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Grundlagen des Longierens am Kappzaum – Von Form und Funktion

 

von Katharina Möller

Leseprobe: Ein Auszug aus dem Artikel von Katharina Möller (Ausgabe Feine Hilfen 17).

Gutes Longieren ist fast so vielseitig wie gutes Reiten: Pferd und Mensch können beim Longieren bereits Grundlagen der Reiterei verstehen, in Bewegung kommunizieren und sinnvoll trainieren. Diese Basis erleichtert das spätere Reiten dann noch weit auch über das Anreiten hinaus. Longieren und Reiten haben viel gemeinsam und sollten unbedingt nach dem gleichen Konzept erfolgen.

Foto: Maresa Mader

Foto: Maresa Mader

In meiner praktischen Tätigkeit mit Jungpferden und sogenannten Problempferden mit physischen und psychischen Schwierigkeiten trainiere ich mittlerweile ausführlich und über mehrere Wochen an der Longe. Wenn ich mich dann (wieder) in den Sattel schwinge, läuft es in der Regel problemlos rund und die vermeintlich „verlorene Reitzeit“ zahlt sich umso mehr aus.
Gern stelle ich hier einige grundlegende Dinge zum Longieren zusammen, die in weiten Teilen auch für das Reiten gelten. Ich werde mich jedoch davor hüten, ein „Schema F“ zu skizzieren, in das jedes Pferd hineinzupassen hat. Denn je nach Vorkenntnissen und dem Zusammenwirken von körperlichen Gegebenheiten, Trainingszustand und psychischer Situation kann der Weg zum „guten Laufen“ sehr unterschiedlich ausfallen.
Gerade deswegen ist gutes Longieren genauso schwer zu erlernen wie gutes Reiten. Als Einsteiger muss man erst einmal irgendwie beginnen. Da kommt uns Menschen eine didaktisch gut aufbereitete, langsame Schritt-für-Schritt-Anleitung sehr gelegen. Aber horcht man in der Praxis dann in unterschiedliche Pferde hinein, drücken diese gerade an der Longe oft sehr unterschiedliche Meinungen und Bewegungsvorstellungen aus. Es bedarf also an der Longe genau wie unter dem Sattel flexibler Konzepte. Daher sollte dringend der Grundsatz Geltung finden, dass ein junges, unerfahrenes oder problematisches Pferd auf einen erfahrenen Menschen am anderen Ende der Longe treffen sollte, der mehr als eine einzige Herangehensweise kennt und sich auf jedes Pferd individuell einstellt. Der Longenführer benötigt klare Absichten – er muss wissen, was er erreichen möchte, darf aber keine dogmatischen Vorstellungen vom Weg dahin haben.

 

Vorüberlegungen

 

Bevor wir mit dem praktischen Longieren fortfahren, möchte ich einige grundsätzliche Betrachtungen mit Ihnen teilen.

 

 Form und Funktion – eine Wechselbeziehung

 

Eine funktionierende, also physiologisch sinnvolle Bewegung hat eine spezifische Form. Form und Funktion sind wechselseitig miteinander verknüpft: Wenn ein Pferd sich in völlig dysfunktionaler Form befindet, ist die angestrebte Bewegung nicht möglich. Bewegt es sich physiologisch korrekt, stellt sich selbstverständlich auch die passende äußere Form ein.

Es handelt sich hier also gewissermaßen um die Frage nach Henne und Ei. Bringe ich das Pferd in eine bestimmte Form, auf dass es sich dann „nur noch gut“ bewegen kann? Oder bringe ich ihm bei, wie es sich gut bewegt, wobei sich die „richtige“ Form einstellt?

Verschiedene Reit- und Ausbildungsweisen haben hier unterschiedliche Herangehensweisen entwickelt, die sich natürlich auch im Longieren widerspiegeln. Jede Herangehensweise hat ihre Vor- und Nachteile, Folgen und Begleiterscheinungen, die man unterschiedlich bewerten und gewichten kann. Bevor ich Ihnen, liebe Leser, nun meine Herangehensweise vorstelle, möchte ich Sie dafür sensibilisieren, dass diese Zusammenhänge keine Einbahnstraße sind.

 

 

Meinung und Ausdruck in Bewegung

 

Ganz grundsätzlich finde ich bei jeder Arbeit mit einem Pferd seine Meinung wichtig – die darf es gern ausdrücken, und das tun Pferde naturgemäß gern in Bewegung. Ich möchte sehen, wie es sich bewegen möchte (oder auch nicht), und es interessiert mich, wie es seine Umwelt wahrnimmt, wie es mit seinem Körper umgeht, wie wir gegenseitig unsere Bewegungen spiegeln, wie viel Raum es wo haben möchte und so weiter. Daraus entwickeln wir dann gemeinsam das, was die Reitlehre unter gymnastischen Gesichtspunkten unter einem „guten Im-Kreis-Laufen“ versteht.

