Gibt es „schlechte“ Reitpferde?
von Katharina Möller
Für ein vielversprechendes Turnierpferd werden astronomische Summen verlangt. Qualität hat eben ihren Preis. Und wer ins ganz große Viereck möchte, braucht nun mal einen hochwertigen Dressurcrack. Aber – kann man Tiere wirklich in gut oder schlecht einteilen?
Was mir immer wieder sauer aufstößt, ist die Unterteilung des Pferde„materials“ in gut und weniger gut. Selbst ansonsten durchaus sympathische Pferdemenschen, die die Persönlichkeit jedes Tieres respektieren, bewerten Vierbeiner gnadenlos gemäß ihrer Veranlagung für den Reitsport. Das drückt sich schlicht und einfach in Zahlen aus: Ein „guter“ Dreijähriger mag 50 000 Euro kosten, ein „durchschnittlicher“ je nach Rasse, Größe, Farbe und Abstammung irgendwas unterhalb oder in Richtung 10 000. Was ein „richtig gutes“ junges Sportpferd wert ist, will ich mir eigentlich überhaupt nicht vorstellen – wahrscheinlich kann man da noch eine Null dranhängen.
Dass jemand prinzipiell lieber einen „Guten“ als einen „Schlechten“ reiten möchte und je nach Vermögen eben auch die entsprechende Summe investiert, finde ich nachvollziehbar. Dass seriöse Pferdezucht unterstützt wird, halte ich darüber hinaus für sehr wichtig. Insofern möchte ich keineswegs kritisieren, wenn ein Reiter bereit ist, für sein Traumpferd viel Geld auf den Tisch zu legen.
Meine ganz persönliche Preisklasse liegt für ein rohes Pferd dagegen definitiv im vierstelligen Bereich, und zwar maximal im mittleren. Auch ein Großteil meines Umfelds hegt, pflegt und reitet solche „eher preiswerten“ Freizeitpferde. Dazu kann ich mit Sicherheit sagen, dass wir alle unsere Pferde mindestens genauso sehr lieben wie andere Besitzer ihre „besseren“ Exemplare. Bestmögliche Haltung, Fütterung und Versorgung kosten ja letztlich sowieso ungefähr dasselbe – schließlich unterscheiden sich die Bedürfnisse teurer und „günstigerer“ Tiere nicht.
Sobald es aber ums Reiten geht, unterscheidet uns die vielfach gefürchtete „Leistungsgrenze“ unserer Vierbeiner – für mich ein absolutes Unwort!
In der Welt des Turniersports werden bekanntlich Anforderungen an die Pferde gestellt, die nicht alle bis in die höchsten Klassen erfüllen können. Insofern mag es Pferde geben, die, sagen wir mal, nur bis zur Klasse L taugen – während andere „fürs ganz große Viereck“ geboren zu sein scheinen. In den Augen eines Sportpferdezüchters will man für diese Kreise selbstverständlich Pferde erzeugen, die den modernen sportlichen Anforderungen optimal entsprechen. Die nicht ganz nach Wunsch funktionierenden Tiere sind dann schon die „schlechteren“. Diese Betrachtungsweise macht Sinn, damit optimal verpaart wird. Wie sich in den letzten Jahrzehnten gezeigt hat, gibt es in der hiesigen Pferdezucht dadurch dankenswerterweise kaum noch wirklich unbrauchbare, weil komplett verbaute Pferde. Im Prinzip sind alle gesunden „Zuchtprodukte“ reitbar – und genau darauf will ich hinaus.
Neben der sportorientierten gibt es nämlich – glücklicherweise – noch die „normale“ Reiterwelt. Und darin gibt es eine bunte Vielfalt an Pferden, die teilweise gar nicht für einen modernen Leistungssport, sondern für andere Zweige der Reiterei gezüchtet wurden. In dieser Welt muss man sich nicht mit anderen messen, vergleichen und in Klassen einteilen lassen, sofern man nicht möchte.
