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Dehnungshaltung: Warum, wie oft, wie lange?

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Die Dehnungshaltung ist laut Barbara Welter-Böller für Pferde energieeffizient und schonend. (Foto: Rolf Kosecki)

 

Passend zu unserer kleinen Feine Hilfen-Webinarreihe zum Thema „Dehnungshaltung: Fluch oder Segen?“ gibt es hier Auszug aus Barbara Welter-Böllers neuem Buch „Gutes Training schützt das Pferd“.

 

Skelett, Bänder und Muskulatur des Pferdes haben sich so gebildet, dass Haltungen und Bewegungen mit höchster Energieeffizienz möglich sind – andernfalls hätten die Vorfahren unserer Pferde den nächsten Winter nicht überlebt. Um täglich 16 Stunden lang grasen zu können und dabei kaum Energie zur Muskelarbeit zu verbrauchen, hängt das Pferd Kopf und Hals in sein Nackenband und stützt über das Rückenband die restliche Wirbelsäule. Die Hinterhand dient als Widerlager. Auch beim Dösen oder in der Dehnungshaltung unterm Reiter wird das Nackenband durch die Halsrundung gedehnt und die restliche Wirbelsäule durch diese Spannung stabilisiert. Die Dornfortsätze der Brustwirbelsäule richten sich auf und entfernen sich voneinander. So werden die Bänder zwischen den Dornfortsätzen, die Ligamenta interspinalia, auf Zug gebracht. Gemeinsam mit dem Rückenband stabilisieren sie den vorderen Teil der Brustwirbelsäule. In der hinteren Brustwirbelsäule und der Lendenwirbelsäule schieben sich die Wirbel- oder Facettengelenke ineinander. Zusammen mit der Spannung des Rückenbands ist dieser Bereich nun auch verfestigt. Eine so von oben stabilisierte Brust- und Lendenwirbelsäule nimmt Druck von den Gelenken der Vorder- und Hinterbeine und entlastet sie. Untersuchungen von Jeffcott (aus dem Buch „Physiotherapie und Massage bei Pferden“ von Denoix und Pailloux) zeigten, dass die Brust- und Lendenwirbelsäule in dieser Position so über Bänder stabilisiert sind, dass sie, ohne Muskelkraft zu benötigen, ein Reitergewicht tragen können. Diese Situation kann man sich in der Ausbildung zunutze machen.

 

Vorteile der Arbeit in Dehnungshaltung

 

Der Reiter kann sich auf ein muskulär noch nicht perfekt trainiertes Pferd setzen, ohne es im Rücken zu schädigen. So kann schadensfrei in dieser Haltung unter dem Reiter die nötige Tragemuskulatur antrainiert werden. In dieser Position arbeiten die Muskeln der dorsalen Kette physiologisch (exzentrisch und statisch). Sie entwickeln sich innerhalb von vier bis sechs Wochen und behalten zudem ihre Elastizität, die für die Längsbiegungen von Bedeutung ist. Wenn ein Pferd konzentrisch mit den Rückenstreckern arbeitet, werden sie dagegen hart und unelastisch. Sie pressen die Wirbelsäule in Streckung und das Pferd verliert an Geschmeidigkeit.

 

Innen und außen entspannt

 

Das Pferd verknüpft mit der Dehnungshaltung seine Schlaf- oder Dösephase. Der Parasympathikus wird aktiviert. Das kann man auch während des Reitens in dieser Haltung deutlich erkennen. Das Pferd ist nicht aufgeregt und zeigt alle Zeichen der Losgelassenheit. Durch den langen Hals in der Dehnungshaltung liegt der Schwerpunkt weit vorn. Es rollt seinem Schwerpunkt hinterher und schont so seine Sehnen und Gelenke. So kann es sich energieeffizient vorwärtsbewegen. Die Muskeln und Gelenke der Hinterhand werden, ohne überlastet zu werden, gestärkt. Sie werden optimal für die Schub- und später für die Tragkraft vorbereitet.

