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Besinnt Euch auf das Wesentliche!

LabradorFotoVideo/Shutterstock.com

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von Dr. Thomas Ritter

 

Ja, was soll man noch sagen, zu einer solchen EM? Einen schlechteren Eindruck hätten Europas „beste Reiter“ kaum hinterlassen können, auch wenn sie sich dafür extra angestrengt hätten. Es war empörend, enttäuschend, traurig, frustrierend, peinlich, beschämend. Die positiven Gegenbeispiele gehen leider unter im allgemeinen Desaster, diejenigen Reiter, die mit ihren Pferden schöne, harmonische Ritte zeigten und offensichtlich ein gutes Verhältnis mit ihren Pferden haben. Wenn sich noch immer nichts ändert und die FEI und die FN nicht endlich Ernst damit machen, den Missständen ein Ende zu setzen, wird Dressurreiten, oder zumindest der Dressursport verdorren, wie eine Pflanze ohne Wasser. Denn das Publikum will so etwas nicht sehen, was in Aachen geboten wurde. Die Mehrzahl der Reiter will an so etwas nicht teilhaben. Fehlt das öffentliche Interesse, wandern die Sponsoren ab, die Medien werden die Wettkämpfe nicht mehr übertragen, die Mitgliedsbeiträge werden ausbleiben, und die reiterlichen Organisationen machen sich selbst obsolet.

Zeit, sich auf das Wesentliche zu besinnen, darauf, was uns dazu trieb, uns das erste mal auf ein Pferd zu setzen. Für die meisten von uns war es doch wahrscheinlich die Liebe zum Pferd – bevor Ehrgeiz und Ego (einigen von) uns den Blick verstellten und vielleicht äußerer Druck diese Liebe vergessen ließ. Man verstehe mich nicht falsch. Ich kenne niemanden, der seinem Pferd noch nie bewusst oder unbewusst Ungemach oder Schmerzen zugefügt hat, sei es durch Ungeschicklichkeit, Jähzorn, falschen Ehrgeiz, Ego, Gefühllosigkeit oder Unwissenheit. Es gibt in der Reiterei keine Heiligen, aber sehr viele Scheinheilige. In meiner langjährigen Praxis konnte ich immer wieder beobachten, dass diejenigen, die sich am meisten empören, oft die größten Sünder sind. Wenn man auf andere mit dem Finger zeigt, sollte man sich an seine eigenen zahllosen Fehler erinnern und bei sich selbst mit der Korrektur der Missstände anfangen. Je mehr man sich bildet und je mehr man an sich selbst arbeitet, desto besser wird es den Pferden gehen.

Am besten reitet man in der Regel, wenn man ganz allein mit seinem Pferd ist, ohne Publikum und ohne Agenda, die man erfüllen will oder muss, sodass man ausschließlich für das Pferd und mit dem Pferd reiten kann. Man bemüht sich, im Dialog mit dem Pferd heraus zu finden, was es vom Reiter braucht, wie man ihm helfen kann, was es an diesem Tag leisten kann und was nicht. Tritt man vor Publikum auf, sei es auf einem Turnier, sei es bei Show-Auftritten, ist dies bedeutend schwerer, weil ja am Tag X eine bestimmte Leistung gezeigt werden muss. Da ist die Herausforderung besonders groß, das Wohlergehen des Pferdes nicht dem eigenen Ehrgeiz oder Ego zu opfern. Daher war Nuno Oliveira wohl auch der Ansicht, dass sich seine Art der Reiterei mit dem Turniersport nicht vereinbaren ließe. Es muss doch aber möglich sein, pferdegerecht hohe Leistungen zu bringen. Und damit wären wir wieder bei der Liebe zum Pferd, die alle unsere Handlungen prägen sollte.