Ein zentraler Punkt ist, dass das Pferd seinen Hals dabei frei verwenden darf. Ich fixiere ihn weder mit Hilfszügeln (darauf kommen wir am Ende noch einmal zurück) noch mit meiner eigenen Hand am Kappzaum. Es interessiert mich zunächst wertfrei, was es mit seinem Hals macht, weil ich darauf angepasst sinnvolle weitere Übungen entwickeln kann. Die Haltung von Kopf und Hals kann als Gradmesser dafür dienen, wie es um Gleichgewicht und Rückentätigkeit bestellt ist. Diesen Gradmesser habe ich aber nur zur Hand, wenn ich das Pferd immer wieder frei entscheiden lasse, in welcher Haltung es gehen möchte.

 

 Die Krux mit der Kopf-Hals-Position und den Hufspuren

 

Die Kopf-Hals-Position des Pferdes lässt sich für den lernenden Menschen leicht erkennen, einordnen und bewerten. Wir wissen: Die Nase gehört vor die Senkrechte und das Maul etwa auf Buggelenkshöhe, zu einer Biegung gehört auch eine sichtbare Stellung im Genick und so fort.

Die Sache ist nur die: Wir reiten nicht auf Kopf und Hals, sondern gewissermaßen auf dem Brustkorb des Pferdes. Dafür benötigen wir ein ganzes Pferd. Relevant sind dabei die Tätigkeit des Rückens (eigentlich des gesamten Rumpfs), der angehobene und schwingende Brustkorb, die Schubrichtung der Hinterbeine, die Funktionalität der Vorhand und so fort – alles hängt mit allem zusammen.

„Gutes Laufen“ ist kompliziert, es lässt sich kaum vereinfachen und einzelne Parameter können nicht mehr sein als Anhaltspunkte.

Auch die Hufspuren sind ein solcher Anhaltspunkt. Jahrelang habe ich selbst „einfach nur“ geschaut, wohin das Pferd tritt, bekanntlich soll es ja möglichst unter seinen Schwerpunkt treten. Aber auch das ist nur die halbe Miete. Wie sind seine Gliedmaßen denn dort hingeschwungen? Und wie hat sich dabei die Energie auf die Vorwärtsbewegung des Rumpfs übertragen?

Didaktisch ist das zugegeben problematisch, aber es ist nun mal unbestritten: Um die gesamte Reiterei zu verstehen, braucht es mehr als ein Leben und das Longieren bildet keine Ausnahme. Tipp: Nehmen Sie immer wieder mit weichem Blick das ganze Pferd und Ihren intuitiven Eindruck von seiner Bewegung und seiner Stimmung wahr.

Bewegt es sich geschmeidig, katzenhaft, nicht trampelnd? Macht ihm die Bewegung Spaß? Schwingt es insgesamt und überall, bewegt sich sein ganzer Rumpf, „lebt“ es? Kommuniziert es mit Ihnen über Bewegung oder nimmt es nur Anweisungen entgegen?

Variation ist wichtig

Je nach Bewegungssituation (Linienführung, Tempo, Versammlungsgrad) muss sich die Kopf-Hals-Position ändern, denn jedes sinnvolle Training der zum Reiten benötigten Muskulatur beruht auf einem ständigen Wechselspiel zwischen Schub- und Tragkraft und geht mit ständig (und sei es nur geringfügig) geändertem Rahmen einher. Also gibt es auch nicht die richtige Haltung, sondern diese muss sich funktional immer wieder anpassen. Zeichen klassischer Ausbildung ist es, dass die Natur des Pferdes berücksichtigt wird. Es wird also nicht in einen Rahmen (und sei es ein geistiger Rahmen von „richtiger“ Körperhaltung!) gepresst.

Die Arbeit an der Longe birgt ja die große Chance, dass das Pferd sich in gewissen Bahnen (dazu später mehr) in seinen Bewegungen sogar freier ausleben und entfalten darf als unter dem Sattel. An der Longe stört kein Reiter mit seinem Gewicht, seiner Unbeweglichkeit und womöglich seiner Angst vor der Dynamik. Ausprobieren, Erfahren und Üben sind erlaubt!

 

 

 

 Ab in die Praxis! – Meine erste Übung

 

Um einige wichtige Grundlagen zu klären und um das Pferd mit seiner individuellen Art, sich zu bewegen, seiner Schiefe und so weiter kennenzulernen, beginne ich in den meisten Fällen mit folgender Übung. Sie wirkt unspektakulär, aber wie immer kommt es nicht bloß darauf an, was man macht, sondern wie man es macht.

