Depressive Pferde
von Marlitt Wendt
Jährlich erkranken viele Menschen an Depressionen. Die Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten sind äußerst vielschichtig, die Forschung steckt aber noch immer in den Kinderschuhen. Französische Wissenschaftler sind jetzt auf das Pferd als Modell für die Depressionsforschung gestoßen. Ähnlich wie wir leidet es unter strengen Vorgesetzten, schlechten Lebensumständen und Dauerstress bei der Arbeit.
Je mehr die Verhaltensforschung voranschreitet und je enger sie mit anderen Disziplinen wie der Humanpsychologie zusammenarbeitet, desto differenziertere neue Erkenntnisse rund um das Gefühlsleben und die seelische Gesundheit der Pferde entstehen. Eine interessante Studie wurde kürzlich an der Universität von Rennes (Frankreich) durchgeführt. Verhaltensforscherin Carole Fureix und ihr Team wollten herausfinden, ob depressive Pferde als geeignetes tierisches Modell für die humane Depressionsforschung dienen können. Der Grund für die Annahme: Die Tiere ähneln uns. Sie besitzen eine ähnlich komplexe Sozialstruktur wie der Mensch und leiden ähnlich unter bestimmten Arbeitsbedingungen. Carole Fureix und ihr Team untersuchten für ihre Studie „arbeitende“ Pferde, nämlich Schulpferde, die eine tägliche Routine, Kontakt zu anderen „Arbeitnehmern“ und „Vorgesetzten“ haben und unter Stress bei ihrer täglichen Arbeit leiden.
Erstaunlich ist, dass die Forscher bei rund einem Viertel der 59 untersuchten Schulpferde Symptome einer Depression fanden. Dabei stießen sie auf Parallelen zu den Symptomen bei depressiven Menschen. Dazu gehört eine charakteristische introvertierte Haltung, eine verminderte Mimik und ein abgeschwächtes Ausdrucksverhalten sowie eine geringere Aufmerksamkeit bei Ansprache, niedrigere Reaktivität bei gleichzeitig überdurchschnittlicher Ängstlichkeit gegenüber neuen Reizen. Gerade die als charakteristisch dargestellte Kopfhaltung der betroffenen Pferde unterscheidet sich deutlich von der gesunder Tiere. Als depressiv eingestufte Pferde stehen über den Tag verteilt wiederholt in einem Erstarrungszustand mit leerem Blick und fehlender Reaktion nach außen in einer sich von der normalen Ruheposition und der Aufmerksamkeitsposition deutlich unterscheidenden Haltung: Ihr Kopf befindet sich bei nach vorn gestrecktem Hals mit dem Genick in ähnlicher Höhe wie der Widerrist. Diese typische Körperhaltung konnte bei gesunden Tieren überhaupt nicht festgestellt werden.
Sicher wurde bei der vorliegenden Studie eine relativ kleine Auswahl an Tieren beobachtet, die zudem noch ein geringes Spektrum an unterschiedlichen Rassen, Haltungsbedingungen und Nutzungsformen aufwiesen.
So können die Ergebnisse nicht einfach eins zu eins auf sämtliche Hauspferde übertragen werden, sondern weitere Studien sind vonnöten, um genauere Zusammenhänge zu erkennen. Vermuten und teilweise selbst beobachten kann man jedoch, dass zumindest die Vorstufen des echten Krankheitsbildes Depression sehr häufig auch bei Pferden in Deutschland vorhanden sind. Was genau ist eigentlich eine Depression? Die Depression ist eine psychische Störung, in deren Verlauf sich der betroffene Organismus hoffnungslos fühlt. Er befindet sich in einem Zustand der Hilflosigkeit und erlebt sein Leben als freudlos und bedrückend. Ihm fehlt der innere Antrieb und das Interesse an seiner Umgebung. Da es viele verschiedene Krankheitsbilder und Verlaufsformen der Störung gibt, kann es sich auch um mildere Formen wie depressive Verstimmungen oder kurzzeitige Stimmungstiefs handeln, die schon als Vorstufe zur eigentlichen Erkrankung zu sehen sind. Und in dieses Bild passen leider auch sehr viel mehr Pferde als die in der eigentlichen Studie vorgestellten wirklich erkrankten Tiere.
