Der erste Sattel fürs Jungpferd?
Leseprobe aus Feine Hilfen Ausgabe 18. Den vollständigen Artikel finden Sie im Heft.
von Barbara Welter-Böller
Häufig trifft man auf die Meinung, dass die Sattelpassform in den ersten Wochen unterm Reiter nicht so entscheidend sei, da das Jungpferd sich im Lauf des Trainings noch verändert. Eine Aussage ist richtig: Das Pferd wird sich verändern! Aber mit einem passenden Sattel zum Guten und- mit einem schlecht angepassten Sattel zum Schlechten.
Die ersten Erfahrungen eines jungen Pferdes mit dem Sattel konditionieren es für sein ganzes Leben. Macht es schlechte, schmerzhafte Erfahrungen, bildet es lebenslang über das Schmerzgedächtnis ein Schmerzmuster in Verbindung mit Sätteln aus. Zudem bilden sich unphysiologische, verkrampfte und damit verbrauchende Bewegungsmuster aus. Deshalb sollte besonders für das junge Pferd auf die optimale Sattelanpassung größter Wert gelegt werden.
Vorbereitung eines jungen Pferdes für die erste Sattelanpassung
Um bei einem jungen Pferd drei- bis vierwöchige Nachkontrollen des Sattels zu vermeiden, ist es sinnvoll, vor der ersten Sattelanpassung das Pferd vom Boden aus bestmöglich aufzutrainieren und eine gute Rückenlinie zu erarbeiten.
Wichtig für die Rückenlinie sind der Musculus serratus ventralis, besser bekannt als Rumpfträger, und die Bauchmuskulatur.
Für die Stabilität des Halsaufsatzes und der vorderen Rückenlinie ist vor allem der Rumpfträger verantwortlich, für die hintere Brustwirbelsäule und die Lendenwirbelsäule die Spannung der Bauchmuskulatur.
Der Rumpfträger (M. serratus ventralis)
Die Ausprägung des Rumpfträgers ist verantwortlich für die Widerristhöhe, die Kammerweite und den Schwung des Rückens hinter dem Widerrist.
Der M. serratus ventralis wird auch als Rumpfträger bezeichnet. (Grafik: Fachschule für osteopathische Pferdetherapie)
Der M. serratus ventralis befestigt dynamisch den Rumpf des Pferdes an den beiden Schulterblättern. Er wird von starken Faszienzügen unterstützt, sodass der Rumpf auch an den Schulterblättern fixiert bleibt, wenn er nicht gut auftrainiert ist. Ein schwacher Rumpfträger zeigt sich durch einen tiefen Halsaufsatz, eine geringe Widerristhöhe und vor allem durch eine hinter dem Widerrist ansteigende Rückenlinie. Würde man einem Pferd in dieser Situation einen Sattel anpassen, so hätte dieser Sattel schnell zu viel Schwung und eine zu kleine Kammerweite, wenn das Pferd weiter auftrainiert wird. Wenn der Sattel jetzt nicht neu angepasst würde, würde er die untrainierte Situation manifestieren, denn die Muskeln entwickeln sich nicht gegen einen drückenden Sattel. Das Pferd könnte den Rumpftrageapparat (RTA) mit einem unpassenden Sattel nicht genügend aufbauen und nicht physiologisch nutzen.
Ein schwacher Rumpfträger kann das Zurückfedern des Fesselkopfs nach oben nicht mehr abfangen, was zum vorzeitigen Verschleiß des Fesselgelenks führt.
Wenn ein Pferd mit schwachem RTA beigezäumt wird, kommt es zu einer vermehrten Kompression zwischen dem 7. Halswirbel und dem 1. Brustwirbel (cervicothorakaler Übergang). Dadurch können Durchblutungsstörungen bis hin zur Hufrollenproblematik entstehen.
Die nach hinten ansteigende Rückenlinie lässt den Sattel nach vorn gegen die Schulterblätter rutschen, damit entsteht ein vermehrter Druck gegen die Schulterblätter und gegen die den Widerrist umgebende Muskulatur. Der Reiter hat das Gefühl, bergab zu sitzen.
Das beste Training des RTA ist Longenarbeit am Kappzaum ohne jegliche Gurtung auf der Zirkellinie im Trab. Dazu sollte man das Pferd in Dehnungshaltung arbeiten. Beim Trainingsaufbau des RTA wird der Rumpf zwischen den Schulterblättern angehoben. Das Stockmaß kann sich dadurch um 3 bis 4 cm vergrößern. Durch das Anheben des Rumpfs wird die rückenwärtige Muskulatur in diesem Bereich angehoben, besonders durch den fleischigen M. spinalis verbreitert sich der Halsaufsatz und der Widerrist. Somit verändert sich auch die Kammerweite des anzupassenden Sattels.
Wenn die Kammer zu eng ist
Eine zu enge Kammerweite übt Druck auf den oberflächlich liegenden, nur 5 cm breiten Kapuzenmuskel (M. trapezius) aus, der in diesem Bereich vom 11. Hirnnerv (Nervus accessorius) versorgt wird. Eine Funktion dieses Nervs ist, dass er bei Druck in diesem Bereich einen Stehreflex verursacht. Das wird deutlich beim Deckakt des Hengstes, wenn er die Stute in den Widerrist beißt.
