Simplify your Riding?
von Claudia Weingand
Hässliche Bilder von den Turnierplätzen provozieren eine starke Gegenbewegung: Wer etwas auf sich hält und Pferdegerechtigkeit demonstrieren möchte, setzt auf Reiten ohne Sattel und Gebiss – und schadet dem Pferd vielleicht mehr, als ihm bewusst ist.
Die Hand zieht, der Sporn bohrt und Totilas tut, was er am besten kann: Er wirft exaltiert die Beine in die Höhe. Emotionale Musik spielt im Hintergrund, auf dem Bildschirm erscheint der Schriftzug: „Warum so, wenn es auch anders geht?“ Und plötzlich galoppieren junge Mädchen auf ungezäumten und –gesattelten Pferden über Wald und Wiese, drücken Küsse auf Ponynasen und legen sich eilig neben sich wälzende Rösser. Bevorzugt im Gegenlicht, vor malerischem Sonnenuntergang. Beschriebenes Video machte jüngst auf Facebook die Runde und macht deutlich: Das Reitervolk hat keine Lust mehr auf blaue Zungen, lahme Rappen und blutige Mäuler hypernervös gemachter Sportgeräte. Der Zeitgeist verlangt nach Friede, Freiheit und Harmonie. Der „Simplify your life“-Gedanke ist in der Reiterwelt angekommen: Weg mit Sattel, Trense, Helm und Co! Back to nature!
Dieser Trend geht so weit, dass manch ein Pferdefreund sogar Jeans und Boxershorts zu Hause lässt und – Kopfkino an – nackt reitet. Im Naturistencamp in der Nähe von Bonn wird „ohne Ausnahme textilfrei“ gezeltet und geritten (weitere Infos etwa unter www.fkk-reiten.de). „Erstaunlich viele tun es, von der Öffentlichkeit unbemerkt, auf eigenen Pferden oder Pflegepferden an einsamen Stellen im Wald oder auf Wiesen und Höfen. Sie sprechen nicht darüber, weil sie befürchten, dass man ihr Verhalten falsch versteht“, so der Veranstalter auf der Website.
Die Reiterwelt ist offenbar sehr anfällig für Extreme. Auf der einen Seite des Tellerrands wird geknebelt, gebarrt und getreten, auf der anderen wird in zweifelhafter Harmonie gebisslos durch den Wald geschlumpert. Zweifelhaft ist diese Harmonie, weil sie oft einseitig ist. Wenn junge Mädchen (und junggebliebene Erwachsene) ohne Sattel und Trense durch die Pampa düsen, sieht das für Laien erstmal pferdefreundlich aus. Oft sind die Pferde aber steif, schief und drücken den Rücken weg.
Dem Trend des „Weniger ist mehr“ folgen allmählich auch die Turnierveranstalter und sogar die „Stars“ der Dressurszene. Jessica von Bredow-Werndl gibt sich volksnah und präsentiert ihr Grand-Prix-Pferd sattelfrei, am 11. Oktober findet in Aachen ein „Gebisslos“-Turnier auf E-Niveau statt, in Polen gab es jüngst ein großes Turnier, auf dem man sich mit Halsring unter anderem in Dressurlektionen und am Sprung maß. Die Bilder von diesen Veranstaltungen sind frei von blauen Zungen, aber nicht frei von schlechtem Reiten. Was nützt eine Traversale, wenn sie nicht korrekt geritten wird und das Pferd hinterher schiefer als vorher ist? Was nützt der Verzicht aufs Gebiss, wenn der Halsring dem Pferd auf die Luftröhre drückt? Was nützt es, dass das Maul gebissfrei ist, wenn das Pferd permanent Druck aufs empfindliche Nasenbein bekommt?
Nur weil Gebiss, Sporen und Co. in aller Öffentlichkeit missbraucht werden, ist man nicht automatisch auf dem richtigen Weg, wenn man darauf verzichtet. Im Gegenteil: Wer entscheidet, ein Pferd zu reiten, muss sich um dessen Gymnastizierung bemühen. Er muss es geschmeidig machen, es gerade richten, es kurz gesagt befähigen, das Reitergewicht zu tragen, ohne seine Gesundheit zu gefährden. Das ist bereits mit Sattel, Gebiss und Co. eine schwierige, verantwortungsvolle Aufgabe. Wer per se auf sämtliche Ausrüstungsgegenstände und dazu schlimmstenfalls gleich auf eine vernünftige Reitausbildung verzichtet, wird sie kaum lösen können. Dann tut man sich vielleicht selbst einen Gefallen, weil Bilder vom Cavaletti-Hüpfer auf Halsring Likes bei Facebook bringen – den Pferden ist aber damit nicht geholfen.
Category: Aktuelle Themen
Immer diese fürchterliche Knotenhalfter in die Bilder. Die sind entwickelt um Drück und Schmerz auf die empfindliche Gesichtsnerven zu verursachen. Warum zeigen Sie diese? Hat nichts mit „Feiner Hilfen“ zu tun!!!!!
Haben Sie den Text gelesen? Genau das ist ja in der Kritik…