Aus meiner Sicht ist es eines der größten Probleme der heutigen Pferdehaltung und der Ausbildung, dass die seelische Gesundheit und das Wohlbefinden des Pferdes viel zu wenig beachtet werden und über leichte und mittlere Beeinträchtigungen einfach hinweggegangen wird oder diese sogar als „normal“ bezeichnet und damit in Kauf genommen werden. Sehr viele Pferde haben ein für mich als Verhaltensbiologin auffällig herabgesetztes Interesse an ihrer Umwelt, sie „funktionieren“ zwar, scheinen aber nicht wirklich glücklich zu sein. Bei meiner Arbeit sehe ich viele Pferde, die genau die in der erwähnten Studie beschriebenen Symptome aufweisen, die angeblich nur „stur“ oder „faul“ sind oder irgendwie keinen Ausdruck zu haben scheinen. Werfen wir einen Blick auf die Ursachen depressiver Verstimmungen, so kommt es nicht von ungefähr, dass die Gefahr einer Erkrankung beim Pferd überdurchschnittlich hoch ist.
Das Spektrum der möglichen Ursachen für eine Erkrankung im engeren Sinne und die Risikofaktoren für das Leiden an den Vorstufen der Störung sind ungemein vielfältig. So kann an dieser Stelle nur ein Überblick über die wichtigsten Gründe gegeben werden. Je mehr verschiedene Risikofaktoren auf ein bestimmtes Pferd einwirken, desto wahrscheinlicher wird sein Wohlbefinden eingeschränkt sein und desto früher wird es tatsächlich an einer psychischen Störung erkranken. Beim Menschen ist bekannt, dass genetische Faktoren eine Rolle bei der Häufigkeit der Depression spielen. Demnach kann auch beim Pferd angenommen werden, dass bestimmte Pferderassen oder Blutlinien eine besondere Disposition, also eine überdurchschnittliche Neigung für Probleme dieser Art haben. Weitere Forschungen sind nötig, um dieser Fragestellung beim Pferd auf den Grund zu gehen und die Pferdezucht im Sinne der Pferde daraufhin zu sensibilisieren.
Eine große Rolle bei sämtlichen „Stimmungsschwankungen“, emotionalen Verstimmungen und Einschränkungen des Wohlbefindens spielen die Botenstoffe im Gehirn. Im Fall der Depression sind insbesondere die Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin ursächlich am Voranschreiten der Störung beteiligt. Diese biochemischen Botenstoffe übertragen Impulse von Nervenzellen auf andere Zellen und werden als Neurotransmitter bezeichnet. Serotonin soll antriebssteigernd wirken und Stimmung, Wohlbefinden und Schlaf beeinflussen. Noradrenalin soll im Gehirn den Schlafwach- Rhythmus, die Aufmerksamkeit und Gedächtnis- und Konzentrationsleistungen steuern. Außerdem versetzt es das Pferd in Alarmbereitschaft: Puls und Blutdruck steigen und die Aktivität von Magen und Darm wird heruntergefahren. Der Spiegel beider Neurotransmitter weicht bei betroffenen Pferden stark von dem Normalwert ab und zudem sind bei depressiven Tieren die Aufnahmesysteme dieser Stoffe im Gehirn gestört.