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Die Ruheposition kommt der Haltung im Vorwärts-abwärts recht nahe – und hat viele positive Auswirkungen auf den Pferdekörper. (Grafik: Fachschule für osteopathische Pferdetherapie)

 

Auf der Vorhand? – Die Vorhand in der Dehnungshaltung

 

Der oft geäußerte Vorwurf: „Du reitest ja auf der Vorhand, so geht die kaputt“, muss sehr differenziert betrachtet werden. Von Natur aus ist das Pferd so konstruiert, dass sein Hauptgewicht auf der Vorhand liegt, anders als z. B. beim Känguru.
Also kann die Dehnungshaltung erst einmal nicht verkehrt sein. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei die Stellung des Schulterblatts. Zum einen wird in der Dehnungshaltung durch den Zug der Halsteile des M. trapezius und M. rhomboideus das Schulterblatt steil gestellt. Dadurch wird das Schultergelenk, das ja in seiner Stellung ohne Muskelhalt nach vorn „rutschen“ würde, in vermehrte Streckung gebracht. So ist es stabiler und in dieser Haltung können sich dann im Training die Muskeln entwickeln, die es braucht, um auch in anderen Schulterblattpositionen den Schultergelenkswinkel halten zu können. Das sind vor allem der M. biceps brachii und der M. subclavius, die vorn über das Schultergelenk ziehen. Auf der Innenseite des Schulterblatts entspringt der Rumpfträger, der M. serratus ventralis, der wichtigste Muskel für die Aufhängung des Rumpfs zwischen den Vorderbeinen. Sein vorderer Anteil zieht zu den Querfortsätzen des siebten bis vierten Halswirbels, sein hinterer Anteil zu den ersten acht Rippen. Wenn sich das Schulterblatt in der Dehnungshaltung nach vorn aufstellt, wird besonders der wichtige hintere Teil etwas gedehnt und so in eine optimale Haltesituation gebracht. Der Rumpf hängt jetzt gut stabilisiert zwischen den Vorderbeinen und kann in dieser Position bestens trainiert werden. Sein guter Trainingszustand schützt das Schulter- und Fesselgelenk vor Überlastung durch zu starke Stauchung. Es fängt die axialen Stöße in der Stützbeinphase durch das Gleiten des Schulterblatts nach oben ab und ist so ein großartiger Puffer. So kann vor allem das Fesselgelenk ungestört nach der Belastung beim Auffußen zurückfedern.
Der Rumpfträger kann sich in der Dehnungshaltung gut entwickeln und die Strukturen um das Fesselgelenk – der Fesselträger und der Fesseltrageapparat sowie die Beugesehnen – werden elastisch und stark. Ein tragfähiger Pferderücken bedingt einen tragfähigen und elastisch federnden Rumpfträger. Um diesen zu entwickeln, muss man „richtig“ auf der Vorhand trainieren. Nur so kann man das Fesselgelenk mit seinen umgebenden Strukturen vor Schaden bewahren.

 

Die Mittelhand in der Dehnungshaltung

 

In der Dehnungshaltung sind die Brust- und Lendenwirbelsäule leicht angehoben und durch die Rückenbänder stabilisiert. In dieser Haltung ist eine korrekte Längsbiegung des Rückens möglich. Die Facettengelenke der Wirbelsäule sind leicht geöffnet und können sich zu einer Seite weiter elastischer öffnen. Das ist mit einem durchgedrückten Rücken nicht möglich, da in dieser Situation die Facettengelenke schon ineinandergeschoben sind und die Seitneigung begrenzen.

 

Die Hinterbeine in der Dehnungshaltung

Für die gesunde Entwicklung der Hinterhand ist die Dehnungshaltung ein Segen. Sie verhindert eine zu frühe und zu starke Belastung ihrer Strukturen. Die Hinterhand wirkt durch die große Muskulatur sehr kräftig, ist sie aber nicht.
Sie wird erst durch ein gezieltes Training „funktionstüchtig“ für unsere reiterlichen Zwecke. Auch manche Menschen haben einen stark entwickelten Glutaeus und dicke Oberschenkel. Aber die Größe sagt nichts über ihren Trainingszustand aus!

 

Warum physiologisches Training in der Dehnungshaltung Pferde sogar vor Spat schützen kann und wie lange man in der Dehnungshaltung reiten sollte bevor man Aufrichtung verlangen kann, erfahren Sie neben vielen weiteren Aspekten im Webinar von Barbara Welter-Böller.

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Category: Besondere Themen

Comments (1)

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  1. Kerstin Singelmann sagt:

    Toll, dass Feine Hilfen dieses wichtige Thema mit Barbara Welter-Böller aufgreift und einen so genauen Einblick ermöglicht.
    Vielen Dank!

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