Ohne Zweifel steht die persönliche Beziehung zwischen einem Menschen und seinem Pferd an erster Stelle. Daneben und in Verbindung damit geht es hier aber um gutes Reiten. Und das geht prinzipiell wirklich mit nahezu jedem Pferd! Was in der Leistungssportphilosophie ein „durchschnittliches“ oder sogar „eher schlechtes“ Pferd ist, hat dennoch vier Füße und ist durchaus fein und gut zu reiten. Natürlich hat es nicht ganz die erwünschte Gangveranlagung, vielleicht nicht die perfekte Farbe und wahrscheinlich verlängern manche „Exterieurmängel“ die Ausbildung – aber das steht dem Wunsch nach harmonischem Reiten nicht im Wege. Eine „Leistungsgrenze“ gibt es nämlich nur aus wettkampforientierter Sicht. Für den Hausgebrauch kann man – so man kann! – wirklich so ziemlich alles ausbilden. Eventuell dauert das mit einem Pferd, das für ein Reitpferd nicht optimal gebaut ist, etwas länger. Aber wenn man bedenkt, wie lang die Ausbildung eines Pferdes sowieso insgesamt dauert, macht das eine Jahr hin oder her den sprichwörtlichen Kohl dann auch nicht mehr fett.
Aber: Das „Können“ ist der wunde Punkt. Das kommt nicht von selbst. Es hat mit Lernbereitschaft, mit Sich-einlassen-Können auf das andere Geschöpf, mit sorgfältiger, langfristiger Überlegung, kurz, mit Wissen und Gefühl zu tun. Es hängt davon ab, wie man das eigene, ganz individuelle Pferd so fördern kann, dass vermeintliche Schwächen in den Hintergrund treten. Da muss man aufhören, sein Pferd „professionell“ zu bewerten, und stattdessen anfangen, das Tier und sich als Team zu sehen.
Aber wissen Sie, was einem dann passieren kann? Nehmen wir ruhig mich als Beispiel: Bei zwei von meinen drei Pferden habe ich mir in jungen Jahren (mehrfach!) sagen lassen, es seien „schlechte Pferde“. Unglaublich, nicht wahr?! Ich musste mich fragen lassen, was ich als Berufsreiter denn mit „solchem Pferdematerial“ wolle. Da bleibt mir selbst heute, Jahre später, noch die Spucke weg.
Wer mich kennt, fragt sich vielleicht, welches meiner drei Pferde noch nicht als „schlecht“ bezeichnet wurde, und ich will es verraten: Der Wallach, den ich als letztes bekommen habe. Nicht weil er„besser“ wäre als der Rest. Ich glaube nur, mittlerweile traut sich keiner mehr, mir so etwas ins Gesicht zu sagen.
Als junge Reiterin hat mich dieses Klassendenken aber wirklich betroffen gemacht. Und es gab eine Zeit, zu der ich mir, so ich es mir hätte finanziell leisten können, sicherlich ein „besseres“ Pferd gekauft hätte. Denn dummerweise kenne ich den Unterschied aus eigener Erfahrung. Ich habe im Laufe der Zeit schon diverse richtig gute junge Pferde geritten, deren materiellen Wert ich mir nicht mal vorstellen will. Ich weiß also, welche Dynamik, welche Gangveranlagung und damit welches spontane Reitgefühl man für Geld bekommen kann. Dank meiner reiterlichen Entwicklung weiß ich mittlerweile aber auch, welch großartiges Reitgefühl man sich selbst erarbeiten und sich von seinem egal wie preiswerten Pferd schenken lassen kann!
Der krasse „Qualitätsunterschied“ tritt vor allem zu Beginn der Ausbildung zutage: Ein „gutes“ Pferd ist schwungbegabt, hat eine hohe Rittigkeit, ist bereits in jungen Jahren gut ausbalanciert und macht deshalb schon direkt nach dem Anreiten optisch richtig was her. So ein Pferd muss man vorstellen, nicht ausbilden. Ein „schlechteres“ dagegen stolpert ohne Ausbildung eher unspektakulär durch die Gegend. Aber dafür ist ja die klassische Ausbildung da! Das Ziel der Reitkunst ist es, die Bewegungen des jeweiligen Pferdes zu vervollkommnen – und nicht, sie an einem anderen zu messen und womöglich künstlich zu verfälschen. Die klassische Reitlehre gibt realistische Hilfestellung und praktische Anweisung, wie gewisse Pferdetypen ihrem Exterieur gemäß ausgebildet werden sollten. Befolgt man sie, wird das ehemals weniger gute Pferd erstrahlen. Missachtet man sie, wird das ursprünglich so vielversprechende, teuer eingekaufte Jungpferd seinen Schmelz verlieren und nur noch matt im Kreis rennen.
Kaufen kann man Optik, aber nicht reiterliches Können! Je nach Reiteigenschaften des Wunschpferdes ist der Start ins gemeinsame Reitpferdeleben leichter oder schwerer, und es dauert länger oder kürzer, bis das „mal nach was aussieht“. Aber ist die Zeit, die man damit zubringt, nicht gerade das Schöne an unserem Hobby?
