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Bandagen – „Must have“ oder gefährlicher Unsinn?

Leseprobe aus Feine Hilfen 9

Quelle: marikond/Shutterstock.com

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In der Rubrik „Meinung“ erschienen:
von Karsten Kulms

Als einst noch Pferde in großen Herden über die endlosen Weiten der Steppenlandschaften dieser Erde zogen, hing das Überleben jedes einzelnen Tiers im rauen Gelände von der perfekten Koordination seiner Beine ab. Denn ein Pferd, das nicht in der Lage war, den Untergrund durch die Wahrnehmung seiner Beine und Hufe genau zu taxieren, geriet auf der Flucht vor einem Fressfeind ins Straucheln und wurde zur leichten Beute.
Und auch unsere modernen Freizeit- und Sportpferde sind extrem auf die Wahrnehmung ihrer Gliedmaßen angewiesen. Denn sie sind nur dann in der Lage, ihre Beine in zahlreichen Lektionen der Dressurreiterei zu kreuzen, den richtigen Absprung vor dem Hindernis beim Springreiten zu finden oder ein schwieriges Geläuf in der Vielseitigkeit zu bewältigen, wenn sie sich auf die Signale ihrer Beine verlassen können. Was bei einem bandagierten, „gepolsterten“ Bein natürlich nicht richtig funktioniert, wie man sich unschwer vorstellen kann.

Doch befragt, warum sie ihrem Pferd vor dem Reiten die Beine bandagieren, rechtfertigen sich Reiter mit den vielfältigsten Antworten. So sollen die bunten Stoffbänder die empfindlichen Beine vor Verletzungen schützen, ihnen werden gar „stützende“ oder „sehnenschonende“ Eigenschaften zugeschrieben, und schließlich scheinen sie für viele einfach nur irgendwie dazuzugehören. Egal ob Spring-, Dressur- oder Westernreiter – die bunten Beinkleider fehlen in kaum einer Putzkiste, und im wohlsortierten Reitsportfachgeschäft füllen sie lange Regalmeter. Selbst erfahrene Ausbilder zeigen in ihren Lehrbüchern auf Hochglanzbildern immer wieder „nett“ bandagierte Pferde. Noch bedenklicher ist, dass Bandagen nicht nur aus dem Turniergeschehen, sondern zunehmend auch aus dem ganz normalen Alltag der Pferde landauf, landab kaum mehr wegzudenken sind. Bandagiert wird vielerorts genauso bedenkenlos, wie gesattelt und getrenst wird.
Über den Sinn oder vielmehr den Unsinn des Verschnürens der Pferdebeine macht sich dabei kaum jemand Gedanken. Doch wer die Beine seines Pferdes in Bandagen packen möchte, sollte sich vorher im Klaren darüber sein, dass diese Beintextilien für sein Pferd keinerlei Vorteile bieten, dafür aber viele ernst zu nehmende reitsportliche und sogar gesundheitliche Nachteile bereithalten. Denn ein Pferdebein ist nicht einfach nur eine von vier Stützen für den Pferdekörper, sondern eine hoch komplizierte Gliedmaße, die außer für die Fortbewegung noch für eine Vielzahl weiterer überlebenswichtiger Aufgaben zuständig ist.

