die MÖGLICHKEIT dazu geben. Wer hat schon den Irrglauben nicht gehört, dass die Pferde von zu viel Gras Kolik bekommen? Aber das hängt nur von der Haltung ab. Wenn die Pferde die Mögliochkeit haben zu grasen, so wie das Gras wächst, so wie die Natur das vorgesehen hat – dann werden wir ERLEBEN wie falsch solche Glaubensätze sind. Sie können sich die Zentren auf Academia Liberti Seite ansehen: http://www.academialiberti.de Alle diese Pferde sind gezüchtete Arten. Großteil von ihnen war im Pferdesport, von der Geburt an in den Boxen, auf den Turnieren, gebrochen, missbraucht. Jetzt aber ist keines mehr von ihnen von dem Mensch abhängig. In keinster Weise. Und wenn wir ihnen Wildniss geben würden, dann würden sie wunderbar ohne uns zurecht kommen. Wenn man den Pferden die Gelegeheit gibt, dann lehren sie einen, was für sie das beste ist. Ich gebe Ihnen Recht, Platz ist unser größtes Problem. Aber, die Nachfrage bestimmt das Angebot. Wenn wir alle nach Offenstall fragen, dann werden sich Stallbesitzer überbieten, wer den Pferden mehr Platz zur Verfügung stellen kann.
      Die Pferde lieben (und brauchen) die Bewegung, das ist ganz klar. Am liebsten ohne Reiter. 😉 Ich empfehle, wenn das Pferd auf einem kleinen Platz steht (weniger als 1 Hektar pro Pferd), dann kann man mit seinem Pferd in Halfter spazieren gehen. Wenn man merkt, das Pferd baut Energie auf und möchte laufen, dann sucht man sich ein Stein und steigt darauf. Ein kurzer Gallop oder Trab und schon geht das Pferd wieder Schritt. Dann steigt man ab um den Schaden für sein Körper zu vermeiden. Kein Satteln, keinen Gurt der das Atmen erschwert, keine Gebisse, kein vorsätzlicher Gebrauch des Tieres für die eigenen Zwecke – einfach Freundschaft und Respekt. Das ist sicherlich ein guter Anfang. Den weiteren Weg zeigt einem dann das Pferd selbst. Beste Grüße.

      • Heike sagt:

        Übrigens kann man auch das Pferd am Fahrrad laufen lassen. Dann hat man keine Ausrede mehr zum Reiten.

        P.S.: Ja, das geht prima, wenn es auch genau genommen verboten ist.
        P.P.S.: Ja, der zweite Satz ist ironisch gemeint.

      • Heike sagt:

        Hier ergibt sich gleich noch eine Frage:

        „Ein kurzer Gallop oder Trab und schon geht das Pferd wieder Schritt. Dann steigt man ab um den Schaden für sein Körper zu vermeiden.“
        Wie soll das also gehen? Der Mensch muss doch das Reiten und das Pferd das Gerittenwerden lernen, also muss man beiden das systematisch und nach und nach, also eben doch durch regelmäßiges Tun=Reiten, beibringen? Aber reiten ist ja unerwünscht -? *rätsel*
        Und ein Pferd ohne entsprechende Reitpferdmuskulatur und gesunde Tragehaltung nimmt ja nun wirklich Schaden durch die Belastung durch den Reiter. ???

    • roswitha Selzer sagt:

      Hallo Svenja
      Interessant, Deine Gedanken. Artgerechtes Reiten eines gesunden Pferdes in Maßen, bei gesunder Gymnastizierung, z.B nach Branderup, ist o.k. Wichtig finde ich auf ev. Behinderungen und Leiden eines Pferdes Rücksicht zu nehmen. Sie zeigen ja, was sie entspannt und was sie streßt. Pferde eines Reiterhofes haben wahrscheinlich schon innerlich gekündigt, vermute ich. Vielleicht bist aber gerade Du jemand, mit /unter dem sich das Reiterhofpferd gerade einige Tage wohl fühlt. Die Haltung ist so wichtig. Ihre Sozialkontakte, stabile Gruppen- das hilft ihnen über vieles hinweg. Whisby ist seit November im Offenstall in einer ganz anderen, großen Gruppe- das ist eine große seelische Anstrengung gewesen und immer noch stressig. Sie trauert immer noch ihrer alten, kleinen Weidegruppe nach. 50% aller Offenstallpferde haben ein Magengeschwür weil die Gruppen zu groß sind, oft wechseln und sie Futterkonkurrenz haben. Whisby ist jedenfalls schreckhafter und nervöser geworden durch diese letzte ‚Umstellung. W hisby mußte im Winter draußen sein, die anderen haben sie nicht rein gelassen. Sie hatte den Winter aber, dank ständigem Aufbau des Immunsystems gut überstanden. Allerdings hatte sie nach kaltem Regen wieder Schmerzen am großen Gelenk. Ich massiere es dann mit einem Magneten, das entspannt sie. Die Bedeutung der Bindungen, die in den Gruppen entstehen, werden von den Menschen sehr unterschätzt. Vor kurzem hatte ich einen Zwei-Stunden-Ausritt mit noch einer anderen Stute nach Coerde in den Wald mit ihr unternommen…aber nur Schritt und Trab. Galopp kann ich nicht, bzw. hatte ich vor Jahren mal einen Unfall. Habe ich seitdem nicht wieder probiert. Habe sie heute wieder auf dem Platz austoben und Streß abbauen lassen (freier Gallop etc.)
      Das braucht sie.
      soviel hierzu.
      Lieben Gruß
      Roswitha

  3. Dominik sagt:

    Einem Lebewesen seinen Willen aufzuzwingen ist immer Unrecht – auch wenn es die Pferdeliebhaber (oder vermeintliche) nicht gerne hören oder es sich schönreden („das tut ihm ja nicht weh“, „das Pferd braucht Bewegung“, etc.). Keine Spezies dieser Welt wurde dazu geschaffen von anderen versklavt oder wie man so schön sagt „gehalten“ zu werden. Es mag Anpassungsprozesse gegeben haben, wie bei Hund oder Katze, besser macht es die Sache dennoch nicht und artgerecht ist letztlich nur die Freiheit.