Das Longieren muss überdacht werden
… eine Leseprobe aus „Feine Hilfen“, Ausgabe 2 | Fritz Stahlecker |
Longieren wird nicht als wichtiges Thema gehandelt.
Die möglichen negativen Auswirkungen sind unbekannt oder werden unterschätzt. Viele meinen, Longieren sei eine vergleichsweise einfache Aufgabe, die keine vertieften Erfahrungen verlange. Dies ist falsch. Nicht alles ist schon deshalb gut, weil es unsere Vorväter schon immer so praktiziert haben. Es gibt im Reiten hierfür kaum ein besseres Beispiel als das Longieren! Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus, als wir meinen. Sie ist erschreckend. Den Pferden und der Kunst zuliebe ist ein alarmierender Weckruf bittere Notwendigkeit. Im Folgenden zeige ich tradierte Fehler auf.
Die absolute Fesselung
Es ist üblich, die Ausbindezügel oder andere Hilfszügel mit der Trense zu verschnallen. Alle gehen von Fixpunkten aus, entweder am Sattelgurt oder am „komfortableren“ Longiergurt. Gleich, wie viel Bewegungsfreiheit wir dem Pferd nehmen, immer ist die Fesselung physikalisch absolut. Es gibt keinerlei dämpfendes Nachgeben. Jedermann weiß, dass besonders junge Pferde beim Longieren buckeln und vielerlei Sprünge einlegen. Zur Beruhigung sagen wir uns, dies sei Lust und Übermut. Das stimmt meistens nicht. Nein, die Remonte wehrt sich aus innerem Druck gegen die Fesselung. Sie bekommt Angst, will fliehen. Oft vergehen Wochen, bis sich die Angst verliert.
Bei diesen Sprüngen bewegt das Pferd den Kopf ruckartig nach oben und verpasst sich selbst einen harten Schlag auf die Zunge. Bei Versuchen reichte die Skala des Druckmessgeräts nicht aus. Es zeigte wiederholt 80 Kilogramm. Man muss davon ausgehen, dass die Zungenränder noch höher belastet werden. Ganz ohne Zweifel passt dies nicht in die Vertrauensphase. Die hohe Belastung tritt auch bei lang eingestellten Ausbindezügeln auf. Bei längerem Weg der Abwehrbewegung erhöht sich ihre Geschwindigkeit noch mehr. Physikalisch bedeutet dies eine Erhöhung des Druckes. Es ist müßig, darüber zu streiten. Derartige Versuche erweisen sich als barbarisch. Man müsste die Ausbinder extrem kurz schnallen, damit das Pferd nicht Schwung holen kann. Für den Pferdemann scheidet dies aus.
Dass es auch „vernünftige“ Pferde gibt, die sich kaum wehren und schnell herausfinden, wie sie sich verhalten müssen, um dem Schmerz zu entgehen, kann die Methode nicht rechtfertigen. Keiner kann im Voraus wissen, wie sich sein Pferd beim ersten Longieren verhält.
Das Dilemma der frühen Ausbildung
Das erste schlechte Gebisserlebnis ist prägend. Es ist ein Kindheitserlebnis, dessen Erinnerung kaum erlischt.
„Ein dreijähriges Pferd dürfte mit einem 15-jährigen Kind vergleichbar sein.Erwachsen ist ein Pferd wohl erst im sechsten Lebensjahr.“
Man beachte in diesem Zusammenhang, dass unsere Altvorderen ihre Pferde erst im Oktober des vierten Lebensjahres in Arbeit genommen haben. Sie haben wenigstens dem Pferd nicht die ganze Kindheit gestohlen. Wir sind heute im Dilemma, uns dies aus finanziellen Gründen nicht mehr leisten zu können. Somit gilt es, alle möglichen Auswege zu prüfen, die der Pferdenatur entgegenkommen und die frühe Ausbildung verantwortbar machen. Darum geht es im Folgenden. Es darf doch nicht sein, dass wir, schon bevor wir das Pferd erstmalig besteigen, sein Maul verdorben haben. Wer das Auge hat, erkennt, dass ausgebildete Pferde mit wirklich gutem Maul in der Minderheit sind.
„Das heute noch übliche Anlongieren erfüllt den gesetzlich definierten Tatbestand der Tierquälerei.“
Diese besagt doch, dass einem Tier nicht mehr Schmerz zugefügt werden darf als unumgänglich notwendig! „Unumgänglich“ habe ich hinzugefügt, weil „notwendig“ doch heißt, dass es Not gibt, etwas tun zu müssen.
Wie machten es die Reitmeister alter Schule?
Ich fasse es in einem Satz zusammen: Für die Grundausbildung verwendeten sie, um das Maul zu schonen, einen Kappzaum mit Gelenkschnalle, der mehr oder weniger die Pferdenase malträtierte. Dies kann uns aber die Richtung weisen. Weshalb nicht dieses Instrument entschärfen? Dies gelingt durch zwei Modifikationen:
- Verzicht auf die Gelenkschnalle mit ihrer Nussknackerwirkung.