Natürlich darf man die Augen vor Problemen nicht verschließen, aber dabei liegen Welten zwischen neutraler Analyse mit dem Wunsch nach liebevoller Förderung und einer generellen Abwertung eines Tieres. Ich finde es deshalb höchst unreiterlich, auf ein „weniger gutes“ Pferd herabzuschauen. Statt sich zu entwickeln, verbringt dessen Reiter dann nämlich leider viel zu viel Zeit damit, Ausbildungsprobleme zu bedauern und zu rechtfertigen, anstatt sie zu lösen. Und statt auf seinem tollen Pferd reitet er dann nur auf dessen vermeintlichen Fehlern herum.
Auch diese ganz normalen, ehemals unspektakulären, preiswerteren Pferde sind bis zu hohem Niveau ausbildbar – sofern man dieses nicht mit Siegeschance auf Turnieren gleichsetzt, sondern mit der Fähigkeit, körperlich und geistig anspruchsvolle Aufgaben zu meistern. Reiten heißt, gemeinsam mit und mithilfe seines Pferdes über sich hinauszuwachsen! Mein früher als schlecht bezeichnetes Pferd, ein arabisch anmutendes Pony, geht mittlerweile Hohe Schule. In einer entsprechenden Dressurprüfung auf dem Turnier wären wir trotzdem chancenlos. Dennoch geht es im Prinzip dasselbe Programm, aber das Augenmerk ist nicht auf Sportlichkeit, dafür auf Leichtigkeit gerichtet. Mein Pferd hat seinen ganz eigenen Charme und Ausdruck und beschert mir ein bombastisches Reitgefühl.
Ich bin weder blind verliebt noch möchte ich eine rosarote Ponyhofwelt vorgaukeln. Aber was oder wem sollte es denn nutzen, wenn ich mich daran aufhängen würde, dass hier der Rücken etwas weich ist und dort die Hinterhand nicht optimal gewinkelt oder die Schulter zu steil ist? Bleibt letztlich doch nur die Frage: „Zu weich, zu steil … wofür!?“
Ich empfehle jedem Reiter vor allem eins: Demut. Bevor die sogenannte Leistungsgrenze eines meiner Pferde erreicht ist, ist meine eigene reiterliche Grenze doch schon lange überschritten. Damit will ich persönlich ganz offen sagen: Für alles, was ich in diesem Leben je reiten können werde, sind meine Pferde auf jeden Fall „gut genug“!
Category: Besondere Themen
Die Prinzipien der klassischen Dressur sind für die Pferde da und nicht fürs Turnier . Das sogenannte tolle Pferd mag zwar auf den ersten Blick einfacher zu reiten und auszubilden sein, aber da täuschen sich die meisten. Gerade die Pferde, die „viel mitbringen“ blenden häufig und in der Euphorie nimmt der Reiter/Ausbilder was da ist und bemerkt oft nicht, daß diese Pferde weder locker noch losgelassen und schon garnicht versammelt sind.
Jedes Pferd verdient klug und umsichtig handelnde Ausbilder und vor allem Zeit und noch viel mehr Liebe.
Wir haben doch das beste Beispiel vor Augen, wie man ein grandios begabtes Pferd ruinieren kann. „Totilas“
… und die Nase ist definitiv hinter der Senkrechten – das Pferd ist in den Ganaschen zu eng – die Ohrspeicheldrüsen gequetscht .. sie drücken sich seitlich raus .. das ist ein perfektes Bild um zu zeigen, was in der Sportreiterei falsch läuft.
Starker Trab bedeutet gemäß der APO (nach der doch angeblich gerichtet wird) nicht nur maximale Schwungentfaltung sondern auch maximale Rahmenerweiterung – zum Rahmen gehört aber auch der Hals – die Nase 2 Handbreit vorgelassen und es wäre gut gewesen .. nicht perfekt aber gut.
Grüße Gundel
FYI – The image at the end of this article is of the blue ribbon entry in an Grand Prix Freestyle event in an international competition. Perhaps not the best example of training errors, as this rider is one of the world’s best.
Dear Mr Correl,
we are sorry, but it is a good example. The horse is really talented, but if you look at the legs, you see the error. The frontleg shows much more action as the hindleg. The neck is shortened by the reins. The back of the horse is not relaxed at all. That is spectacular and a lot of judges honor mistakes likes this with high notes. That is the problem with dressage competitions – you can even win an olympic gold medal with abusiv methods like Rollkur.
Sincerely,
the editorial team