Depression als Folge von chronischem Stress und druckbasiertem Training
Als eine der Hauptursachen für die Veränderung der neurobiologischen Balance im Gehirn wird chronischer Stress des Betroffenen angenommen. Im Gegensatz zum normalen, akuten, kurzfristig erlebten Stressereignis kommt es bei anhaltendem Stress zu charakteristischen Veränderungen des Blutstoffwechsels. Vereinfacht gesagt führt eine dauerhafte stressbedingte Stimulation der Nebennierenrinde, der Hirnanhangsdrüse und der damit verbundenen Steuerungsbereiche des vegetativen Nervensystems zu einer Ausschüttung von sogenannten Stresshormonen. Cortisol ist das bekannteste. Seine zunächst verstärkte Ausschüttung führt zu einer Alarmbereitschaft des gesamten Körpers, der damit seine Abwehrkräfte mobilisiert und versucht, sich auf das Stressgeschehen einzustellen. Lässt der Stress nun nicht nach, wie es normalerweise bei punktuellen Belastungen der Fall sein sollte, so führt diese ständige Alarmbereitschaft zu Folgeproblemen. Der Stoffwechsel wird geschwächt, die Produktion von Serotonin und deren Aufnahme im Gehirn wird vermindert und das Immunsystem des betroffenen Tiers wird durch den dauerhaften Ausnahmezustand geschädigt. Ergänzende Studien haben nachgewiesen, dass Stress im Pferdeleben ein bisher stark unterschätztes Risiko darstellt. Sehr viele Pferde leiden anhaltend unter hohen Trainingsanforderungen, unzureichenden Haltungs- oder Fütterungsbedingungen, Stallwechsel, Verlust von befreundeten Herdenmitgliedern und zeigen typische stressbedingte „Berufskrankheiten“. Dazu zählen Magengeschwüre, diffuse Stoffwechselstörungen wie Kotwasser oder scheinbar unerklärliche Durchfälle, diverse Hautprobleme und Schwächen im Immunsystem (…)
Den gesamten Artikel lesen Sie in der neuen Ausgabe von Feine Hilfen.
Category: Besondere Themen
Interessanter, guter Artikel!
Das Zusammenleben mit depressiven Menschen ist schon nicht zu unterschätzen, doch die Arbeit mit depressiven Tieren ist eine wahre Herausvorderung!!
Die Ursachen einer Depression beim Tier, kann man meist nur „erahnen“, wenn man aber Schritt für Schritt auch die evtl Ursachen abstellt oder dem Tier hilft seinen Körper wieder schmerzfrei und korrekt benutzen zu können, kommt man mit Mini-Schritten zum Erfolg. Meine Vorschreiberin nannte es „strahlen“, ich nenne es ein langsames, sehr empfindliches „Aufblühen“…
Danke für den Artikel,
Nicole Baumgarten
…Vielleicht würde dem Pferd ein passender Sattel schon genügen, auch wenn das banal gegenüber der Verwendung des Wortes „Depression bei Pferden“ klingt. Reiten lernen kann auch helfen.
dein Kommentar verärgert mich->ULRIKE
ja genau so wie Du es „nennst“ so nennen es wohl viele. Du hast den Sinn des Artikels nicht verstanden. Einfach mal reiten lernen und n passender Sattel – dann ran an die Arbeit, egal was die Psyche dazu meint:
Tipp von mir:
Lerne Dein Tier verstehen, dann wirst Du auch SANFT REITEN können…
aber wundere Dich nicht, wenn sich Dein Pferd bei deiner oben erwähnten- Einstellung verspannt und hart wird im Maul und irgendwann mal „bissig“ wird? Schon mal darüber nachgedacht?
Hier bei diesem Artikel geht es nicht nur darum das „phlegmatische Pferde = depressiv sind, aber das man mal eine andere Sichtweise annehmen sollte um „GANZHEITLICH “ zu behandeln.. oder wie findest denn das?
Alles Liebe für Dich und Deine Pferde wünsche ich Euch „Letizia“
Vielen Dank für diesen Artikel.
Sehr oft habe ich während meiner Behandlungen mit genau diesen Problematiken zu tun.
Wundervoll ist zu beobachten, wie diese Pferde wieder anfangen zu strahlen, wenn sie gesehen werden und ihnen geholfen wird….
danke für die offenen Worte und
liebe Grüsse
Patrizia Harneit