- Komfortable Innenpolsterung des Nasenriemens, die sich rundum der Pferdenase satt anpasst. Tatsächlich bewirkt das weiche Nasenkissen ein kleines Wunder. Versuche beweisen, dass Gehorsam auch ohne Schmerz erreichbar ist! Die alten Meister gingen wohl davon aus – dies ist meine Hypothese –, dass das junge Pferd wohl oder übel Schmerz erdulden müsse, um gefügig zu werden. Sie sagten sich, dass ihn lieber die Nase erleiden soll als das Maul.
Zu den technischen Einzelheiten
Die Nase bietet eine weit größere Auflagefläche als die Zunge. Mit dem für die Hand-Sattel-Hand-Methode (HSH-Methode) entwickelten Kappzaum (siehe unten) wird sie genutzt. Darauf kommt es entscheidend an! In der Schule haben wir doch gelernt: Je größer die Fläche, desto niedriger der spezifische Druck. Er verhält sich linear. Das erprobte Kissen belastet je nach Pferdenase eine Fläche von 30 bis 40 Quadratzentimetern. So wird es buchstäblich zum Ruhekissen. Bei einem Abwehrsprung kann es zu einer spezifischen Belastung von allenfalls zweieinhalb bis drei Kilogramm kommen, was sicherlich erträglich ist. Dies ist meilenweit entfernt von dem, was das Pferd heute bei Ausbindezügeln in der Trense erleidet. Dies selbst dann, wenn die Hilfszügel mit Gummiringen versehen sind. Sie nützen wenig. Der HSH-Kappzaum ist beidseitig mit Ringen versehen, durch welche der Hilfszügel – Unterzügel genannt – durchgezogen wird. Ihr Durchmesser ist ungewohnt groß, um ein leichtes Gleiten dieses Zügels zu erreichen.
Auf den üblichen Mittenring wurde aus gutem Grund verzichtet. Er ist ein „Faulenzer-Ring“, der dem Longierenden beim Handwechsel das Umschnallen der Longe ersparen soll. Bei dieser Schnallung wird der Pferdekopf radial nach innen gezogen. Dies ist ungünstig, weil so das Pferd zu einer schiefen Kopfhaltung aufgefordert wird und zudem der Kappzaum sich verdreht.
… lesen Sie weiter in „Feine Hilfen 2“, Print-Version Seite 20; iPad-Version Seite 27 …
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@Nadine
Das Longieren mit gewöhnlichem Halfter ist abzulehnen, da es niemals wirklich am Kopf fixiert werden kann.
Zum Eine steigt dadurch die Verletzungsgefahr, zum Anderen sind genaue Einwirkungen nicht möglich.
Der Kappzaum ist für mich das beste Mittel der Wahl.
@Kat
Wenn bei der Doppellongenarbeit über Gebiss gearbeitet wird glaube ich nicht an die feine Einwirkung,
Zumindest dann nicht, wenn die äußere Longe um die Hinterbeine verläuft.
Prinzipielle Anwendung von Ausbindern empfinde ich als schlecht, weil sie eine Haltung einfrieren,
was zwangsläufig zu einer Verspannung oder unphysiologischer Bewegung führt. Wenn Hilfszügel,
dann würde ich ein Gogue vorziehen.
Letztendlich muß man sich überlegen, warum man longiert.
Geht es darum, das Pferd einfach müde zu machen, dann lass ich es eben im Kreis rumlaufen,
was allerdings mit der Zeit durch die Torsion in den Gelenken auf die Knochen geht.
Eigentlich will ich doch das Longieren als Möglichkeit nutzen, die Vorderlastigkeit hin zu einer stärkeren Lastübernahme der Hinterbeine zu formen. Dabei das Pferd in Biegung zu arbeiten. Dadurch aus dem
„Fluchttiergleichgewicht“ in das reiterliche Gleichgewicht zu führen.
Und damit streng genommen schon geraderichtende Arbeit zu leisten.
Ich bin für mich der Meinung, dass das mit Hilfszügeln nicht geht.
Als sehr interessant empfinde ich hier die Ansätze der Schiefentherapie (ARR) und den Longenkurs
von Frau Babette Teschen, falls es gestattet ist diese Namen hier zu erwähnen.
Und was halten Sie vom longieren auf ganz gewöhnlichem Halter, ohne jegliches ausbinden? Dabei kommt es auch vor dass Pferde buckeln…
Warum nicht die Doppellonge als sinnvolles Ausbildungsinstrument verwenden – dabei ist jederzeitiges Nachgeben möglich, das junge Pferd darf sich auch ruhig mal Luft machen und dabei nicht irgendwo begrenzt sein. Gleichzeitig wird Pferd dadurch auf die Zügelhilfen vorbereitet. Mit einiger Übung ist die „Steuerung“, oder besser die „Führung“, des Pferdes mit der Doppellonge wesentlich angenehmer als durch Rucken und Ziehen an einer einfachen Longe. Wichtig dabei ist jedoch, dass die Doppellonge nicht über die diversen Umlenkrollen zum Flaschenzugsystem mutiert – feine Einwirkung bleibt dabei dann erst wieder auf der Strecke.