Das Blut abgeschnürt

Wer sich einmal die Zeit nimmt, sich die Anatomie eines Pferdebeins genauer anzusehen, kommt hinsichtlich der Verwendung von Bandagen schnell ins Grübeln. Denn damit sich eine Bandage in der Bewegung nicht löst und dadurch zur gefährlichen Stolperfalle für Pferd und Reiter wird, muss sie straff um das Bein gewickelt werden. Das führt jedoch dazu, dass die Blutzufuhr vom Körper zur intensiv durchbluteten Huflederhaut beeinträchtigt wird. Weitaus problematischer ist aber, dass dadurch auch der Rückfluss des verbrauchten Blutes, das mithilfe der pumpenartig wirkenden Hufmechanik in den Körper zurückgelangt, wegen der eng gewickelten Bandagen einen unnötigen Widerstand zu überwinden hat. Dass dabei Gefäßschäden quasi vorprogrammiert sind, wird selbst ein Laie schnell erkennen.
Hinzu kommt, dass das Volumen eines Pferdebeins je nach momentaner Verfassung des Pferdes großen Schwankungen unterliegt. Eine wissenschaftliche Untersuchung an der Tierärztlichen Hochschule Hannover im Jahr 2011 (siehe Quelle unten) verdeutlicht diese Dynamik. Ausgehend von einem bestimmten Volumen im Ruhezustand nimmt das Beinvolumen unter Belastung zunächst kurzfristig um durchschnittlich etwa 5,7 Prozent ab, um dann bei zunehmender Nutzung im Zeitverlauf wieder um etwa 6,8 Prozent zuzunehmen. Erfolgt diese Belastung unter dem Sattel, fallen die Werte aufgrund des zusätzlichen Reitergewichts sogar noch deutlicher aus. Das Oszillieren des Beinvolumens macht schnell deutlich, dass es eine „optimal“ angepasste Bandage schon aus diesem Grund gar nicht geben kann.
Doch damit nicht genug. Denn regelmäßiges Bandagieren führt am Bein dazu, dass der sogenannte „Turgor“, also die physiologische Spannung der Haut, allmählich nachlässt. Dadurch weiten sich die Gefäße und es sackt aufgrund der Schwerkraft mehr Blut ins Bein, als die „Hufpumpe“ in der Lage ist, zurückzupumpen, und auch der Fluss der Lymphflüssigkeit im Gewebe gerät ins Stocken. Die Folge: Das Bein schwillt allmählich irreversibel an. Denn einmal erschlafftes Hautgewebe ist von selbst nicht mehr in der Lage, seine natürliche, ursprüngliche Spannung wiederzuerlangen.

 Beinschutz oder Balanceverlust?

Ein weiteres Argument gegen das – von wenigen medizinisch begründeten Ausnahmen abgesehen – unsinnige Einwickeln der Pferdebeine ist genau dasselbe, das unter anderen Vorzeichen auch eifrige Verfechter des Bandagierens anführen: Nach ihrer Ansicht sollen Bandagen das empfindliche Pferdebein vor Stößen und Prellungen schützen. Doch diese Argumentation hat gleich mehrere unübersehbare Haken. Zwar stimmt es, dass die Beine eines Pferdes leider zu seinen großen Schwachpunkten und Beinverletzungen mit zu den häufigsten Krankheitsursachen zählen. Schließlich liegt zwischen dem Fell und dem Knochen keine „polsternde“ Muskel- oder Fettschicht wie etwa am Hals oder an der Kruppe, und ein stumpfer Stoß trifft den Knochen ganz unmittelbar.
Aber ob ein paar Lagen Stoff ein Pferdebein im Falle eines Falles wirklich wirkungsvoll vor Verletzungen schützen können, ist mehr als fraglich. Schlimmer noch, bewirkt ein polsternder „Beinschutz“ nur, dass die Pferde dadurch verlernen ihre Hufe koordiniert zu setzen – schließlich fühlen sie kaum noch etwas, und es tut auch kaum noch weh, die Füße einfach hängen zu lassen und sie nicht mehr „aus dem Sand zu bekommen“ – was wiederum der Ausbildung und Schulung eines Pferdes als perfekt ausbalancierter und somit sicherer und zuverlässiger Freizeit- und Sportpartner nicht nur im ebenmäßigen Dressurviereck, sondern erst recht im unwegsamen Gelände ausgesprochen abträglich ist.
Dass die Balance des Pferdes dabei keine punktuelle, statische Angelegenheit, sondern ein ausgesprochen dynamisch ablaufender, sehr komplexer Prozess ist, wird wohl jedem sehr schnell klar, der schon einmal versucht hat, einem unausbalancierten Pferd etwa beim Hufschmied für längere Zeit ein Bein aufzuhalten. Denn eine andauernde, koordinierte Lastverteilung des Körpergewichts auf die verbliebenen drei Beine funktioniert nur, wenn das Tier durch unmittelbare Wahrnehmung des Untergrunds gelernt hat, seinen Körper dynamisch stets aufs Neue in Balance zu bringen. Doch genau diese Wahrnehmung wird bei der Anwendung von Bandagen und anderen vermeintlichen „Hilfsmitteln“ gründlich verfälscht.
Und wahrscheinlich ist hier der Punkt erreicht, wo sich bei regelmäßigen Bandagen- und Gamaschennutzern reiterlich gesehen die Katze in den Schwanz beißt: Durch ständiges Bandagieren ihrem natürlichen Gefühl für das Geläuf entwöhnt, lassen derart gehandicapte Pferde beispielsweise im Springparcours über dem Hindernis gern mal ihre Beine hängen und sie stolpern auch im Gelände bei schwierigen Bodenverhältnissen mehr schlecht als recht durch die Landschaft. Was wiederum ihre Reiter verunsichert, die daraufhin entweder noch mehr Stoff ums Pferdebein wickeln oder mit ihrem Pferd lieber gleich ganz zu Hause bleiben. Natürlich weiterhin mit Bandagen und Gamaschen. Schade eigentlich, denn je mehr Stoff und Polster am Bein, desto weiter entfernt vom Ziel eines vernünftig ausgebildeten, sport- und geländesicheren Pferdes. Dabei wäre alles so einfach …