 

 

Linie dank Körpersprache

 

Ich longiere das Pferd zunächst mit geringem Abstand mithilfe meiner Körpersprache (wie ich das mit einem rohen Pferd beginne, beschreibe ich in meinem Buch „Jungpferdeausbildung mit System“) und gehe dabei neben ihm her. Ich longiere ganze Bahn und lasse das Pferd alle paar Meter eine Volte um mich herumgehen. Die Verständigung über die Linie hängt von meiner Körperdrehung und Position ab. Gehe ich parallel zum Pferd mit, geht es geradeaus, lasse ich mich hinter das Pferd fallen und drehe meinen Rumpf in Bewegungsrichtung, wendet es auf die Volte ab. Dabei stelle ich mir vor, aus meinem Bauchnabel würde ein Scheinwerfer strahlen, mit dem ich den gewünschten Weg des Pferdes direkt vor seiner Nase erhelle. So passt das Maß der Drehung.

Dieses Prinzip, dass man mithilfe der Körpersprache und insbesondere -drehung die Linie angibt und dabei das Pferd durch die Konzentration auf den unmittelbar vor ihm liegenden Weg mental führt, ist eins zu eins übertragbar auf das spätere Reiten.

Mit der Peitsche treibe ich das Pferd so weit von mir weg, dass sich die Longe ganz leicht spannt. Es ergibt sich dabei eine konstante Verbindung zwischen meiner Hand und der Pferdenase. Das Maß der Spannung ist individuell (hängt ab von der aktuellen Schubkraftsituation und insgesamt vom Bewegungsablauf des Pferdes und seinen persönlichen Vorlieben), wichtig ist jedoch, dass die Spannung auch während des Abwendens in die Volte gleich bleibt. Der Pferdekopf wird keinesfalls in die Wendung hineingezogen, das Pferd darf aber auch nicht auf die innere Schulter kippen und die Longe durchhängen lassen. Damit das gelingt, muss das Zusammenspiel zwischen Körpersprache und Peitschenhilfen stimmen, und auch hier finden sich wieder elementare Parallelen zum Reiten: Der Reiter beziehungsweise Longenführer nutzt die treibenden Hilfen genau so schnell, so häufig und so nachdrücklich, wie es notwendig ist. Mit fortschreitender Ausbildung verfeinern sich die Hilfen mehr und mehr.

Damit das Pferd einen vertrauensvollen Kontakt zur Longenhand sucht, muss diese passiv mitschwingend in der korrekten Haltung getragen werden und darf niemals rückwärts Richtung Bauch oder Oberschenkel des Longenführers wirken. Die Oberarme hängen am Oberkörper herunter und die Hand wirkt gegebenenfalls seitwärtsweisend oder leicht nach oben. Wer das an der Longe gleich lernt, gewinnt für sein gesamtes Reiterleben.

(…)

 

 Takt und Losgelassenheit – und Anlehnung?

Denkt man in den Kriterien der Ausbildungsskala, ist das Ziel des Longierens das Erreichen von Takt und Losgelassenheit auf geraden und gebogenen Linien. Durch sinnvolle Übungen wird sich nach und nach eine immer länger reell durchgehaltene Dehnungshaltung und eine der Linie gemäße Biegung einstellen. Die Bewegungen des Pferdes werden nicht mehr „nur“ entspannt und zwanglos, sondern auch dynamisch losgelassen werden. Ich füge nach und nach Übergänge, Tempounterschiede, Cavalettitraining und Seitengänge hinzu, dadurch arbeite ich auch an Geraderichtung und Versammlung.
Im Lauf der Ausbildung wird eine konstante Verbindung zur Longenhand zu einer geschätzten Gewohnheit. Ich spreche hierbei also durchaus auch von Anlehnung.

Wenn das Pferd durchgehend so geht, als schiebe es „mit seiner Nase den Kappzaum vor sich her“ (vergleiche Maren Diehl: „Die Pferde sind nicht das Problem“), zuverlässig über den Rücken schwingt und sich gut selbst ausbalancieren kann, dann wäre eine Anlehnung an ein Trensengebiss der nächste logische Schritt im Sinne der klassischen Lehre. Das heißt: Wenn das Pferd nach mehreren Wochen oder Monaten der systematischen Schulung so geht, dass man meint, es sucht (!) wirklich von sich aus die Anlehnung, dann wäre es möglich, Ausbindezügel einzuschnallen. Diese müssten dann im Lauf der Arbeitseinheit ständig (etwa alle 3 bis 4 Minuten) umgeschnallt werden, um sie der Gangart und der Haltung des Pferdes anzupassen und damit das Pferd seinen Hals zwischendurch immer wieder frei ausstrecken kann.

Ich persönlich verzichte auf Ausbindezügel und steige zu diesem Zeitpunkt der Ausbildung in den Sattel, um die Anlehnung an das Gebiss zu erarbeiten. Meine eigenen, lebenden, mitschwingenden, fühlenden Arme können das meines Erachtens besser als starre Ausbindezügel.

Den kompletten Artikel lesen in Ausgabe 17.

 

 

 

 

 

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Category: Aktuelle Themen

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