Wenn das Pferd durch das Kopfeisen in diesem Bereich Druck erfährt, wird dieser Reflex ausgelöst und das Pferd erhält unterschiedliche Signale:
- Stehen bleiben (durch den Sattel)
- Vorwärts gehen (durch die Reiterhilfe)
Die Verwirrung äußert sich oft durch Erstarren nach dem Aufsteigen oder durch Kopfschlagen und/oder Verdrehen des Halses. Da ein Druck in diesem Bereich nicht immer vermeidbar ist, sollte das Pferd vorher vom Boden aus z. B. durch Deckengurte oder auch durch passende Longiergurte ohne Ausbinder schon etwas desensibilisiert werden. Die Kammerweite sollte dennoch natürlich so gewählt werden, dass diese den am wenigsten möglichen Druck ausübt. So hat die Muskulatur in diesem Bereich die Möglichkeit, sich weiter auszubilden. Eine etwas (!) zu weite Kammer kann man durch dickere, weiche Sattelunterlagen etwas ausgleichen.
Die Bauchmuskulatur
Eine schwache Bauchmuskulatur macht den Rücken im hinteren Bereich weich und kann die Rückenlinie bis hin zum Senkrücken verändern. Die Stabilität des Rückens in diesem Bereich kann man am besten überprüfen, wenn man das Pferd ohne jegliche Ausrüstung am Halfter oder Kappzaum longiert. Beobachten Sie bei den Trab-Schritt-Übergängen die Rückenlinie. Wenn sie bei den ersten 2 bis 6 Schritten nach dem Trab noch nach unten durchfedert und der Rücken dadurch in die Streckung gestaucht wird, sind die Bauchmuskeln noch nicht genügend ausgebildet – der Rücken ist noch nicht tragfähig.
Eine gute Rückenlinie durch sinnvolles Training
Es empfiehlt sich, den RTA und die Bauchmuskulatur mit (mindestens) neunwöchigem Muskelaufbautraining zu kräftigen, damit sich eine positive Rückenlinie ausbilden kann. Auf diese Linie kann der passende Schwung und die passende Kammerweite angepasst werden.
Während dieses Trainingszyklus sollte das Pferd in Dehnungshaltung gearbeitet werden, um durch das Nacken-Rückenband-System die Rückenlinie nach oben faszial zu stabilisieren. Im weiteren Training wird diese Stabilität dann von der sich ausbildenden Muskulatur übernommen.
Welchen Sattel sollte man wählen?
Ich würde mich prinzipiell immer für einen Dressursattel entscheiden, da die Platzierung des Reiters im Sattel nicht, wie etwa bei einem Springsattel, von der Länge seines Oberschenkels abhängig ist. Das stärker gestreckte Bein bringt den Reiter im Sattel etwas weiter nach vorn und entlastet so den hinteren Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule des Pferdes. Ein Vielseitigkeitssattel kann den Reiter in den Stuhlsitz bringen. Dann stehen die Hebel des Reiters (Schulter-, Hüft-, Sprunggelenk) nicht mehr exakt übereinander, die Vertikalbewegung des Pferdes, z. B. im Trab, kann nicht mehr durch den Absatz abgefangen werden. So entsteht eine vermehrte Druckbelastung des Pferderückens.
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Category: Besondere Themen
Hallo,
ich habe schon des Öfteren gelesen, dass im Aufbautraining gute Erfahrungen mit Fellsätteln gemacht wurden bzw. werden. Allerdings gibt es auch hier Stimmen, die die punktuelle Belastung kritisieren. Da ich selbst keine Erfahrung mit solchen Sätteln habe, sie aber ganz interessant finde, würde mich interessieren, wie ihre Meinung dazu ausfällt?
Hochinteressanter Artikel. Allerdings stellt sich mir die Frage, wie es sich bei schlicht überbauten Pferden gestaltet (oftmals Quarter Horse,…). Ich habe wohl gehört, dass der Widerrist bis zu 8cm „Spiel“ hat.
Nur kann ich mir nicht vorstellen, dass jedes Pferd, bei gutem Training des Rückens, sein körperliches Defizit damit gerade biegen kann?
Wäre interessant zu wissen…
Richtig, ein stark überbautes Pferd wird durch gutes Training nur ein weniger überbautes Pferd. Wie viel „Spiel“ der Widerrist hat ist individuell. Allerdings geht es in dem Artikel ja auch darum ein junges Pferd auf das Anpassen eines Sattels (und das Tragen des Reiters) vorzubereiten. Das heißt, dass der Rumpftrageapparat und die Bauchmuskulatur schon vor dem ersten Sattelanpassen auftrainiert sind, um so zu vermeiden, dass der Sattel sofort wieder neu angepasset werden muss.
Das Gleiche gilt übrigens auch für Pferde nach einer Trainingspause.