Denken Sie nicht an den rosa Elefanten!
(Foto: Christane Slawik)
Leseprobe aus Feine Hilfen 15
Interview mit Dr. Inga Wolframm
Oft sind es Kleinigkeiten, die dafür sorgen, dass wir beim Reiten nicht weiterkommen. Was man gegen lästige Angewohnheiten und Lampenfieber vor der Reitstunde tun kann und wie man die Zeit zwischen den Reitstunden sinnvoll überbrückt, erklärt Sportpsychologin Dr. Inga Wolframm im Interview.
Feine Hilfen: Frau Dr. Wolframm, wofür benötigt ein Reitschüler einen Lehrer und was muss er sich selbst erarbeiten? Provokant gefragt: Kann man Reiten rein aus Büchern lernen?
Dr. Inga Wolframm: Wer sehr viel Selbstvertrauen hat und körperlich ausgesprochen fit ist, könnte Reiten tatsächlich rudimentär aus Büchern lernen. Ohne regelmäßiges Feedback eines Lehrers wird man aber nie über ein Anfangsstadium hinauskommen. Der Reitlehrer ist auch der Übersetzer zwischen Pferd und Reiter. Schließlich ist es nicht nur die Technik, die man lernen muss, sondern auch die Kommunikation mit dem Pferd und die Interpretation seiner Signale. Der Trainer unterstützt den Reiter auch beim Bewegungslernen: Der Schüler lernt allmählich, dass seine körperlichen Signale an Reaktionen des Pferdes gekoppelt sind. Im ersten Stadium, dem Stadium der „unbewussten Inkompetenz“ – bevor man sich zum Reiten entschließt –, weiß man nicht, was man nicht kann. Der Anfänger befindet sich im Stadium der „bewussten Inkompetenz“ und weiß dann, was er nicht kann. Im dritten Stadium, der „bewussten Kompetenz“, weiß der Reiter, was er kann, und im vierten ist der Bewegungsprozess automatisiert, er muss also nicht mehr darüber nachdenken. Bis es so weit ist, muss man sich Stufe drei erarbeiten: Der Reitschüler muss zum Beispiel die Galopphilfe durchdenken. Er muss sich bewusst machen, wann er den äußeren Schenkel zurücknimmt, mit der Hand vorgeht oder innen treibt. Der Reitlehrer hilft in diesem assoziativen Stadium, die richtigen Signale zu finden. Die positive Verstärkung dieses Übungsprozesses liefert das Pferd: Es tut, was der Reitschüler möchte, und springt in den Galopp. Es dauert meistens Jahre, bis dieser Vorgang automatisiert ist. Erst dann hat ein Reiter die „unbewusste Kompetenz“.
Feine Hilfen: Dann denkt man „Galopp“ und gibt die Hilfe automatisch?
Wolframm: Genau. Ich denke etwa beim Angaloppieren nur noch kurz: „Äußeres Bein zurück!“, und den Rest – Hand vor, innen treiben – macht mein Körper von allein.
Feine Hilfen: Die Fehler kommen dann wahrscheinlich auch automatisch …
Wolframm: Klar. Ich habe mir angewöhnt, im Rechtsgalopp die Hände hochzunehmen, weil ich meinem Pferd irgendwie in den Galopp helfen will. Das ist natürlich Quatsch, aber mein Körper tut das einfach, wenn ich mich nicht darauf konzentriere, es nicht zu tun. Das ist schwierig, denn die Bewegung muss sich verändern und ein neuer, besserer Ablauf muss sich etablieren.
Feine Hilfen: Wenn ich auf einem Wochenendkurs geritten bin, geht mein Pferd noch zwei, drei Mal besser als davor, dann schleichen sich alte Fehler wieder ein. Wie kann man das vermeiden?
Wolframm: Wenn wir ohne Feedback des Trainers reiten, schleichen sich unsere alten Automatisierungsprozesse wieder ein. Gut wäre, wenn der Schüler sich gleich nach dem Lehrgang notiert, woran er gearbeitet hat. Schreiben Sie sich Schlüsselwörter auf! Bei mir wäre das: „Hand runter beim Angaloppieren.“ Ungünstig ist die Negativformulierung: „Hand nicht hochziehen.“ Das Gehirn sortiert „nicht“ und „kein“ gern aus. Denken Sie mal nicht an einen rosa Elefanten. Funktioniert nicht. Und dann setzen Sie sich nach dem Lehrgang Ihr ganz persönliches Ziel, worauf Sie die nächsten Trainingseinheiten achten werden. Ich würde etwa oft angaloppieren und „Hand runter“ denken.
Feine Hilfen: Am Beginn einer Reitstunde bin ich oft nervös und möchte dem Lehrer zeigen, dass ich meine Hausaufgaben gemacht habe. Dadurch reite ich aber viel verspannter und somit schlechter als sonst. Haben Sie einen Tipp für mich?
Wolframm: Auch hier kommt es auf die Zielsetzung an. Zu viele Reiter konzentrieren sich darauf, besser als andere zu reiten oder so zu reiten, dass es dem Trainer gefällt. Das sind aber Faktoren, die wir nicht beeinflussen können. Ich zum Beispiel wollte meiner Mutter vorführen, wie toll mein neues Pferd läuft. Raten Sie mal, wie es lief …
Feine Hilfen: Wahrscheinlich schlechter als sonst.