Wir sollten uns ebenfalls zurück besinnen auf das ursprüngliche Ziel der Dressurausbildung. Die höchste Priorität war früher, einen zuverlässigen Arbeitskollegen und treuen Freund zu schaffen, der einen auch unter schwierigen Bedingungen nie im Stich lässt, ein Pferd, das immer angenehm zu reiten ist: bequem zu sitzen, angenehm in der Anlehnung, das überall hingeht, nicht scheut, etc. Spektakuläre Bewegungen waren weniger wichtig als die anderen soeben genannten Aspekte. Ein gut ausgebildetes Pferd sollte eigentlich eine Lebensversicherung sein. Eindrucksvolle Gänge sind schön und gut, aber was nützen sie mir, wenn ich jedesmal das Gefühl habe, mein Leben zu riskieren, wenn ich aufs Pferd steige, weil es so unberechenbar ist.

Das bringt mich zu Fragen, die ich mir schon seit längerer Zeit stelle. Sind die modernen Sportpferde so heiß gezüchtet und mit so großen Gängen, dass sie nur von wenigen Spitzensportlern noch ohne große Unfallgefahr zu reiten sind? Das wäre eine schlechte Entwicklung, weil die meisten dieser Pferde keinen geeigneten Käufer finden würden. Sie wären zu einem Leben voller Konflikte verurteilt und würden wahrscheinlich recht schnell beim Schlachter landen. Machen die modernen Trainingsmethoden die Pferde so verrückt, dass sie immer unter Hochspannung stehen und regelmäßig ausrasten? Das wäre ebenfalls eine Entwicklung in die falsche Richtung. Zeit also, wie gesagt, sowohl die Ausbildungsmethoden als auch die Zuchtrichtung zu überdenken. Warum reiten wir? Was wollen wir von unseren Pferden? Was sollen die Prioritäten sein? Was ist in der Geschichte der Reiterei bis heute gut und bewahrenswert? Was ist schlecht oder überholt und muss abgestoßen werden?

 

Category: Dressur

Comments (4)

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  1. sophia von hofacker sagt:

    danke für den artikel, 100% d´accord.
    @Svenja: wir sind das Publikum.

    Wenn wir zu solchen Tournieren nicht mehr hingehen oder wenn, dann ausschließlich um zu prüfen, wer korrekt reitet, wird sich sicherlich etwas ändern. Mit dem Tenor habe ich auch der FEI geschrieben. Das ziehe ich auch so durch.

    Artikel wie dieser hier bewirken auch Viel.

    Außerdem bringt es Etwas, sich zu organisieren in Vereinen wie Xenophon, mit Freunden, Reiterkollegen etc. zu sprechen.

    Auch die franz. Revolution, die Frauenbewegung, die Antiapartheid etc… haben Alle klein angefangen und Großes bewirkt. Nur anfangen ist eben wichtig, der 1. Schritt, egal wie klein.

    Lieber Gruß Sophia v. Hofacker

  2. Nadja Beeker sagt:

    Schöner Artikel, wahre Worte – auch, dass jeder mal falsch reitet und sich an die eigene Nase fassen muss:
    Unsere Stute hat Arthrose in allen vier Beinen, bevor wir das wussten hieß es immer: „Setzt dich durch!“, „Die ist halt faul!“ etc.
    Seit wir wissen warum sie Probleme hat ihre Beine zu heben und zu sortieren, passen wir unsere Reiterei endlich an das Pferd an UND PLÖTZLICH kann sie so komische Sachen wie:
    – sich auf uns freuen, wenn wir mit den Reitsachen vor der Box stehen
    – übereifrig werden
    – Lektionen von sich aus anbieten
    und auf der Weide zu uns kommen!
    Nur weil wir endlich lernen ihr zuzuhören wenn sie etwas sagen möchte. Auch wenn es nur darum geht sie möglichst lange schmerzfrei zu halten, ist Pia Gold wert! Denn sie kann uns lehren, was Mitgefühl heißt.

  3. Svenja sagt:

    Sehr schön geschrieben. Es wäre toll, wenn sich alle Reiter dies zu Herzen nehmen würden.

    Leider kann ich aber der These dass der Dresdursport so wie er ist eingehen wird nicht zustimmen. Ich habe die Grand Prix Kür live in Aachen gesehen und muss sagen, dass die Reiterei wie sie dort (mit wenigen positiven Ausnahmen) gezeigt wurde offenbar genau das ist, was das Publikum und leider auch die Richter sehen wollen.

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