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Category: Aktuelle Themen

Comments (3)

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  1. Nathan sagt:

    Mein großer bekommt zum Springen immer Gamaschen dran. Bandagieren tu ich nie.

    Wir gehen im Sommer sogut wie jeden Tag ins Gelände, auch durch unwegsames Gelände, da gibt es dann auch mal kleinere Sprünge über umgefallene Baumstämme etc., das alles ohne Beinschutz. Dementsprechend haben meine Jungs ihre Gliedmaßen im Griff trotz Gamaschen beim Springen.

    Und mit Springen sind keine Cavalettis auf niedrigster Stufe gemeint, die nehmen wir getrost ohne Schutz, bei höheren Sprüngen ist mir das aber doch zu riskant 😉

    Ich finde die Mischung machts, jeden Tag muss nicht sein aber ab und zu bringen Gamaschen/Bandagen niemanden um 😉

  2. Marika sagt:

    Hallo, toller Bericht und super erklärt!!!! Daumen hoch. Leider kann man es den reitern nicht oft genug klar machen und erklären. Dennoch greifen sie immer wieder und ständig zu Bandagen etc. Bin überzeugt dass sie es gar nicht hören und lesen möchten wie schädlich die Dinger eigentlich sind. Ich habe einen jungen Wallach und packe nichts um die Beine, werde aber stets doof angeguckt.. das Problem sind meiner Meinung nach die Trainer und Reitlehrer… Die bestehen darauf dass ihre Schüler etwas um die Beine packen. Sehe ich bei uns im Stall selber, wenn die Trainer den Schülern das vorab mal erklären würden, so wie es im Artikel beschrieben ist, würden die eher darauf hören. Für viele Reiter ist es aber auch eine Verschönerung, passend zur Schabracke und dem Outfit… Ich habe selber ein Reitsportgeschäft, daher weiß ich wovon ich rede …

    Liebe Grüße, Marika

    • Lil sagt:

      Ich seh das ganz ähnlich. Ich fühle mich beim springen grundsätzlich unwohl, wenn mein Pferd keine Gamaschen trägt und bandagieren tue ich auch. Allerdings hab ich mir auch vorher schon denken können, dass andauerndes bandagiert nicht tut sein kann- selbst wenn es wirklich stützt: Pferde die dauernd gestützt werden laufen dann später aber ohne nicht mehr :/
      Ich bandagiert deshalb eher selten, wenn ich mal Lust dazu hab. Es ist tatsächlich eher ein Schönheitsding bei mir und ich finde; für hin und wieder werden die Folgen nicht dermaßen dramatisch sein.
      Springen ohne Gamaschen kann ich mir aber trotzdem eher wenig vorstellen. Ich bin aber auch schon immer dran erinnert worden; dass die Pflicht sind und ich Krieg diesen Tick nicht aus meinem Kopf..

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