Wolframm: Genau. Wir sind genau wie Pferde soziale Wesen und wollen die Wertschätzung der anderen. Andererseits sind wir wettkampforientiert. Wir möchten also zur Gruppe gehören, aber zeigen, dass wir ein kleines bisschen toller sind als alle anderen. Das ist evolutionär bedingt. Wir wollen gern unsere Kompetenz zeigen auf einem Gebiet, das wir uns ausgesucht haben. Alle sollen uns gut finden. Das Problem ist, dass wir das nicht kontrollieren können. Sie sollten sich lieber überlegen, was Sie tun können, damit Ihr Pferd schön geht. Geht es schön, wenn es ruhig ist? Wenn es aufgeweckt ist?
Feine Hilfen: Sagen wir, wenn es gut gelöst ist.
Wolframm: Ok. Wir wissen: Wenn Ihr Pferd locker ist, geht es schön. Dann finden Sie Ihr Pferd gut. Das hat nichts mit dem Trainer zu tun. Wie wird Ihr Pferd locker?
Feine Hilfen: Meist durch sinnvolles Kombinieren von Seitengängen…
Wolframm: Dann brauchen Sie nur noch eine realistische Zielsetzung. Das Lösen dauert ja länger als zwei Minuten, oder? Dann seien Sie geduldig. Das Pferd wird nicht sofort locker sein, nur weil der Trainer da ist. Sie wissen: Wenn ich 20 Minuten am Lösen arbeiten kann, wird mein Pferd wahrscheinlich locker. Sie konzentrieren sich auf Ihre Fertigkeiten und machen sich unabhängig von der Meinung anderer.
Feine Hilfen: Das werde ich ausprobieren! Mit Mentaltechniken an Problemen zu arbeiten ist also gut möglich. Kann man aber auch von selbst Probleme diagnostizieren?
Wolframm: Wenn man es sich zutraut und nicht die Vorstellung hat, perfekt zu sein, oder – das andere Extrem – zu streng mit sich ist. Seien Sie konsequent mit sich, aber nicht zu starr. Dabei kann ein Tagebuch helfen. Man trägt für jedes Turnier oder jede Trainingsstunde ein: Was habe ich gemacht? Wie hat mein Pferd reagiert? Wann funktioniert zum Beispiel der fliegende Galoppwechsel, wann nicht? Meist ergibt sich dann ein Muster. Wenn das Pferd immer spannig ist, wenn ich einen stressigen Tag auf Arbeit hatte, kann ich in Zukunft nach einem solchen Tag nur zum Putzen in den Stall fahren. Ansonsten geben Videoaufzeichnungen und Hallenspiegel Feedback. Auch der Austausch mit anderen Reitern hilft, um eine objektive Einschätzung zu erhalten und an sich zu arbeiten.
Feine Hilfen: Wie oft sollte ein Reiter im Anfänger- und im Fortgeschrittenenstadium Unterricht nehmen? Hilft viel immer viel?
Wolframm: Ein Anfänger, der die motorischen Fertigkeiten gerade lernt, kann gar nicht zu viel Unterricht nehmen. Optimal wäre einmal täglich, wenn man sich das denn leisten kann. Das motorische Lernen wird schneller voranschreiten und Selbstvertrauen wird aufgebaut. Fehler schleichen sich schnell ein, wenn man ohne Trainer reitet und sind nur mühsam wegzubekommen. Hier ist eine gute Anleitung sehr sinnvoll. Ich habe die ersten zehn Jahre meiner reiterlichen Laufbahn voltigiert und gelernt, die Fußspitzen nach außen zu drehen – heutzutage müssen junge Voltigierer übrigens die Fußspitzen nach vorn drehen. Aber ich muss immer noch aufpassen, nicht in dieses Muster zu rutschen. Ein fortgeschrittener Reiter sollte dagegen darauf achten, dass er sich nicht zu abhängig von einem Trainer macht. Viele verlassen sich auf ihren Reitlehrer und werden dann keine Problemlösekompetenz entwickeln. Sie werden ohne Trainer unsicher. Hier empfehle ich einmal wöchentlich Unterricht, dann hat man noch genug Zeit, allein weiterzuarbeiten, aber nicht zu viel, um Fehler zu etablieren. Nur alle sechs Monate einen Lehrgang mitzureiten halte ich für sehr wenig. Dann schleichen sich Fehler ein, die der Reitlehrer unmöglich in zwei Kurstagen lösen kann. Wenn die Unterrichtseinheiten lange auseinanderliegen, empfehle ich, mit Spiegel zu reiten und Videos zu machen. Dann muss man aber auch ehrlich und selbstkritisch sein und objektiv Fehler erkennen. Ich würde unbedingt empfehlen, öfter Unterricht zu nehmen, auch wenn es nicht der Lieblingsreitlehrer ist. Es ist sogar ganz gut, immer mal bei einem anderen Lehrer zu reiten. Sonst kann es passieren, dass man sich mit seinem Reitlehrer festfährt. Ein frischer Blick von außen schadet nicht.
Feine Hilfen: Vielen Dank für das Gespräch!
[Dr. Inga Wolframm ist Buchautorin, sportpsychologische Expertin und dem Pferdevirus verfallen. Sie ist auf dem Gebiet der Reiterpsychologie promoviert und arbeitet bei der KNHS, der niederländischen reiterlichen Vereinigung, in der Sportentwicklung. Sie hat zwei Pferde und reitet so oft, es geht – aber ihrer eigenen Aussage nach nicht oft genug.
Buchtipp:
Dr. Inga Wolframm
Perfect Mind: Perfect Ride
Kenilworth Press
28,24 €
ISBN: 978-1910016046
Dr. Inga Wolframm stellt in ihrem anschaulich geschriebenen, auf Englisch erschienenen Buch verschiedene Mentaltechniken vor, mit denen sich Reiter auf Prüfungen vorbereiten und ihr Reiten insgesamt verbessern können.] /Kasten
Category: Aktuelle Themen, Dressur